Donnerstag, 30.6.2022, Gudrun Sailer

Das Navi, das mich hören lehrt

Bin ich eine gute Zuhörerin? Die Frage können wir uns alle stellen. Höre ich hin?

Oder warte ich nur, bis mein Gegenüber mit der Stimme unten ist, um dann gleich einzuwerfen, was mir schon längst auf der Zunge liegt? Höre ich hin oder tue ich nur so, weil mich das Ganze gar nicht so interessiert?

Kürzlich habe ich auf dem neuen Mobiltelefon mein erstes Navi installiert. Das brauche ich selten, aber immer dann, wenn ich mit dem Moped einen Stadtteil von Rom ansteuere, den ich nicht kenne. Mich macht das jedes Mal konfus wegen der Einbahnen und Schnell- und Hochstraßen: Verpasst man die Ausfahrt, sind zehn Minuten weg, man kommt zu spät und hat neben eigener und fremder Zeit auch noch Benzin verplempert, Nerven sowieso.

Gudrun Sailer
stammt aus Niederösterreich und ist Redakteurin bei Radio Vatikan in Rom

Das Navi ist eine Offenbarung. Ruhig und souverän lenkt mich die Frauenstimme durch den Höllenverkehr ans Ziel, auf Straßen, die mir neu sind. Glatt geht das nur unter einer Bedingung: Man muss der Stimme gut zuhören, jedes Mal, wenn sie spricht. Interessant ist, dass mein Mann mir neuerdings kaum noch vorwirft, ich sei mit dem Kopf schon wieder ganz woanders statt im Gespräch mit ihm. Hat mir das Navi nicht nur Zeit, Benzin und Nerven gespart, sondern auch beigebracht, besser zuzuhören? Kann das sein?

Ich glaube ja oft, neue Technik lässt alte Talente in uns verkümmern. Ja, ein Navi schult meinen Orientierungssinn wohl eher nicht. Aber dass es mich nicht nur ans Ziel bringt, sondern auch noch Zuhören lehrt, das nehme ich gerne mit. Es lebe der menschliche Erfindergeist!