Lebenskunst, 27.3.2022

Bibelessay zu Josua 5, 9-12

Das Pessach-Fest, ein Fest nach vielen schlimmen Erfahrungen – Bibelessay von Mirja Kutzer

Es sind keine guten Zeiten zum Feiern. In zwei Jahren Pandemie ist wenigstens mir die Lust auf große Feste mit vielen Menschen abhandengekommen. Wegen der Ansteckungsgefahr, einerseits. Aber auch weil mir nicht nach Feiern zumute war, bei den beständigen Nachrichten über die Auswirkungen des Virus und der Sorge um die Menschen, die mir lieb sind.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin, Professorin für Systematische Theologie an der Universität Kassel

Und jetzt dieser entsetzliche Krieg mitten in Europa, eine Urlaubsreise mit dem Auto von hier entfernt. Menschen sterben, sind auf der Flucht. Sie verlieren ihre Wohnungen, ihr Hab und Gut, ihre Liebsten, ihre Kinder. Nein, es sind keine guten Zeiten zum Feiern. Wie lässt sich dann aber reden über diesen Text, in dessen Zentrum ein Fest steht?
Das Volk Israel feiert Pessach – das Fest, das daran erinnert, dass die Eltern und Großeltern einst Sklaven in Ägypten waren und dass Gott sie befreit hat. Bis heute feiern Jüdinnen und Juden Pessach, und auch in diesem Jahr ist es bald wieder soweit. Das acht Tage dauernde Fest beginnt am 15. April mit dem Frühjahrsvollmond. Wenige Tage später werden Christinnen und Christen dann Ostern feiern.

Der Text im Josua-Buch berichtet vom ersten Pessach-Fest, das in Kanaan, der alten neuen Heimat des Volkes Israel gefeiert wird. Es ist ein Fest nach vielen schlimmen Erfahrungen. Die Bibel erzählt im Buch Exodus von der Unterdrückung in Ägypten, von harter Sklavenarbeit, von der Tötung von Kindern. Nachdem das Volk mit Gottes Hilfe aus Ägypten fliehen kann, folgen die Jahre in der Wüste – eine entbehrungsreiche Wanderung, während der das Volk ums Überleben kämpft, in der es mit äußerer Not wie innerer Unzufriedenheit umgehen muss, in der es zu tödlichen Zwistigkeiten kommt und eine ganze Generation schuldig wird. Keiner von denjenigen, die von Ägypten aufgebrochen waren, hat das neue Land erreicht.

Es sind die Nachkommen, die nun feiern. Eine Generation, die vieles nicht mehr selbst erlebt hat. Und doch erinnert der Text wenige Verse zuvor an all diese Erfahrungen von Gewalt, Bedrohung und Schuld. Sie sind als Erinnerungen präsent, womöglich als Traumata, die sich in die Körper und die Seelen eingetragen haben und die oft noch über Generationen spürbar sind. So vieles muss erst bewältigt werden, damit ein neues Leben möglich wird.

Hier, am Ort des Festes, wird es erst einmal abgewälzt – und die Metapher mag hier für sich sprechen. Gilgal, Wälzplatz, wird dieser Ort denn auch heißen. Von hier aus wird das Volk Israel in den Krieg ziehen, um Kanaan zurückzuerobern. Hierher wird es nach den Kriegszügen immer wieder zurückkehren. Das Leben im neuen Land – noch ist es nicht friedlich. Und es wird genügend geben, was auch dann immer wieder abgewälzt werden muss.

Wann können Menschen nach solchen Erfahrungen wieder unbeschwert feiern? Wann wird das, so frage ich mich unwillkürlich, in der Ukraine wieder möglich sein? Wann werden dort die Menschen die Felder wieder ungestört vom Krieg bestellen können? Und wann werden die Traumata soweit bewältigt sein, dass Menschen wieder froh sind?

Was den Bibeltext angeht: Da sind die Zweifel mittlerweile groß, dass sich der Exodus, der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, so oder auch nur so ähnlich zugetragen hat, wie es die Bibel schildert. Deutlich ist aber, wann diese Geschichte erzählt wurde: Die ersten Textzeugnisse stammen aus der Zeit des babylonischen Exils im 6. Jahrhundert vor Christus. Die Babylonier hatten Jerusalem und Juda erobert und weite Teile der Bevölkerung nach Babylon deportiert. Hier, fern der Heimat, wird die Geschichte vom Exodus erzählt als eine Geschichte der Hoffnung:

So wie damals, in der erzählten Vergangenheit, wird auch hier die Not doch nicht ewig dauern. Irgendwann wird die Rückkehr in die Heimat sicher möglich werden. Die Äcker werden sich wieder bestellen und die Feldfrüchte ernten lassen. Und irgendwann wird es wieder Feste geben. Vielleicht, denke ich mit dem optimistischeren Teil meines Herzens, kann man auch heute den Text mit diesen Ohren hören – und hoffen, dass alles gut wird.