Donnerstag, 13.1.2021, Wolfgang Müller-Funk

Der eingebildete Kranke

Warum sind wir hin und wieder gerne krank? Eigentlich möchten wir doch alle gesund sein.

Vielleicht gibt es indes einen menschlichen Hang zum Leiden. In Maßen versteht sich. Insgeheim weiß der Hypochonder, dass es kein schlimmes Leiden ist, das ihn plagt. Sondern eines, das die anderen übersehen, weil sie nicht so sensibel sind wie der in Maßen Leidenssüchtige.

Wolfgang Müller-Funk ist Literaturwissenschaftler

In Molieres spätem Stück La Maladie Imaginaire (Die imaginäre Krankheit, Der eingebildete Kranke) kommentiert Argan im Selbstgespräch die vielen teuren Rechnungen der Doktoren für Klistiere und Tränklein, bis er, sichtbar ungeduldig, seine Dienerin Toinette ruft: „Du Aas! Du Aas! Geh zu allen Teufeln! Ist´s die Möglichkeit, dass man einen armen kranken Mann so ganz allein lässt?“

Der Ausfall gegen die Ärzte wie gegen das eigene Personal gehört zum damaligen Zeitgeist. Wer krank ist, darf Fürsorge, schlechte Laune und Aufmerksamkeit für sich reklamieren. Das tut Argan ausgiebig. Und er tut noch mehr, möchte er doch seine Tochter Angelique unter Druck setzen, einen Arzt zum Mann zu nehmen und nicht ihren Liebhaber Cleante, „damit ich in der eigenen Familie jederzeit wirksame Hilfe in all meinen Krankheiten finden kann.“

Aber dazu kommt es dank des energischen und listigen Eingreifens der Dienerin Toinette nicht, die den Hypochonder ganz unverblümt fragt: „Aber Hand aufs Herz, sind Sie wirklich krank?“ Worauf der eingebildete Kranke nur mit Empörung reagieren kann, dass Toinette, dieses „unverschämte Ding“, seinen argen Zustand in Zweifel zu stellen wagt.

Der eingebildete Kranke war Molieres letztes Stück. Wie schon so oft spielte er bei der Uraufführung die Hauptfigur, eine Woche später erlitt er bei der vierten Vorstellung einen Blutsturz und starb in seinem Kostüm Stunden später.