Lebenskunst 8.1.2023, Martin Jäggle

Bibelessay zu Jesaja 42,1-7

Oft frage ich mich: Muss wirklich so übersetzt werden? Wer will schon Knecht sein, Knecht von wem auch immer?

Nicht nur in der Alltagssprache wird Knecht mit Knechten und Geknechtet-Werden verbunden, also von jemandem unterdrückt werden. Der Knecht hat zu tun, was man ihm sagt, aber selbst nichts zu sagen. So entsteht dann rasch das Bild eines Gottes, der knechtet, der einen Knecht braucht. Die Übersetzung „Bibel in gerechter Sprache“ wählt hier statt Knecht treffender „diesen Menschen in meinem Dienst“. So kann die Person, die in diesem Text aus dem Buch Jesaja vorgestellt worden ist, fruchtbarer verstanden werden.

Martin Jäggle
ist Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Erwählte im Dienst Gottes und der Menschen

Der jüdische Schriftsteller Elazar Benyoëtz fragt in seinen „Prosamen“: „Arbeiten Sie hart?“ und antwortet: „Ich bin nur mild tätig.“ Das charakterisiert treffend die Person, die traditionell „Gottesknecht“ genannt wird. Sie ist kein Held, sie muss von Gott, dem Geheimnis allen Lebens, gestützt werden. Sie weiß um ihre begrenzten Kräfte. Sie schreit nicht, sie lärmt nicht, man könnte sagen: Sie ist keine Marktschreierin. Sie ist wie die Menschen, für die sie eintritt. Sie teilt deren Erfahrungen und Grenzen. Was sie macht, findet auch in ihr selbst statt: Den glimmenden Docht löscht sie nicht und verlöscht selbst auch nicht. Das geknickte Rohr zerbricht sie nicht und knickt selbst auch nicht ein.

Nach jüdischer Tradition steht das „geknickte Rohr“ für die Armen und Waisen, die nichts haben, um gegen ihre mächtigen Widersacher zu bestehen. Im Angesicht ihrer Widersacher vor Gericht erblasst ihr Gesichtsglanz wie ein glimmender Docht, sie erbleichen. Sie werden jedoch, so steht es im Buch Jesaja, Recht erhalten.

Lebenskunst
Sonntag, 8.1.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Die Erwählten sind „mild tätig“

Aber wer ist eigentlich gemeint mit „dem Menschen in meinem Dienst“, auf den „ich meinen Geist gelegt“ habe, der den Nationen das Recht bringt, „um blinde Augen zu öffnen“ und „Gefangene aus dem Kerker zu holen“? Sind es bestimmte Propheten? Ist es das Volk Israel? Ist es Jesus von Nazareth? Heute wird ja in der katholischen Kirche die Taufe des erwachsenen Jesus im Jordan durch Johannes erinnert – und damit der Weihnachtsfestkreis abgeschlossen. Diese Taufe geht wohl auf ein damals übliches Ritual für Umkehr und Vergebung der Sünden zurück. Es ist u.a. bei Matthäus beschrieben, wo es – wie bei Jesaja – heißt, dass der Geist Gottes herabkam.

Wer ist nun dieser „Mensch in meinem Dienst“? Es gilt die Frage offen zu halten, weil der Text bei Jesaja nicht eine einzige Antwort im Sinn hatte, aber auch weil eine mögliche Antwort zu wenig erkannt wird: Denn, so war zu hören, der Geist Gottes ist allen, die auf der Erde gehen, gegeben. Die Hoffnung, dass Chaos, Gewalt und Unrecht besiegt werden, ist daher nicht allein auf einen Erwählten gerichtet, sondern auf alle Erwählten Gottes, könnte man sagen, die „mild tätig sind“.