Praxis – Religion und Gesellschaft, 2.3.2022

Putins „Mütterchen Kirche“

Caritas appelliert: Humanitäre Hilfskorridore in Ukraine offenhalten | Religionssoziologin Kristina Stoeckl über Orthodoxie und Politik in Russland | Der vergessene Krieg im Jemen | Theatergruppe „Die Fremden“ bietet Fluchterfahrungen eine Bühne

Caritas appelliert: Humanitäre Hilfskorridore in Ukraine offenhalten

Nach einer knappen Woche Krieg wird auch die humanitäre Lage in der Ukraine immer prekärer. Selbst für jene Menschen, die sich frei bewegen können und die Räume, in denen sie Schutz gesucht haben, etwa zum Einkaufen verlassen können, wird es zunehmend schwierig, noch etwas in den Supermärkten zu bekommen. Noch schwieriger ist die Lage für jene Menschen, die ohnehin schon auf Hilfe angewiesen sind: Ältere, Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder auch Kinder und Jugendliche, die keine Familie haben.

Olga Chertilina ist Projektmanagerin der Österreichischen Caritas für Kinder und Jugend in der Ukraine. Sie befindet sich in Dnipro am Dnjepr, rund 400 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kiew, wo es derzeit noch relativ ruhig sei. Olga Chertilina konnte Judith Fürst per Sprachnachrichten über die aktuelle Lage informieren und meint: „Wir vertrauen auf Diplomatie, Gebet, Solidarität und Hilfe“. In der Zwischenzeit bereitet sich die Caritas hierzulande auf die Aufnahme von Flüchtlingen vor. Der Präsident der österreichischen Caritas Michael Landau ruft in einem dringenden Appell die Politik dazu auf, Korridore in die Ukraine offenzuhalten, damit Hilfsgüter ins Land gebracht werden können.

Religionssoziologin Kristina Stoeckl über Orthodoxie und Politik in Russland

Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., hat seine Unterstützung für den Angriff Russlands auf die Ukraine bekundet und die Gegner Russlands als „Kräfte des Bösen“ bezeichnet.
Alexandra Mantler spricht mit der Religionssoziologin Kristina Stoeckl von der Universität Innsbruck, deren Forschungsschwerpunkt der russisch-orthodoxen Kirche gilt, über das Verhältnis zwischen Wladimir Putin und der russisch-orthodoxen Kirchenführung und über die enge Verbindung zwischen nationaler und religiöser Identität in der Orthodoxie, die in den vergangenen Jahren noch stärker geworden sei.

Sowohl das Konzept der „Ruskimir“, der „russischen Welt“, als auch die Sicht von Russland als Verteidigerin der christlichen Werte gegen einen angeblich feindlichen Westen, seien ursprünglich theologische Konzepte gewesen, die nach und nach Eingang in die russische Politik gefunden hätten. Stoeckl spricht in diesem Zusammenhang von einer „politischen Theologie, die das Moskauer Patriachat vorgelegt hat, die wir jetzt politisch umgesetzt und am Werk sehen. Das ist eine Tragödie, die Kirche kann diese Geister nicht mehr stoppen.“

Der vergessene Krieg im Jemen

Auf den Krieg in der Ukraine sind derzeit die Augen der Weltöffentlichkeit gerichtet, doch auch anderswo wird gekämpft: Der Jemen ist ein Krisenherd, der im Moment etwas aus dem Fokus der Berichterstattung verschwunden ist. Doch seit 2015 bombardiert dort eine Allianz aus mehreren arabischen Ländern unter Führung Saudi-Arabiens das ärmste Land der arabischen Welt. Es ist kein „Religionskrieg“, sondern vielmehr ein geopolitischer Konkurrenzkampf mit verschiedenen religiösen Playern: die Houthis – deren Bewegung sich selbst „Ansarullah“ nennt – gehören einem Zweig des schiitischen Islam an. Sie halten nördliche Teile des Jemen und die Hauptstadt Sanaa und werden vom Iran unterstützt. Das wahhabitische Saudi-Arabien und seine sunnitisch-arabischen Verbündeten wollen einen stärkeren Einfluss des schiitischen Iran in der Region verhindern. Im Süden des Jemen gibt es eine separatistische Bewegung, und dazwischen sind Terrorgruppen wie Al-Qaida aktiv. Überall leidet die Zivilbevölkerung. „Ärzte ohne Grenzen“ leistet in verschiedenen Provinzen in insgesamt zwölf Spitälern Hilfe. Die medizinischen Einrichtungen wurden seit Beginn des Konflikts sechsmal bei Luftangriffen getroffen – ein Ende ist nicht in Sicht.
Lise Abid hat eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation im Jemen nach der aktuellen Situation gefragt.

Theatergruppe „Die Fremden“ bietet Fluchterfahrungen eine Bühne

In diesen Tagen ist viel von Krieg, Zerstörung und Flucht die Rede, doch die Betroffenen selbst, die solche traumatischen Erfahrungen gemacht haben, finden dafür oft keine Worte – noch dazu in einer fremden Sprache. Einen Weg aus der Sprachlosigkeit, das bietet die Theatergruppe „Die Fremden“ ihren Ensemblemitgliedern. Die Themen Flucht, Migration und Fremdsein spiegeln sich seit 30 Jahren, nicht nur im Namen, sondern ziehen sich auch als roter Faden durch ihr Schaffen. 2017 wurden „Die Fremden“ mit dem Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung ausgezeichnet.

In ihrem 23. abendfüllenden Stück „Ein Tasche mit Ziba“ stehen Frauenschicksale im Mittelpunkt: Etwa jenes von Lalita, einem afghanischen Mädchen, gespielt von Rabia Alizada, die selbst aus Afghanistan geflüchtet ist. Das Theaterstück wirft auch einen Blick in die Taschen der Geflüchteten: Eine Handvoll Erde aus der verlorenen Heimat findet sich darin, oder die Kekse, die einem die zurückgelassene Mutter noch zugesteckt hat. Ursula Unterberger war bei einer Probe dabei.

Moderation: Alexandra Mantler