Sonntag, 26.6.2022, Gudrun Sailer

Vaterunser

Vater unser im Himmel. Ob es ein Gebet gibt, das mehr Leute auf der Welt sprechen als dieses?

Ich weiß es nicht. Sicher ist das Vaterunser das bekannteste christliche Gebet, überhaupt. Bei jedem Gottesdienst auf der Welt sprechen Christen und Christinnen es gemeinsam. Jesus selbst hat es seinen Freunden beigebracht mit der einfachen Ansage, typisch Jesus: „So sollt ihr beten“.

In Rom, wo ich seit bald 20 Jahren lebe und für Radio Vatikan arbeite, wird das Vaterunser in unzähligen Sprachen gebetet. Denn wegen des Papstes sind viele katholische Gemeinden auch von weit her hier ansässig. Allein bei uns im Sender sind es 40 Sprachen, wir haben eine Studio-Kapelle, aus der täglich Messen rund um den Globus übertragen werden.

Gudrun Sailer
stammt aus Niederösterreich und ist Redakteurin bei Radio Vatikan in Rom

Das Vaterunser auf Arabisch, auf Chinesisch, auf Swahili… Mich macht das schon ehrfürchtig, wenn ich mir vorstelle: Überall auf der Welt beten zur selben Zeit wie ich Gläubige dasselbe Gebet, in ihren eigenen Sprachen. Am Amazonas, in Kapstadt, in einem Dorf in Südindien und in Gries am Brenner. Dasselbe Gebet, das die Jünger in Galiläa gebetet haben, dann die frühen Christen in Rom, die Gläubigen im Mittelalter und zur Zeit von Martin Luther, und heute, in Krisen, Kriegen und Frieden: seit 2000 Jahren dasselbe Gebet. Orthodox, katholisch, evangelisch oder sonst christlich: dasselbe Gebet, die Hinwendung zum selben Vater unser im Himmel. Wir sind Geschwister, durch die Länder, Sprachen und Zeiten hindurch.
Hier ist es, das nahtlose und unzerteilte Gewand von Jesus.