Freitag, 15.7.2022, Friedrich Orter

„Die Gerechtigkeit besteht darin, dass es keine gibt…“

Zum 100. Geburtstag von Georg Kreisler. „Die Gerechtigkeit besteht darin, dass es keine gibt…“, bilanziert ein verbitterter Georg Kreisler seine Lebenserfahrungen.

Zu seiner Geburtsstadt Wien hatte er zeitlebens ein gespanntes Verhältnis:

„Wien, die einzige Stadt, in der ich geboren bin…diese Stadt hat nie einen Finger für mich gerührt“, klagte er einmal. „In Wien starb ich den Heldentod / Ich wollte nicht mehr stinken/ Man sprach ein letztes Zuckerbrot / Und ließ die Peitsche sinken Es lächelte der Stephansturm / Bis in mein Grab hinein / Und rief: Wohlan, du Wiener Wurm, nun kannst du glücklich sein Und wenn ein Wiener Patriot/ Sich jetzt bei mir beschwert / Dann sag ich: Stirb den Heldentod / Der hat sich sehr bewährt .“

Friedrich Orter
ist Journalist und Autor

Und auch mit dem Staat Österreich, dessen offizielle Vertreter sich nach Kreislers Tod mit Ehrerbietungen überboten, kamen nicht auf die Idee, dem Vertriebenen zu Lebzeiten die Staatsbürgerschaft zurückzugeben. Konsequent verbat sich Kreisler daher in seinen letzten Lebensjahren jede offizielle Ehrung durch den österreichischen Staat. Der ätzende Zeithistoriker, der scharfe Beobachter mit dem zynisch-provokanten Humor wurde mit zunehmendem Alter immer radikaler in seinen politischen Ansichten. „Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen / Statt die Verantwortlichen niederzumachen.“ Texte wie dieser trugen ihm auch den Vorwurf ein, ein „Troubadour des Terrors“ zu sein, wie etwa sein lebenslanger Gegenspieler Gerhard Bronner formulierte.

Ein Politiker hat keine Liebe

Kreisler, der misstrauische Gegner von Lügen und Halbwahrheiten, verstand sich als Anarchist: „Anarchismus ist keine Macht für Niemanden“, gab er zu bedenken und präzisierte seine Auffassung wenige Jahre vor seinem Tod im November 2011 in einem Zeitungsinterview. „Ich glaube, jeder Künstler ist Anarchist, sonst ist er kein Künstler. Das hat nichts mit Bombenwerfen zu tun, sondern mit dem Glauben an Gewaltlosigkeit, Abschaffung von Herrschaft und Macht, Eigentumsmöglichkeiten für alle und die Förderung individueller Eigenarten. Als Künstler darf man eine Utopie nicht über Bord werfen. Als Politiker muss man das sogar.“

„Ein Politiker hat seine Macht. / Ist er rege, / Geht die Macht bald eig’ne Wege, / Und beherrscht ihn selber, ehe er’s gedacht. /
Durch Verschlingung / Wird sie schließlich zur Bedingung, /
Ihr stetes Wachstum wird sein Lebensunterhalt./
Ein Politiker hat keine Liebe,/ Ein Politiker hat nur Gewalt. Ein Politiker muss isoliert sein/ Lass ihn tanzen dort am Rande des Vesuvs/ Denn Gefühle stören immer seine Kühle/ Das ist nichts als eine Folge des Berufs/ Du geh der Liebe nach/ Genieße deine Triebe/ Alles andere wäre unverantwortlich/ Ein Politiker hat keine Liebe/ Ein Politiker hat dich und mich.“

Literaturhinweise:

  • Georg Kreisler: Alles hat kein Ende, Arco Verlag 2004
  • Georg Kreisler: Lola und das Blaue vom Himmel, Edition Memoria 2002
  • Georg Kreisler: Letzte Lieder, Arche Literaturverlag 2009
  • Hans-Juergen Fink und Michael Seufert: Georg Kreisler gibt es gar nicht, Fischer Verlag 2005
  • Georg Kreisler: Doch gefunden hat man mich nicht, Atrium Verlag 2014
  • Georg Kreisler: Seltsame Gesänge, dtv-Verlag 1964
  • Robert Lackner: Camp Ritchie und seine Österreicher, Böhlau Verlag 2020