Zwischenruf 9.1.2022, Regina Polak

Trotzdem an die Liebe glauben

Vor gut zwei Wochen haben viele Menschen in Österreich Weihnachten gefeiert und hoffentlich bei Kerzen, festlicher Musik und gutem Essen ein paar ruhige Tage verbracht.

Aus christlicher Sicht wurde dabei der Geburt des Erlösers Jesus Christus gedacht. Aber ist diese Erlösung jetzt spürbarer als vor Weihnachten? Ist die Stimmung zuversichtlicher, hoffnungsvoller?

Regina Polak
ist katholische Theologin und Religionssoziologin

Immer noch herrscht die Pandemie. Nach wie vor schmelzen die Pole. Und jene, die die geringste Verantwortung für die Erderwärmung tragen, leiden am meisten darunter. Ist das gerecht? Oder religiös formuliert: Wie kann Gott all dies Leid zulassen?

Ohne Zweifel kann man gerade in schwierigen Zeiten Gott als fern erleben; solche Gefühle kenne auch ich. Aber sagt mein Erleben Gottes nicht mehr über mich selbst aus, als über Gott? Könnte man nicht eher fragen, was das Erleben Gottes verdunkelt oder blockiert? Ich vertraue dem biblischen Zeugnis – und dieses erzählt etwas Anderes: Da höre ich, dass Gott vor allem den Leidenden nahe ist. Der Name Gottes, das Tetragramm JHWH, ist ein Zeugnis für diese Nähe: Es ist ein Zeitwort, das die, zwar nicht fassbare, aber treue Gegenwart Gottes ausdrückt: Gott ist da.

Selbst der leidende Hiob, bricht daher den Kontakt mit Gott nicht ab, sondern streitet mit ihm. Und einer der Namen des Jesus von Nazareth, Immanuel, bedeutet: Gott ist mit uns. Wenn das nicht zynisch, sondern wahr ist, könnte man fragen: Woran liegt es, dass es in unserer Kultur so schwierig ist, Gottes Nähe zu spüren?

Ein Zitat von Friedrich Nietzsche fällt mir ein, als dieser den „letzten Menschen“ beschreibt, der auf einer klein gewordenen Erde alles klein macht und keine großen Hoffnungen mehr hat. Dieser „letzte Mensch“ fragt: „Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?“ – und blinzelt. Solch große Worte sind ihm fremd geworden.

Ich selbst ringe mit einer anderen Frage: Wie können Menschen all das Leid zulassen? Ich habe in den vergangenen Jahren so viel Egoismus, Ignoranz und Herzenshärte gesehen, dass ich darum kämpfe, nicht an den Menschen zu verzweifeln. Die emotionale Abstumpfung gegenüber Flüchtlingen, der Impfegoismus der reichen Nationen, die viel zu langsame Veränderungsbereitschaft angesichts der Klimakatastrophe, die Korruption und Gier von Politiker/innen, die Liste ist lang. Ist es nicht zu einfach, Gott für das Leid verantwortlich zu machen – und selbst Missständen tatenlos zuzusehen?

In diesem Ringen hilft mir ein Satz des Jesuitenpaters Elmar Mittersiller: „Es muss in der Welt etwas mehr Liebe, als Böses geben, denn sonst wäre sie bereits zerstört.“ Mit diesem Satz im Ohr, kann ich dann auch all das Gute wieder sehen. Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren; Wissenschaftler/innen und Politiker/innen, Ärzte und Pflegekräfte, die im Kampf gegen die Pandemie Unglaubliches leisten; vor allem aber die unzähligen Menschen, die ihren Alltag mit Geduld und Liebe bestehen.

In dieser Liebe ist, wie ich glaube, Gott den Menschen nahe. Diese Liebe ist meistens leiser und unaufdringlicher, sie prahlt nicht und bläht sich nicht auf, sie lässt sich nicht zum Zorn reizen und trägt das Böse nicht nach, wie es im ersten Korintherbrief des Neuen Testaments heißt. Diese Liebe – ob sie sich aus religiösen oder anderen Quellen speist – hält die Welt zusammen, hoffentlich auch im kommenden neuen Jahr.