Zwischenruf 10.7.2022

Ibrahim, Ismael und das Gottvertrauen

Derzeit feiern Musliminnen und Muslime das Opferfest – es ist das wichtigste Fest im Islam, vergleichbar mit dem Osterfest des Christentums. Es findet immer zum Höhepunkt der Pilgerfahrt nach Mekka statt und erstreckt sich über vier Tage. Für mich ist das Opferfest eine gute Gelegenheit mich an einen wichtigen Grundsatz im Islam zu erinnern: das Gottvertrauen. – Tawwakul.

Tawakkul meint, alles zum Gelingen einer Angelegenheit zu unternehmen und dann auf Allah, seine Barmherzigkeit und seine Weisheit, zu vertrauen. Gläubige der sunnitischen und schiitischen Tradition ehren mit dem Opferfest den Propheten Ibrahim – auch als Abraham bekannt, den „Ur-Vater“ der drei monotheistischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam.

Gott braucht keine Menschenopfer

Im Koran wird gesagt, dass Ibrahim ein mit besonderem Gottvertrauen gesegneter Mann war und zwei Söhne hatte, die er sehr liebte: Ismael und Isaak. Eines Nachts hat er einen außergewöhnlichen Traum, in dem er aufgefordert wird, einen der beiden, nämlich Ismael, zu opfern. Diese Aufforderung ist für Ibrahim unvorstellbar schwer, fast unerträglich. Als er Ismael davon erzählt, antwortet dieser „Vater, tue, was Gott dir befohlen hat.“ Ismael ist bereit, diese Prüfung einzugehen und nachdem Ibrahim ein zweites Mal denselben Traum hat, entschließt er sich, das Unvorstellbare zu tun.

Zwischenruf
Sonntag, 10.7.2022, 6.55 Uhr, Ö1

An diesem Punkt der Geschichte taucht immer wieder die Frage auf: Wie kann das sein? Wozu stellt Gott solche Forderungen? Was ist das für eine Grausamkeit vom Vater, den Tod des eigenen Kindes zu verlangen. Und es stimmt: Mit Logik lässt sich das nicht erklären.

Wie wir im Nachhinein wissen, endet die Geschichte gut für Ibrahim und Ismael. Gott hat Barmherzigkeit gezeigt und verhindert, dass dem Kind Leid zugefügt wird. Stattdessen wurde ein Widder gesendet, der schlussendlich geopfert wurde.

Die Botschaft dieser Überlieferung ist für mich eindeutig: Gott ist ein Barmherziger, den Menschen in Liebe Zugewandter. Er braucht keine Menschenopfer, keine Kriege, die in seinem Namen geführt werden und in denen unschuldige Zivilisten sterben. Im Gegenteil. Gottvertrauen zu haben bedeutet, mit anderen Menschen geduldig und barmherzig zu sein. Vergeben zu können und einen gemeinsamen Weg zu suchen.

Opferfest als Erinnerung

Viele muslimische Gelehrte sind sich einig, dass die Botschaft dieser Geschichte von Ibrahim und seinem Sohn darin besteht, dass man sich selbst immer wieder hinterfragen soll: Wie steht es mit meinem Gottvertrauen? Mit meiner Standhaftigkeit im Glauben? Für gläubige Musliminnen und Muslime ist diese Geschichte ein Beweis dafür, dass sie vollkommen auf Gott und seine Zuwendung zu uns Menschen bauen können. In einem alten deutschen Sprichwort heißt es „Der Mensch denkt und Gott lenkt“.

Für mich persönlich bedeutet dieses Vertrauen auf Gott ein Stück Freiheit und „loslassen“ Können: Gott und seine Zuwendung als Sicherheitsnetz für mein Leben. Ich kann darauf vertrauen, dass, wenn ich mein Bestes gebe, auch das Beste passiert. Dafür bin ich sehr dankbar.

Der Prophet Mohammed (Friede und Segen sei mit ihm) führte das Opferfest als Erinnerung an Ibrahims Hingabe während der ersten Pilgerfahrt nach Mekka ein und bis heute feiern Millionen Muslime dieses Fest – manche von ihnen pilgern nach Mekka, andere feiern zu Hause, bei Verwandten oder Freunden.