LEBENSKUNST, 19.6.22, Sr. Christine Rod

Bibelessay zu Lukas 9, 18 – 24

Das verrückte Vertrauen in das Leben – allen Widersprüchen zum Trotz

Da war was los – in der Vorgeschichte des Evangeliums, das heute in den katholischen Kirchen gelesen wird. Jesus aus Nazareth, der Wanderrabbi – und für manche auch der Wunderrabbi – war schon einigermaßen bekannt; er hatte schon seine Schüler, die er auch noch „trainiert“ und ausschickt. Es kamen bereits Leute von näher oder ferner, um ihn zu erleben und sich etwas von ihm zu erwarten. Kurz vor der eben gehörten Episode war von der Brotvermehrung zu lesen, die mehrere tausend Leute satt gemacht hat. Und da hört man auch, dass Herodes, dieser maßlose und doch so angstbesetzte König, fragen lässt: Wer ist denn dieser herumziehende Rabbi, von dem man solche Dinge hört?

Sr. Christine Rod
ist von der Ordensgemeinschaft der Missionarinnen Christi,
Generalsekretärin der Österreichischen Ordenskonferenz

Fragen der Einsamkeit

Nun also wirklich zum heutigen Text: Die Scharen, die das Brotwunder mitbekommen hatten, sind weg, und Jesus betet in der Einsamkeit. In dieser Einsamkeit stellt er Fragen, die für ihn wesentlich sind und die ihn im Herzen bewegen. Und die merkwürdiger Weise der Frage des Herodes ähnlich sind, wenn es darum geht, wer Jesus ist. Wer ist Jesus für die Menschen, denen er das Reich Gottes – sein Herzensanliegen – verkündet und für die er sein Herzblut gibt? Wer ist er für seine Jünger, seine Schüler und Schülerinnen, oder – wie sie wörtlich genannt werden – für diejenigen, die hinter ihm hergehen?
Und noch mehr: Wer ist er für seine Freunde, von denen er hofft, dass wenigstens sie mit ihm gehen und ihn verstehen? ==

„Der Christus, also der Messias Gottes“ antwortet Petrus treffsicher auf die Frage Jesu. Aber Jesus geht darauf nicht besonders ein; er zeigt sich – abgesehen von der Bitte, darüber zu schweigen, weil er wohl eine politische Verzweckung befürchtet – eher unbeeindruckt, und er wird noch wesentlicher:

Er kommt, so wie es Lukas gegen Ende des ersten Jahrhunderts erzählt, zunächst auf seinen eigenen Tod zu sprechen, der ein gewaltsamer Tod sein wird: „… vieles erleiden, verworfen werden, getötet werden“ heißt es. Aber Jesus wird durch den Evangelisten Lukas auch schon die Auferstehung in den Mund gelegt. Kein Wunder, dass bei derartigen Ankündigungen die Freunde nach dem großmundigen Bekenntnis des Petrus ganz still werden. Sie sind irritiert und haben dem Gesagten nichts hinzuzufügen.
Dann wird Jesus noch einmal ernster und spricht nicht nur von seinem eigenen Schicksal, sondern auch von Paradoxien, von Widersprüchen eines Lebens in der Gemeinschaft mit ihm. Es ist verrückt: Da ist vom Leben-retten und vom Leben-verlieren die Rede, und zwar in einer scheinbar verdrehten Weise. Niemand, der einigermaßen vital ist, der Freude am Leben hat und dieses Leben selbstbestimmt führt, will sich selber verleugnen. Niemand, der gesund und lebensfroh ist, will freiwillig sein gelingendes, sein sinnvolles, sein „gerettetes“ Leben verlieren.

Lebenskunst
Sonntag, 19.6.2022, 7.05 Uhr, Ö1

Nach der Lektüre dieser und anderer Schriften im Neuen Testament bin ich überzeugt: Jesus will durch und durch das Leben, und er benennt, was wirklich zum Leben führt: Das verrückte Vertrauen in das Leben – allen Widersprüchen zum Trotz. Die Fähigkeit und der Wille, sich für etwas oder jemand anderen zu investieren, ohne ständig daran zu denken, sich zu schonen. Die großzügige Bereitschaft, sich dem Leben und Gott, der Quelle des Lebens, hinzugeben, ohne sich an den eigenen Sicherheiten, an der eigenen kleinen Welt, am eigenen Glück festzuklammern. Ich glaube: Es ist die Hoffnung auf Gottes verrückte Großzügigkeit, die – entgegen eigener Vorstellungen – zu einem neuen Gewinnen, zu einer „Rettung“ des Lebens führt.

Mein Vorsatz:
Ich möchte in dieser Woche den Widersprüchen und Verrücktheiten des Lebens nachgehen, und ich vertraue darauf, die Spur Gottes darin zu entdecken, der mein Leben in diesem Sinne retten will. Und ich bin überzeugt: nicht nur meines.