Lebenskunst 26.12.2022, Karl Schauer

Bibelessay zu Matthäus 10,17–22

Weihnachten ohne den Zweiten Weihnachtsfeiertag wäre für mich und für viele ein reduziertes Fest. Aber wie passt der Stephanitag, an dem des ersten Blutzeugen der jungen Kirche erinnert wird, zum Weihnachtsfest? Wie passt das Evangelium dieses Tages zur Friedens- und Freudenbotschaft des Hl. Abend und des Christtages?

Die weihnachtliche Zeit, die bis zum Fest der Taufe des Herrn dauert, das Fest der Hl. Familie, Neujahr, Drei Könige, die besonderen Tage dieser Wochen erzählen schlicht und eindrucksvoll, hymnisch und bildreich, von der Geburt des Kindes in Betlehem, von den Weisen und ihrer Suche, von den Hirten und ihrem Staunen, aber auch von der Flucht der Heiligen Familie und vom Kindesmord in Betlehem, vom Widerspruch dieses Christuskindes, von der Zumutung der Menschwerdung Gottes und der verfehlten Messias-Erwartung der Menschen.

P. Karl Schauer
ist Bischofsvikar der Diözese Eisenstadt

Von Gefährdung und Ermutigung

Auch die Steinigung des Stephanus, die ja dem Stephanitag, dem Tag des Stephanus den Namen gegeben hat, findet sich oft als Szene in den alten Krippendarstellungen. Die Geschichte des Martyriums nimmt sozusagen zu Weihnachten ihren Anfang, so bleibt es ein Fest an den Rändern. In der Lesung aus der Apostelgeschichte wird an diesem Feiertag vom Martyrium des Stephanus erzählt.

Doch auch das Evangelium am Zweiten Weihnachtstag ist kein tragischer Zwischenfall, kein Ausrutscher, sondern Wirklichkeit Gottes, die anfechtbare, revolutionäre und unerwartete Wahrheit seiner Menschwerdung. Weihnachtliche Lieder, Erzählungen, die Evangelien, Bilder und Musik berühren mich, doch darf ich das andere nicht ausblenden, die Kontroversen und Spannungen, die kulturellen und religiösen Gegensätze, den Streit, den Hass, die Finsternis. Weihnachten ist nicht nur Licht und Freude, sondern auch viel Dunkelheit, große Armut und bittere Erbärmlichkeit. Das zeigt sich heute und in der gesamten Geschichte des Christentums und der Menschheit.

Lebenskunst
Montag, 26.12.2022, 7.05 Uhr, Ö1

Klein um des Menschen willen

Gottesnähe und Gottverlassenheit, Heil und Unheil, Gottesstreit, Leugnung von und Glaube an Gott, Zweifel und Vertrauen, sogar Kriege im Namen Gottes und Verdächtigungen Gott und den Menschen gegenüber – das sind nicht nur Fakten einer fernen Geschichte, all das ist wirklich und greifbar. In der Dunkelheit der christlichen Geschichte und ihrer Gegenwart fällt es oft schwer, von einem barmherzigen Gott zu reden. Auch das Gerede von einem „lieben Gott“, der immer da ist und die Menschen immer begleitet, ist sogar zum Weihnachtsfest nicht angebracht, Vertröstungen und Verkitschungen sind eher weihnachtlicher Ausverkauf. Weihnachten sagt: Trotz aller perversen Logik der Gewalt und der Gegensätze in dieser Welt – auch im Namen Gottes – gibt Gott nicht auf, darauf vertraue ich.

Ich meine: Gott macht sich klein um des Menschen willen. Gott wird ein Mensch unter Menschen. Er teilt in Jesus das Schicksal der Menschen, um die Menschen heimzubringen zu Gott. Selbstkritisch und ehrlich frage ich heute, ob ich, wenn es wirklich darauf ankommt, nicht viel gottloser bin, als ich denke? Wann schon lasse ich mich von Gott stören? Und: Bin ich bereit, zuzugeben, dass meine fertigen Rezepte und Antworten, wenn es um den weihnachtlichen Gott geht, doch nicht reichen?