Lebenskunst, 18.4.2022

Bibelessay zu Lukas 24, 13-35

Auf dem Weg nach Emmaus – Diese Erzählung ist nur im Lukasevangelium im Neuen Testament überliefert

Es ist die Erfahrung von Kleopas und einer zweiten Person, von der weder Name noch Geschlecht überliefert sind, nach der Ermordung Jesu. Die beiden gehören zur Gruppe rund um Jesus von Nazareth (genannt „Jünger“), sie sind entsetzt und traurig und reden miteinander über die Geschehnisse der vergangenen Tage. Sie beschreiben die Jesus-Geschichte in kurzen Worten: Jesus war ein Prophet – sie dachten, er brächte Freiheit. Aber: Er wurde von den Mächtigen ermordet…

Helga Kohler-Spiegel
ist Professorin für Human- und Bildungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und (Lehr-)Supervisorin. Feldkirch

Im Vordergrund dieser (vieldeutigen) Erzählung auf dem Weg nach Emmaus stehen zwei Elemente: Bewegung und Gespräch. Beides zielt auf Veränderung, sich Lösen aus diesem Entsetzen.
Die beiden Jünger werden in ihrer Erschütterung beschrieben, sie gehen und reden, aber ihr Blick ist erstarrt („gehaltene Augen“ heißt es im Text), ihre Gedanken kreisen, die Wahrnehmung nach außen ist eingeschränkt, sie erkennen Jesus nicht.

Aus psychologischer Sicht ist das nicht überraschend, dass Menschen in Angst und Bedrohung so reagieren. Zugleich zeigt die Erzählung vom Weg nach Emmaus schrittweise die mögliche Veränderung: Die beiden bewegen sich ganz konkret, sie gehen. Sie gehen zu zweit – oft ist wichtig, nicht zu vereinzeln. Und sie verstummen nicht, sie reden über das Geschehene, sie benennen das Erlebte, die Enttäuschung und die Angst und das Entsetzen und die Wut. Die beiden wissen, dass die anderen aus der Jesus-Gruppe, Frauen wie Männer, es ebenso machen. Fachlich ist das richtig, bei massiven Erschütterungen Körperhaltung verändern, nicht alleine sein, Worte finden.

In dieser Erzählung kommt Jesus dazu, in der Begleitung von Menschen im Entsetzen kann eine nicht beteiligte dritte Person hilfreich sein, die fragt und zu verstehen und einzuordnen hilft, die beitragen kann zum Weitergehen – und manchmal auch zu einer neuen Sichtweise. Der Weg der drei Personen nach Emmaus endet so, dass die beiden die Veränderung spüren, bevor sie diese benennen und verstehen können.

Das Lukasevangelium erzählt diese Veränderungen mehrfach, die Erfahrung der Frauen, die Erfahrung verschiedener Personen, die zur Gruppe der Jesus-Anhänger/innen gehören, und diese Weggeschichte nach Emmaus. Manche Geschichten müssen mehrfach und immer wieder erzählt werden, damit sie realisiert werden können.

Bei Kindern ist es oft so, dass sie eine Geschichte immer wieder hören wollen. Diese Auferstehungserfahrungen müssen – so glauben Christinnen und Christen – Jahr für Jahr und auch während des Jahres immer wieder erzählt werden, damit Entsetzen und Angst etwas weniger werden, damit den Menschen die Augen aufgehen und das Herz brennen können, damit Menschen das Brotbrechen und Teilen nicht vergessen.
Für mich ist diese Überzeugung gegenwärtig unverzichtbar: Nicht die Gewalt der Mächtigen wird siegen, sondern das Leben. – Nicht die Dunkelheit, sondern das Licht.