Freitag, 14.1.2022, Wolfgang Müller-Funk

Zofen und Diener als Stimme der Aufklärung

Diener und Untergebene hat das Bürgertum vom Adel geerbt.

Don Juans Diener Sganarell widerspricht lebhaft dem zynischen Frauenhelden ebenso wie Toinette ihrem hypochondrischen bürgerlichen Herrn Argan in Der eigenbildete Kranke. Bei Moliere haben die Kammerdiener, Zofen und Dienerinnen eine unverwechselbare Stimme.

Wolfgang Müller-Funk ist Literaturwissenschaftler

Sganarell entlockt seinem Herrn die kaltblütigen Strategien, mit deren Hilfe er Frauen verführt und ins Verderben bringt, durch falsche Versprechungen, Lügen, Charme und pathetische Liebesbeteuerungen. Nicht selten ist es dem herrschaftlichen Personal zu verdanken, wenn es zu einem versöhnlichen Ende kommt.

Was bei Moliere erfrischend und neu anmutet, ist, dass die Macht der Machtlosen sehr oft weiblich ist. Toinette zeichnet sich durch Eigensinn und unbekümmertes Selbstbewusstsein aus, versucht sie doch ihrem Herrn eine arrangierte Ehe seiner Tochter mit einem Arzt, der sich den lieben langen Tag um seinen Schwiegervater kümmern soll, auszureden.

Auf die Beschimpfung „unverschämtes Luder“ entgegnet Toinette, Vertreterin einer frühen Aufklärung: „Wenn der Herr und Meister unüberlegt handelt, hat die Magd, die nicht auf den Kopf gefallen ist, das Recht, ihm Vernunft beizubringen.“ Die Verhältnisse kehren sich unversehens um. Der kranke Argan bedarf nicht nur ihrer Pflege seines Körpers, sondern auch seines Verstandes.

Ganz sicher hat einer der größten Bewunderer Molieres, nämlich Goethe den „eingebildeten Kranken“ gelesen, wenn er 1827 im Gespräch mit Eckermann „vom hochgebildeten Inneren des Dichters“, von einem „Ton des freien Umgangs“ und von seinem „liebenswürdigen Naturell“ sprach. Moliere ist ein kritischer Theatermacher, der niemals den Witz verliert, so wie die resolute Toinette, die Stimme aus den unteren sozialen Rängen.