Lebenskunst 4.9.2022, Hubert Gaisbauer

Gespräch vor der Himmelstür

Prinzessin Diana und Mutter Teresa. Kurz bevor Mutter Teresa im August 1997 schwer krank geworden war, hat sie jemand an diesen Traum erinnert, den sie einmal einem Bischof erzählt hatte.

"Ich bin gestorben und komme an der Himmelspforte vor den Heiligen Petrus. Der sagt zu mir: Geh! Im Himmel gibt es keine Slums! Verärgert antwortete ich: Dann werde ich euch den Himmel so lange mit Slumbewohnern füllen, bis auch ich hinein darf.“ Soweit Mutter Teresas Traum.

Hubert Gaisbauer
ist Publizist

Man stelle sich vor, der Traum wäre so weitergegangen: Mutter Teresa dreht sich um und lässt Petrus einfach in seiner Himmelstür stehen. Da sieht sie Lady Diana, ganz unscheinbar steht sie in einer Ecke.

„Ah“, ruft Mutter Teresa, als sie Diana erblickt,
„my Dear, haben sie dich auch nicht hineingelassen?“
Diana macht zwei zaghafte Schritte auf sie zu:
„Mother, ich habe auf dich gewartet.“
„Ja, dann komm, lass dich umarmen!“

Es war wie vor wenigen Wochen, als sie einander in der Bronx begegnet waren.

„Du hast ja kalte Hände!“
„Und du wärmst sie mir, Mother.“

Natürlich wisse sie über alles Bescheid, sagt Mutter Teresa, all das von dem schrecklichen Unfall vor fünf Tagen, und was dem alles vorausgegangen war.

„Wie geht es dir jetzt?“,
fragt sie.
„Nicht so gut“,
sagt Diana,
„was hätte ich doch alles aus meinem Leben machen können!“

Darauf Mutter Teresa:
„Aber du hast doch deine neue Freiheit – wenn man so sagen kann – wirklich genützt, zuerst in Kalkutta, dann Sarajewo, Angola, Hospizbewegung, Leprastationen, die Aktion zur Ächtung der Landminen! Und nicht zuletzt: du hast vielen Frauen dadurch geholfen, dass du endlich von deinen gesundheitlichen Problemen ganz offen gesprochen hast, von der Kälte in deiner Ehe … du bist heruntergestiegen von der königlichen Unnahbarkeit – zu den Menschen…“

Diana lächelt etwas verlegen, fügt aber gleich hinzu, dass die geifernd gierige Zudringlichkeit der Fotografen ihr das Leben schließlich zur Hölle gemacht habe.

„Ich habe sie gebraucht und ich habe sie gehasst…
es war eine Sucht“,
sagt sie,
„bis zuletzt … schließlich habe ich ja doch nichts anderes gelernt, als schön und gut angezogen zu sein, zu repräsentieren, zu posieren, du weißt schon, Mother… ich wollte einfach geliebt werden, …und wenn Bilder von mir um horrende Summen an die Zeitungen verkauft werden, dann komme ich mir jetzt vor wie … wie eine …“

Mit einer Handbewegung, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen, sagt Mutter Teresa:

„Ja, die Fotografen, die sind wirklich manchmal wie ein hungriges Wolfsrudel. Ich habe mich auch nicht ungern fotografieren lassen, doch ich habe mit Jesus einen Deal gemacht: für jedes veröffentlichte Foto von mir wird eine Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel entlassen – da müsste was los gewesen sein, als ich den Nobelpreis erhielt.“

Mutter Teresa lacht – und Dianas Blick fällt auf ihre ausgetretenen Riemensandalen – wie eng waren doch meine Coco Chanel Pumps, die ich so geliebt habe, denkt sie. Und ist froh, dass ihr Sohn William die Idee hatte, sechs oder sieben Dutzend ihrer legendären Kleider im Juni in New York für gute Zwecke versteigern zu lassen.

„Ja, ja, die Fotografen!“,
wiederholt Mutter Teresa,
„Bei mir haben sie sich ja etwas zurückgehalten, aber einmal, da drängte sich einer ganz nah an mein Gesicht mit seiner Kamerakanone, er wolle nur meine glücklichen Augen fotografieren. Glückliche Augen!, sagte ich, das ist, weil meine Hände viele Tränen getrocknet haben. Machen Sie es doch auch so – trocknen sie Tränen und sie werden glückliche Augen haben.“

Mutter Teresa lacht wie damals im Juni in der Bronx und das Licht zwischen den geröteten Augenlidern wird von tausend kleinen Fältchen umrahmt.

„Oh Mother, deine Nähe tut so wohl nach all der Hetze und den Verurteilungen!“

Mutter Teresa fasst wieder Dianas Hand:

„My Dear, du weißt schon, dass sie auch mich nicht ungeschoren lassen, auch auf mich hagelt es Verurteilungen, noch immer“,
sagt sie –
„Vielleicht haben wir nicht immer alles richtig gemacht im Leben, ich nicht und du nicht! Mir wirft man vor, dass ich modernes Management und medizinischen Fortschritt ablehne, und das stimmt auch, wir sind eben keine Profis sondern katholische Nonnen. Erzkatholisch, sagen sie.
Glaub mir, es ist nicht zynisch, wenn ich sage: unser Erfolg ist das Lächeln eines Sterbenden. Gleich ob Moslem, Hindu oder Christ. Das Ziel eines jeden Lebens ist der Friede mit Gott.“

Die beiden Frauen haben sich inzwischen auf den Boden gehockt, weil keine Sitzgelegenheit zu sehen war. Das Gespräch bleibt beim Thema: Religion.

„Ich war wirklich auf der Suche, Mother und habe auch vieles ausprobiert“,
sagt Diana,
„Meditation, Astrologie und solche esoterischen Sachen, du weißt schon, das übliche spirituelle shopping eben. Aber vor fünf Jahren in eurem Hospiz in Kalkutta, da hatte ich das Gefühl: Ja, das ist es, jetzt habe ich mein Lebensziel gefunden. Als ich die Schwestern singen hörte, wollte ich werden wie sie, wie du. – Aber dann in Rom hast du mir gesagt,“

Mutter Teresa fällt Diana ins Wort:

„Ich erinnere mich, ich habe gesagt: Sie könnten meine Arbeit nicht tun und ich nicht die Ihre, so habe ich gesagt. Gemeint war: Du hast deine Verantwortung in der Welt, ich habe mein Gelübde, den Verlassenen am Straßenrand beizustehen, beides verpflichtet uns, aber jeweils anders.
Und vergiss eines nicht, du hast deinen Söhnen guten Proviant mit auf ihren Weg gegeben: deine Liebe. Religion ist keine Sache des Gefühls, sondern des Herzens.“

Diana richtet sich auf und blickt der kleinen gekrümmten alten Frau neben sich fest in die Augen und sagte:

„…und eine Sache der Treue. Mother, bitte, verrate mir eines: Wie konntest du immer so aktiv und fröhlich und – ja, so kompromisslos in deinem Glauben sein?“

„My Dear“,
sagt Mutter Teresa,
„ich will es dir verraten, dass mein äußeres Wesen nur der Deckmantel war, unter dem ich meine Leere und mein Elend versteckt habe. – Gott war nicht da für mich. Jahrelang. Viele Jahre. Wofür arbeite ich eigentlich, habe ich oft gedacht. Wenn es keinen Gott gibt – kann es auch keine Seele geben. Dunkelheit. Ich habe nur mehr mit den Lippen gebetet, aber nicht mit dem Herzen.“

Sie hält inne und schließt die Augen.

„Vor fünfzig Jahren, bevor ich hinaus auf die Straßen ging, da habe ich einmal die Stimme von Jesus gehört: Komm, sei du mein Licht, hat er gesagt. Das habe ich versucht. Das hat mir Sinn gegeben. Darauf habe ich mich verlassen. Auch in der Dunkelheit.“

Da ist vom Himmelstor her eine Stimme zu vernehmen: Kommt herein. Es ist ja etwas kühl vor der Himmelstür.