„Das Weihnachtsgeheimnis. Menschwerdung und Menschheit“

Aus dem Vortrag von Edith Stein

„Das Weihnachtsgeheimnis. Menschwerdung und Menschheit“ ist der Titel eines Vortrags, den die Philosophin und Mystikerin Edith Stein 1931 gehalten – und den die Ö1-Sendung LEBENSKUNST leicht adaptiert und gekürzt in sechs Teilen wiedergegeben hat: vom 4. Adventsonntag am 19. Dezember 2021 bis zum Dreikönigstag am 6. Jänner 2022. Gesprochen hat die Abschnitte die Schauspielerin Andrea Eckert.

Edith Stein, geboren am 12. Oktober 1891 in eine orthodoxe jüdische Familie in Breslau, war Assistentin des Philosophen und Begründers der „Phänomenologie“, Edmund Husserl. Nach der Lektüre der Autobiografie der Teresa von Ávila ist Edith Stein 1922 zur katholischen Kirche konvertiert, 1933 in die Ordensgemeinschaft der Karmelitinnen eingetreten. 1942 wurde sie im KZ Auschwitz ermordet, 1998 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen.

1.

Wenn die Tage kürzer und kürzer werden, wenn (in einem normalen Winter) die ersten Schneeflocken fallen, dann tauchen scheu und leise die ersten Weihnachtsgedanken auf. Und von dem bloßen Wort geht ein Zauber aus, dem sich kaum irgendein Herz entziehen kann. Selbst die Andersgläubigen und
Ungläubigen, denen die alte Geschichte vom Kinde zu Bethlehem nichts bedeutet, rüsten für das Fest und überlegen, wie sie da und dort einen Strahl der Freude entzünden können. Es geht wie ein warmer Strom der Liebe über die ganze Erde schon um Wochen und Monate voraus. Ein Fest der Liebe und
Freude – das ist der Stern, auf den alle in den ersten Wintermonaten zugehen. Für den Christen und besonders für den katholischen Christen ist es noch etwas anderes. Ihn führt der Stern zur Krippe mit dem Kindlein, das den Frieden auf Erden bringt. In zahllosen lieblichen Bildern stellt es uns die christliche Kunst vor die Augen; alte Weisen, aus denen der ganze Zauber der Kindheit klingt, singen uns davon.

Wer mit der Kirche lebt, dem rufen die Rorateglocken und die Adventslieder eine heilige Sehnsucht im Herzen wach; und wem der unerschöpfliche Born der heiligen Liturgie erschlossen ist, bei dem pocht Tag um Tag der große Prophet der Menschwerdung mit seinen Mahnworten und Verheißungen an:
Rorate, coeli, desuper et nubes pluant justum! Tauet, ihr Himmel, aus der Höhe und ihr Wolken, lasst regnen den Gerechten, heißt es bei Jesaja.
In der Woche vor Weihnachten rufen die großen O-Antiphonen zum Magnificat (O Sapientia, O Adonai, O Radix Jesse, O Clavis David, O Oriens, O Rex gentium, O Emmanuel) immer sehnsüchtiger und inbrünstiger ihr:
Veni ad liberandum nos:
Komm, uns zu befreien,
Herr, Gott der Mächte.
Zeige uns dein Angesicht
– und gerettet werden wir sein.

Ja, wenn am Abend die Lichterbäume brennen und die Gaben getauscht werden, da drängt die unerfüllte Sehnsucht immer noch hinaus nach einem andern Lichtglanz, bis die Glocken zur Christmette läuten und das Wunder der Heiligen Nacht sich auf unseren Altären erneuert:
Dum medium silentium tenerent omnia –
Als tiefes Schweigen das All umfing
und die Nacht bis zur Mitte gelangt war,
da stieg dein allmächtiges Wort, Herr,
vom Himmel herab.

Solches Weihnachtsglück hat wohl jeder von uns schon erlebt. Aber noch sind Himmel und Erde nicht
eins geworden. Der Stern von Bethlehem ist ein Stern in dunkler Nacht, auch heute noch.

2.

Zu einem wunderbaren Tauschhandel ist der Erlöser auf die Welt gekommen. Gott ward ein Menschenkind, damit die Menschenkinder Gotteskinder werden könnten. Einer von uns ist er geworden; aber damit mehr als das:
eins mit uns. Das ist ja das Wunderbare am Menschengeschlecht, daß wir alle eins sind.
Er aber kam, um ein Corpus mysticum, ein mystischer Körper mit uns zu sein:
dann ist der Weg frei, daß sein göttliches Leben auf uns übergehen kann.
Das ist der Anfang des ewigen Lebens in uns. Es ist noch nicht seliges Gottschauen im Glorienlicht, es ist noch Dunkel des Glaubens, aber es ist nicht mehr von dieser Welt, es ist schon Stehen im Gottesreich. Als Maria ihr Fiat, ihr „es geschehe“, sprach, da begann das Gottesreich auf Erden, und sie war seine erste Bürgerin. Und alle, die sich vor und nach der Geburt des Kindes in Wort und Tat zu ihm bekannten – der hl. Joseph, die hl. Elisabeth mit ihrem Kinde und alle, die um die Krippe standen –, sie traten in das Gottesreich ein.
Unsichtbar trug jeder, der dem Ewigen angehörte, sein Himmelreich in sich. Seine irdische Bürde wurde ihm nicht abgenommen, ja sogar noch manche andere dazugelegt, aber was er in sich hatte, war eine beschwingte Kraft, die das Joch sanft machte und die Last leicht. So ist es noch heute bei jedem Gotteskind. Das göttliche Leben, das in der Seele entzündet wird, ist ja das Licht, das in die Finsternis gekommen ist, das Wunder der Heiligen Nacht. Wer es in sich trägt, der versteht es, wenn davon gesprochen wird.
Für die andern aber ist alles, was man darüber sagen kann, ein unverständliches Stammeln. Das ganze Johannesevangelium ist ein solches Stammeln vom ewigen Licht, das Liebe und Leben ist. Gott in uns und wir in ihm, das ist unser Anteil am Gottesreich, zu dem die Menschwerdung den Grund gelegt hat.

Wir Menschen – ein göttliches Leben. Wenn Gott in uns ist und wenn er die Liebe ist, so kann es nicht anders sein, als daß wir die Geschwister lieben. Darum ist unsere Menschenliebe das Maß unserer Gottesliebe. Aber es ist eine andere als die natürliche Menschenliebe. Die natürliche Liebe gilt diesem und jenem, der uns durch die Bande des Blutes verbunden oder durch Verwandtschaft des Charakters oder gemeinsame Interessen nahesteht. Die andern sind „Fremde“, die einen „nichts angehen“, einem eventuell sogar durch ihr Wesen widerwärtig sind, so daß man sie sich möglichst weit vom Leibe hält.

Für den Christen gibt es keinen „fremden Menschen“. DER ist jeweils der „Nächste“, DEN wir vor uns haben und der eben unser am meisten bedarf; gleichgültig, ob er verwandt ist oder nicht, ob wir ihn „mögen“ oder nicht, ob er der Hilfe „moralisch würdig“ ist oder nicht. Die Liebe Christi kennt keine Grenzen, sie hört nimmer auf, sie schaudert nicht zurück vor Häßlichkeit und
Schmutz. Er ist um der Sünder willen gekommen und nicht um der Gerechten willen. Und wenn die Liebe Christi in uns lebt, dann machen wir es wie er und gehen den verlorenen Schafen nach. Die natürliche Liebe geht darauf aus, den geliebten Menschen für sich zu haben und möglichst ungeteilt zu besitzen. Christus ist gekommen, um die verlorene Menschheit für den Vater
zurückzugewinnen; und wer mit seiner Liebe liebt, der will die Menschen für Gott und nicht für sich.
Das ist freilich zugleich der sicherste Weg, um sie auf ewig zu besitzen; denn wenn wir einen Menschen in Gott geborgen haben, dann sind wir ja mit ihm in Gott eins, während die Sucht zu erobern oft – ja wohl früher oder später immer – zum Verlust führt. Es gilt für die fremde Seele wie für die eigene und für jedes äußere Gut: Wer ängstlich darauf aus ist, zu gewinnen und zu bewahren,
der verliert. Wer an Gott hingibt, der gewinnt.

3.

Als tiefes Schweigen das All umfing
und die Nacht bis zur Mitte gelangt war,
da stieg dein allmächtiges Wort, Herr,
vom Himmel herab.

Solches Weihnachtsglück hat vielleicht jeder von uns schon erlebt. Aber noch sind Himmel und Erde nicht eins geworden. Der Stern von Bethlehem ist ein Stern in dunkler Nacht, auch heute noch.
Schon am zweiten Tage legt die Kirche die weißen Festgewänder ab und kleidet sich in die Farbe des Blutes, und am vierten Tage in das Violett der Trauer:
Stephanus, der Erzmärtyrer, der als erster seinem Herrn im Tode nachfolgte, und die Unschuldigen Kinder, die Säuglinge von Bethlehem und Juda, die von rohen Henkershänden grausam hingeschlachtet wurden, sie stehen als Gefolge um das Kind in der Krippe. Was will das sagen? Wo ist nun der Jubel der himmlischen Heerscharen, wo die stille Seligkeit der Heiligen Nacht? Wo ist der Friede auf
Erden? Friede auf Erden denen, die guten Willens sind! Aber nicht alle sind guten Willens. Darum mußte ja der Sohn des Ewigen Vaters aus der Herrlichkeit des Himmels herabsteigen, weil das Geheimnis der Bosheit die Erde in Nacht gehüllt hat. Finsternis bedeckte die Erde, und er kam als Licht, das in der Finsternis leuchtet, aber die Finsternis hat ihn nicht begriffen. Die ihn aufnahmen, denen brachte er das Licht und den Frieden: den Frieden
mit dem Vater im Himmel, den Frieden mit allen, die gleich ihnen Kinder des Lichtes und Kinder des Vaters im Himmel sind, und den tiefen inneren Herzensfrieden, aber nicht den Frieden mit den Kindern der Finsternis. Ihnen ist der Friedensfürst Stein des Anstoßes, gegen den sie anrennen und an dem sie zerschellen. Das ist die eine schwere und ernste Wahrheit, die wir uns durch den poetischen Zauber des Kindes in der Krippe nicht verdecken lassen dürfen. Das Geheimnis der Menschwerdung und das Geheimnis der Bosheit gehören eng
zusammen. Gegen das Licht, das vom Himmel herabgekommen ist, sticht die Nacht der Sünde umso schwärzer und unheimlicher ab. Das Kind in der Krippe streckt die Händchen aus, und sein Lächeln scheint schon zu sagen, was später die Lippen des Mannes gesprochen haben: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Und die seinem Ruf folgen: die armen Hirten, denen auf den Fluren von Bethlehem der Lichtglanz des Himmels und die Stimme des Engels die frohe Botschaft verkündeten und die sich darauf auf den
Weg machten; die Könige, die aus fernem Morgenlande im gleichen schlichten Glauben dem wunderbaren Stern folgten, ihnen floß von den Kinderhänden der Tau der Gnade zu, und „sie freuten sich mit großer Freude“. Diese Hände geben und fordern zugleich: Ihr Weisen, legt eure Weisheit nieder, und werdet einfältig wie die Kinder; ihr Könige, gebt eure Kronen und eure Schätze und beugt
euch in Demut vor dem König der Könige; nehmt ohne Zögern Mühen und Leiden und Beschwerden auf euch, die sein Dienst erfordert.
„Folge mir“, so sprechen die Kinderhände, wie später die Lippen des Mannes gesprochen haben.
Vor dem Kind in der Krippe scheiden sich die Geister.

4.

Wir stehen in der Mitte der weihnachtlichen Zeit. Das hohe Fest, das lange wie ein strahlender Stern am dunklen Nachthimmel der Adventzeit vor uns hergegangen ist, es ist vorbei, manchen von uns vielleicht allzu schnell vorbeigegangen. Es hat nicht still gestanden wie der Stern über der Krippe von
Bethlehem. Es ist vorübergerauscht, und vielleicht standen wir erschrocken, weil wir nicht fassen oder gar ausschöpfen konnten, was es uns bringen wollte und sollte. Da ist es dann recht tröstlich, daß die heilige Kirche als eine ebenso weise wie gütige Mutter mit der Schwäche ihrer Kinder rechnet und eine ganze Reihe von Wochen für den Weihnachtsfestkreis vorgesehen hat. So läßt sich noch manches nachholen, was versäumt wurde; und auch für heute wußte ich nichts Besseres, als daß wir ein wenig stille stehen und zurückblicken auf die letzten Wochen.
Gotteskind sein heißt an Gottes Hand gehen, alle Sorgen und alle Hoffnung in Gottes Hand legen, nicht mehr selbst um sich und seine Zukunft sorgen. Darauf beruhen die Freiheit und Fröhlichkeit des Gotteskindes. Wie wenige, auch von
den wahrhaft Frommen, selbst heroisch Opferwilligen, besitzen sie! Sie gehen immer wie niedergebeugt unter der schweren Last ihrer Sorgen und Pflichten. Alle kennen das Gleichnis von den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde. Aber wenn sie einem Menschen begegnen, der kein Vermögen, keine Pension und keine Versicherung hat und doch unbekümmert um seine Zukunft lebt, dann schütteln sie den Kopf wie über etwas Abnormales. Freilich, wer von dem Vater im Himmel erwartete, daß er ihm jederzeit für das Einkommen und die Lebensverhältnisse sorgen werde, die er für
wünschenswert hält, der könnte sich schwer verrechnet haben. Solche Bedingungen darf man in den Vertrag mit dem Himmel nicht hineinschreiben. Nur dann wird das Gottvertrauen unerschüttert standhalten, wenn es die Bereitschaft einschließt, alles und jedes aus des Vaters Hand entgegenzunehmen. Er allein weiß ja, was uns gut tut. Und wenn einmal Not und Entbehrung angebrachter wären als behaglich-gesichertes Auskommen oder Mißerfolg und Verdemütigung besser als Ehre und Ansehen, dann muß man sich auch dafür bereit halten. Tut man das, so kann man unbelastet durch die Zukunft der Gegenwart leben.

Es ist objektiv so, daß wir nicht endgültig versichert sind, immer auf Gottes Wegen zu bleiben. Wie die ersten Menschen aus der
Gotteskindschaft in die Gottesferne fallen konnten, so steht jeder von uns immer auf des Messers Schneide zwischen dem Nichts und der Fülle des göttlichen Lebens. Gotteskindschaft besagt: aus der Enge des eigenen Lebens herausgehen und in die Weite hineinwachsen.

5.

In den Kindertagen des geistlichen Lebens, wenn wir eben angefangen
haben, uns Gottes Führung zu überlassen, da fühlen wir die leitende Hand ganz stark und fest; sonnenhell liegt es vor uns, was wir zu tun und was wir zu lassen haben.

Aber das bleibt nicht immer so.
Und alle Leiden, die von außen kommen können, sind nichts im Vergleich zu der dunklen Nacht in der Seele, wenn das göttliche Licht nicht mehr leuchtet und die Stimme des Ewigen nicht mehr spricht. Gott ist da, aber er ist verborgen und schweigt. Warum das so ist? Es sind Gottes Geheimnisse, von denen
wir sprechen, und die lassen sich nicht restlos durchdringen. Gott ist Mensch geworden, um uns an seinem Leben aufs neue Anteil zu geben. Wir haben das zunächst als Anteil am göttlichen Leben gefaßt. Damit beginnt es, und das ist das letzte Ziel.

Dein Wille geschehe. Können wir das denn noch sprechen, wenn wir keine Gewißheit mehr haben, was Gottes Wille von uns verlangt? Haben wir noch Mittel, uns auf seinen Wegen zu halten, wenn das innere Licht
erlischt? Es gibt solche Mittel und so starke Mittel, daß das Abirren bei aller prinzipiellen Möglichkeit tatsächlich unendlich unwahrscheinlich wird. Gott ist ja gekommen, uns zu erlösen: uns mit sich zu verbinden, uns untereinander zu verbinden, unsern Willen dem seinen gleichförmig zu machen. Er kennt unsere Natur, er rechnet mit ihr und hat darum alles mitgebracht, was uns helfen
kann, ans Ziel zu gelangen.

Das göttliche Kind ist zum Lehrer geworden und hat uns gesagt, was wir tun sollen. Um ein ganzes Menschenleben mit göttlichem Leben zu durchdringen, dazu genügt es nicht, einmal im Jahr vor der Krippe zu knien und sich von dem Zauber der Heiligen Nacht gefangen nehmen zu lassen. Dazu muß man das ganze Leben lang im täglichen Verkehr mit Gott stehen, auf die Worte hören, die er gesprochen hat und die uns überliefert sind, und diese Worte befolgen. Vor allen Dingen beten, wie es Jesus selbst gelehrt und so eindringlich immer wieder eingeschärft hat. „Bittet, und ihr werdet empfangen.“ Das ist die sichere Verheißung der Erhörung. Und wer täglich von Herzen sein „Herr, dein Wille geschehe“ spricht, der darf wohl darauf vertrauen, daß er den göttlichen Willen auch da nicht verfehlt, wo er keine subjektive Gewißheit mehr hat.

Ferner: Christus hat uns nicht als Waisenkinder zurückgelassen. Er hat seinen Geist gesandt, der uns alle Wahrheit lehrt; er hat seine Kirche begründet, die von seinem Geist geleitet wird, und hat in ihr seine Stellvertreter eingesetzt, durch deren Mund sein Geist in Menschenworten zu uns spricht. Er hat in ihr die Gläubigen zur Gemeinschaft verbunden und will, daß einer für den andern einsteht. So sind wir nicht allein gelassen.

6.

Et Verbum caro factum est, und das Wort ist Fleisch geworden. Das ist Wahrheit geworden im Stall zu Bethlehem. Aber es hat sich noch erfüllt in einer andern Form. „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben.“
Der Heiland, der weiß, daß wir Menschen sind und Menschen bleiben, die täglich mit menschlichen Schwächen zu kämpfen haben, er kommt unserer Menschlichkeit auf wahrhaft göttliche Weise zu Hilfe. Wie der irdische Leib des täglichen Brotes bedarf, so verlangt auch der göttliche Leib in uns
nach dauernder Ernährung. „Dieses ist das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ Wer es wahrhaft zu seinem täglichen Brot macht, in dem vollzieht sich täglich das Weihnachtsgeheimnis, die Menschwerdung des Wortes. Und das ist wohl der sicherste Weg, das Einssein mit Gott dauernd zu erhalten, mit jedem Tage fester und tiefer in den mystischen Leib hineinzuwachsen.

Man hat für so viele nutzlose Dinge Zeit: allerhand unnützes Zeug zusammenzulesen, in Cafés herumzusitzen und auf der Straße Viertel- und halbe Stunden zu verschwatzen: alles „Zerstreuungen“, in denen man Zeit und Kraft splitterweise verschleudert. Sollte es wirklich nicht möglich sein, eine Morgenstunde herauszusparen, in der man sich nicht zerstreut, sondern sammelt, in der man sich nicht verbraucht, sondern Kraft gewinnt, um den ganzen Tag davon zu bestreiten?
Aber freilich, es ist mehr dazu erforderlich als die eine Stunde.

Mit wem man täglich umgeht, dessen Urteil kann man sich nicht entziehen. Da wird man allmählich sehr klein und demütig; man wird geduldig und nachsichtig gegen die Splitter in fremden Augen, weil einem der Balken im eigenen zu schaffen macht; und lernt es schließlich auch, sich selbst in dem unerbittlichen Licht der göttlichen Gegenwart zu ertragen und sich der göttlichen Barmherzigkeit zu überlassen, die mit all dem fertig werden kann, was unserer Kraft spottet. Es ist ein weiter Weg von der Selbstzufriedenheit eines „guten
Katholiken“, der „seine Pflichten erfüllt“, eine „gute Zeitung“ liest, „richtig wählt“ usw., im übrigen aber tut, was ihm beliebt, bis zu einem Leben an Gottes Hand und aus Gottes Hand, in der Einfalt des Kindes und der Demut des Zöllners. Aber wer ihn einmal gegangen ist, wird ihn nicht wieder zurückgehen.
So besagt Gotteskindschaft: Kleinwerden. Es besagt aber zugleich Großwerden.
Aus der Enge des eigenen Lebens herausgehen und in die Weite
hineinwachsen.
Das Zentralgeheimnis des christlichen Glaubens ist das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung. Das kleine persönliche Leben wird eingestellt in das große Werk des Erlösers …

Die Mysterien des Christentums sind ein unteilbares Ganzes. Wenn man sich in eines vertieft, wird man zu allen andern hingeführt. So führt der Weg von Bethlehem unaufhaltsam nach Golgotha, von der Krippe zum Kreuz. Wir stehen jetzt am Ende der weihnachtlichen Zeit: Mit dem Menschensohn durch Leiden und Tod zur Herrlichkeit der Auferstehung ist der Weg für jeden von uns, für die ganze Menschheit.