Freitag, 12.8.2022, Michaela Obertscheider

Vom Fühlen und Erfüllen

Viktor Hugo: „Melancholie ist das Vergnügen traurig zu sein.“ Wenn wir mit sogenannten negativen Gefühlen oder Zuständen konfrontiert sind, ist das nicht immer schön, oft nicht angenehm, aber meist notwendig.

Sei’s, weil wir in einer Angst verhaftet sind, oder Selbstzweifel uns in eine Traurigkeit stürzen lassen, sei’s, weil wir Wut empfinden, vielleicht aufgestaute Wut, sei’s wie‘s sei. Wir sind, so denke ich, gerade dort gefordert hinzuschauen, hinzuhören. Weil das notwendige Unwohlsein etwas aufzeigen soll und will. So habe ich das gelernt im Zusammenhang mit gewaltfreier Kommunikation und anderen Kontexten, wo es um ganzheitliche Selbstentfaltung geht, gelernt und geübt. Und üben gelernt.

Michaela Obertscheider
ist Kabarettistin, Theaterregisseurin und Resilienztrainerin

Die sogenannten „negativen Gefühle“

Wenn wir Schmerzen und unangenehme Gefühle respektieren, würdigen, lesen lernen, können wir Wertvolles über unser selbst erfahren und über unsere persönlichen innersten Bedürfnisse, aus denen wir wesentliche Teile des individuellen Wertekanons schöpfen können. Und das ist manchmal deckungsgleich mit dem, was das eigene Leben sinnLICH macht. Und so können wir die gesellschaftlichen Entwicklungen unterstützen und uns sinnVOLL fühlen.

Dort wo wir mit diesen unangenehmen Empfindungen noch hadern, uns ihrer schämen, sie verstecken oder unterdrücken wollen, verhalten wir uns ein bisschen so, als hätten wir uns ein Bein gebrochen und anstelle einer notwendigen Versorgung und einer vergipsten Schonung melden wir uns stattdessen für einen Trampolin-Wettbewerb an. Wir machen es uns doppelt schwer. Es kann einen selbst tief berühren und verwandeln, in einer Gruppe respektiert zu werden, trotz des Trotzes, wertgeschätzt und gehalten zu werden in der Traurigkeit oder der Verwirrung. Miteinander präsent so lange damit zu sein, bis es sich durch – zum Beispiel – Akzeptanz einfach löst. Oder durch eine weiterführende, inspirierende Frage, durchs An- und Aussprechen. Und durchs künstlerische Ausdrücken. Diese sogenannten „negativen Gefühle“ gehören unbedingt mit auf die Klaviatur unserer liebevollen Selbstbeziehung.