Dienstag, 11.01.2022, Hannes Ziselsberger

Vielfalt und Zuhören

Jede Generation setzt ihre eigenen Schwerpunkte, hat ihre eigenen Werte. Doch wie sind die mit den Werten der anderen in Einklang zu bringen?

Im Jahr 1970 wurde ich in eine Zeit der Veränderung zum Besseren geboren. Das war zumindest das Grundgefühl, das mir in meiner Kindheit mitgegeben wurde. Und ohne es großartig zu merken, bin ich Teil eines Wertewandels geworden, den Roland Inglehart als „Die stille Revolution“ bezeichnet.

Hannes Ziselsberger
ist Caritas-Direktor der Diözese St. Pölten (NÖ)

Individualität, Selbstverwirklichung, Freiheitsstreben, Emanzipation und persönliche Lebensqualität sind wichtiger geworden, existenzielle Absicherung und materieller Wohlstand sind für eine breite Bevölkerungsschicht zum Normalzustand geworden. Die Wertewelt hat an Vielfalt gewonnen und damit auch an Verbindlichkeit verloren. Unterschiedliche Zugänge und Sichtweisen werden verstärkt durch die jeweilige Gemeinschaft, die sich zum Teil in sozialen Netzwerken abspielt. Ich fürchte manchmal, dass die Vielfalt der Werte sich zu einem Konfliktschauplatz der Werte wandelt, an dem es kaum noch möglich ist, gemeinsame Sichtweisen zu finden und zu formulieren.

Eine liebe Freundin von mir hat für ihren Chor, den sie leitet, eine besondere Aufgabe formuliert: „Versucht einmal, einander lauter zuzuhören als zu singen!“.
Ich wünsche Ihnen auch heute einen guten Morgen und für diesen Tag Gelegenheiten, bei denen es Ihnen gelingt, lauter zuzuhören als zu reden.