Samstag, 16.7.2022, Friedrich Orter

„Der Tod, das muss ein Wiener sein“

Zum 100. Geburtstag von Georg Kreisler. Ausklang einer Woche mit Georg Kreislers Gedanken: „Der Tod, das muss ein Wiener sein“. Oder wie Kreisler, der Lebensphilosoph, an anderer Stelle schreibt: „Das Leben überfordert den Menschen, der Tod nicht.“

Ein Satz, der mir während meiner Arbeit als Reporter in Kriegs- und Katastrophengebieten immer wieder in den Sinn kam. Die Konfrontation mit dem Sterben, mit dem Tod mir Unbekannter in Leichenschauhäusern auf Kriegsschauplätzen, lässt mich zweifeln, ob der Tod, wie Kreisler ihn besingt, ein Wiener sein muss. Er ist es gewiss nicht in der Ukraine, in Afghanistan, in Syrien. Er ist der große Gleichmacher, wie ihn zwei Autoren der Antike wahrnehmen, die ich – Zufall oder nicht – gleichzeitig mit einem Gedichtband Kreislers als Fünfzehnjähriger zum ersten Mal las. Epikur und Horaz. Zwei Sätze über das Sterben von zwei Autoren, die mich immer wieder zum Nachdenken bringen: „Solange wir existieren, ist der Tod nicht da. Und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“- Ein Satz des Epikur. „Der Tod ist das Ende aller Dinge, die letzte Trennlinie der Realität und Wahrheit“. – Ein Satz von Horaz.

Friedrich Orter
ist Journalist und Autor

Der Tod muss ein Wiener sein

Kreisler, der Epikuräer und Stoiker, lässt uns in seinen Texten und Liedern ja im Unklaren, ob mit dem Körper auch die Seele stirbt oder diese unsterblich bleibt. Sein Begräbnis war frei von religiösen Zeremonien. Irgendwie hatte er es aber doch auch mit der Religion: „Zu leugnen, dass es einen Gott gibt, ist vor allem unglaublich arrogant, denn es bedeutet, dass alles, was über unseren Horizont geht, nicht existiert. Nun gibt es auch Spinozas Gott, also einen Gott, der alles geschaffen hat und dann weggegangen ist. Aber dem widerspricht unter anderem die Kunst, denn für Künstler ist der Glaube an einen präsenten Gott eine Selbstverständlichkeit.“

Also heißt es, von Kreisler lernen – von diesem wortschöpferischen, fabelhaften Pianisten, von diesem einzigartigen Sprach-Jongleur zwischen makabrem Witz und sinnvollem Unsinn. Auch das Untragbare ist erträglich, das Unverständliche verständlich und das letztlich Unfassbare fassbar, wenn es im Walzerklang auf uns zukommt.

„Der Tod das muss ein Wiener sein/ genau wie die Lieb a Französin/Denn wer bringt dich pünktlich zur Himmelstür/Ja, da hat nua a Wiener das Gspür dafür/ Der Tod, das muss ein Wiener sein/ Nur er trifft den richtigen Ton/ Geh Schatzerl, geh Katzerl, was sperrst dich denn ein/ Der Tod muss ein Weana sein/ geh Mopperl, du Tschopperl, na komm brav mit´n Freund Hein./ Na kumm schon/ Der Tod muss ein Wiener sein.“

Literaturhinweise:

  • Georg Kreisler: Alles hat kein Ende, Arco Verlag 2004
  • Georg Kreisler: Lola und das Blaue vom Himmel, Edition Memoria 2002
  • Georg Kreisler: Letzte Lieder, Arche Literaturverlag 2009
  • Hans-Juergen Fink und Michael Seufert: Georg Kreisler gibt es gar nicht, Fischer Verlag 2005
  • Georg Kreisler: Doch gefunden hat man mich nicht, Atrium Verlag 2014
  • Georg Kreisler: Seltsame Gesänge, dtv-Verlag 1964
  • Robert Lackner: Camp Ritchie und seine Österreicher, Böhlau Verlag 2020