Lebenskunst 4.9.2022, Julia Schnizlein

Bibelessay zu Apostelgeschichte 9, 1-12.17-20

Die Bekehrung des Saulus – Manchmal muss man stolpern, manchmal auch fallen, um den richtigen Weg zu finden. Vor Jahren, ich war damals noch als Journalistin tätig, habe ich eine Reportage über Zufriedenheit geschrieben. Ich habe mich auf die Suche nach Menschen gemacht, die von sich behaupten, zufrieden und in Frieden mit sich zu sein.

Erstaunlicherweise waren die meisten Menschen, die sich auf meinen Aufruf hin meldeten, nicht gerade auf die Butterseite des Lebens gefallen. Sie hatten Lebensbrüche und tiefe Krisen durchgemacht. Sie alle waren auf die eine oder andere Art aus ihrem Leben gefallen und hatten ein neues, ein besseres Leben gefunden.

Julia Schnizlein

ist Theologin und evangelische Pfarrerin an der Lutherischen Stadtkirche in Wien

Der tiefe Fall

Von einem Fall berichtet auch die soeben gehörte Bibelstelle. Es ist der Sturz des Saulus von Tarsus. Saulus, besser bekannt unter seinem römischen Namen Paulus, ist glücklich mit seinem Leben. Er ist angesehen und erfolgreich als griechisch gebildeter, jüdischer Gelehrter. Nur die neue religiöse Strömung ist ihm ein Dorn im Auge. Die aus dem Judentum hervorgegangenen „Christen“ halten Jesus aus Nazareth für den erwarteten Messias, für den Christus.

Saulus glaubt anfänglich nicht, dass dieser Jesus der Messias war. Zurecht sei er von den Römern als Gotteslästerer hingerichtet worden. Und so soll es nun auch seinen Anhängern ergehen. Mit dieser Einstellung macht sich der selbstsichere und tatkräftige Mann auf den Weg nach Damaskus. Doch auf dem Weg dorthin passiert etwas. Saulus geht plötzlich zu Boden. Wie vom Blitz getroffen fällt er. Er sieht nichts mehr. Ist hilflos, wie ein Baby. Er, der sich immer als der Starke gesehen hat, der Jähzornige ist nun auf fremde Hilfe angewiesen. Unbeholfen muss er selbst an der Hand in jene Stadt geführt werden, aus der er andere Menschen gefesselt und geschlagen führen wollte. Welche Schmach. Wie tief der Fall für Saulus ist, kann man nur erahnen.

Lebenskunst
Sonntag, 4.9.2022, 7.05 Uhr, Ö1

Der Beginn von Paulus persönlicher Heilsgeschichte

Die Begegnung mit Jesus, die heute so viel zitierte Verwandlung vom Saulus zum Paulus, ist ein schmerzhafter, ein entwürdigender Akt, der den ganzen Menschen zutiefst erschüttert. Paulus muss tatsächlich blind werden, um zu erkennen, wie blind er bis dahin war, als er Menschen wegen ihres Glaubens gehasst und verfolgt hat. Jesus selbst durchkreuzt die Pläne des Paulus und gibt seinem Leben eine ganz neue Richtung. Und Saulus lässt sich darauf ein. Aus dem glühenden Christenverfolger wird DER Missionar des Christentums. Aus Saulus wird Paulus.

Was von außen wie ein Unfall anmutet, war der Beginn von Paulus persönlicher Heilsgeschichte. Objektiv gesehen war sein Leben nach der Bekehrung nicht unbedingt besser. Ruhe- und heimatlos wurde es. Paulus erlebte Verfolgung, Gefängnis, Folter und schließlich den gewaltsamen Tod. Und trotzdem hätte er dieses Leben um nichts in der Welt gegen sein Altes eingetauscht. Paulus war mit sich im Reinen, weil er mit Jesus im Reinen war und erkannt hat, dass Hass blind macht.

Nicht immer muss eine Bekehrung, eine Lebenswende so dramatisch sein wie die des Paulus. Aber manchmal braucht es eben eine Erschütterung, einen „Zwischen-Fall“, um zu erkennen, dass man auf dem Holzweg ist. Um zu verstehen, dass das Glück nicht daran gekoppelt ist, dass die eigenen Pläne und Wünsche in Erfüllung gehen. Meine Erfahrung ist: Manchmal hilft es, wenn man sprichwörtlich von jemandem an die Hand genommen wird und einem die Augen geöffnet werden für das, was wirklich wichtig ist und trägt und hilft im Leben.