LEBENSKUNST – Begegnungen am Sonntagmorgen, 16.1.2022

Erinnern ist notwendig

Das Geheimnis allen Lebens feiern – Bibelessay zu Johannes 2, 1-11 | Das Erbe von Jahrhunderten ins Heute bringen – Rabbinerin Jasmin Andriani | Von der Notwendigkeit des Erinnerns – Ein Radioessay von Kurt Scholz | Jede Übersetzung ist ein Ringen – 500 Jahre Bibelübersetzung von Martin Luther

Das Geheimnis allen Lebens feiern

Bibelessay zu Johannes 2, 1-11

Die Erzählung von der Hochzeit zu Kana, wie sie sich im Johannesevangelium findet, birgt viel Geheimnisvolles und Symbolisches in sich: vom Zeitmaß der Auferstehung über ein mögliches Hochzeitsfest aller Menschen, bis zur Schönheit und Zärtlichkeit des Geheimnisses allen Lebens. Ohne Verbindung zum Judentum, in dessen Tradition der Verfasser steht, ist der Text freilich nicht zu verstehen, sagt Martin Jäggle. Gedanken des katholischen Theologen zum Bibelabschnitt, der am 16. Jänner auf dem Leseplan der katholischen Kirche steht – am Vortag jenes Tages, mit dem die christlichen Kirchen in Österreich an ihre Wurzeln im Judentum und ihre Weggemeinschaft mit dem Judentum erinnern wollen. Martin Jäggle ist Emeritus für Religionspädagogik an der Universität Wien und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Das Erbe von Jahrhunderten ins Heute bringen – Rabbinerin Jasmin Andriani

Eine Gemeinsamkeit von Christentum und Judentum besteht wohl auch darin, dass in deren unterschiedlichen Traditionen die Rolle der Frauen unterschiedlich definiert wird. Das orthodoxe Judentum hat – ähnlich wie die römisch-katholische und die christlich-orthodoxe Tradition – nicht alle religiösen Ämter für Frauen zugänglich gemacht. Diskussionen über die Rolle der Frauen gibt es also sowohl im Judentum, als auch im Christentum – auch wenn sich die Argumente unterscheiden. Eine, die ihre Rolle gefunden hat, ist Jasmin Andriani. 1983 in Tel Aviv geboren, ist sie als kleines Mädchen mit ihrer Familie nach Berlin übersiedelt – und hat Wurzeln in Wien. Heute ist sie Rabbinerin in zwei liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland, in Göttingen und Hannover. Ihre Ausbildung hat sie in Potsdam absolviert, am Abraham Geiger Kolleg, das der liberalen und progressiven Strömung des Judentums angehört. Brigitte Krautgartner mit einem akustischen Porträt.

Von der Notwendigkeit des Erinnerns – Ein Radioessay von Kurt Scholz

Nicht nur, aber auch der „Tag des Judentums“, den die christlichen Kirchen Österreichs am 17. Jänner begehen, macht die Notwendigkeit des Erinnerns deutlich, weil Erinnern und Gedenken zur Veränderung befähigen können. Unzählige Male ist in der Bibel der Imperativ „Sachor! Erinnere Dich!“ zu lesen. Erinnern heute, das meint auch den 20. Jänner 1942: Vor 80 Jahren hat am Stadtrand von Berlin die sogenannte Wannseekonferenz stattgefunden, bei der beschlossen wurde, die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten zu organisieren und die erforderliche Koordination sicherzustellen. Gedanken dazu von Kurt Scholz, er ist Vorsitzender des Zukunftsfonds der Republik Österreich und war unter anderem langjähriger amtsführender Wiener Stadtschulratspräsident. Kurt Scholz hat seinen Radioessay dem österreichischen Widerstandskämpfer Hermann Langbein (1912 – 1995) gewidmet.

Jede Übersetzung ist ein Ringen – 500 Jahre Bibelübersetzung von Martin Luther

Vor 500 Jahren, im September 1522, sind die Bücher des ursprünglich in Altgriechisch verfassten Neuen Testaments auf Deutsch herausgekommen – und der Theologe und Kirchenreformator Martin Luther hat damit den Grundstein für das moderne Neuhochdeutsch gelegt. Dabei ist jede Übersetzung ein Ringen um das richtige Wort in der jeweiligen Sprache und befindet sich im Spannungsfeld zwischen Philologie und Inspiration. Welcher Geist steckt in den Worten, was ist gemeint, was möchte der (antike) Verfasser sagen? Brigitte Krautgartner hat Überlegungen der evangelischen Theologin und Religionspsychologin Susanne Heine eingeholt. Ein Beitrag auch zum Ö1-Jahresschwerpunkt „Sprachen. Vielfalt. Verstehen“.

Redaktion & Moderation: Doris Appel