LEBENSKUNST – Begegnungen am Sonntagmorgen 29.1.2023

Mensch und Mystik

Bibelessay zu Matthäus 5,1-12a | Lebensrückschau und Inspiration eines Jesuiten | Gedanken zu Gandhis Friedensvision | Islamische Mystik im wirklichen Leben

Eine Magna Charta des Menschseins – Bibelessay zu Matthäus 5,1-12a

„Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden, die Sanftmütigen, die Barmherzigen; selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen …“ Für den Benediktinerpater und Bischofsvikar der katholischen Diözese Eisenstadt, Karl Schauer, sind die als Seligpreisungen überlieferten Worte von Jesus so etwas wie die Magna Charta des Christseins und auch Menschseins. Oftmals seien sie schon in sein Leben hineingestolpert und mit ihnen eine große Sehnsucht nach Erfüllung. „Und ich ahne, nur der Verzeihende, die Geduldige, die Suchende, der Fragende, die Weinenden und die Liebenden werden das Leben finden.“ Gedanken zu jenem Evangelienabschnitt, der am 29. Jänner in katholischen Kirchen zu hören ist.

Der eigenen Sehnsucht vertrauen – Lebensrückschau und Inspiration eines Jesuiten

Der Weg in den Orden sei absolut „keine gmahte Wiesn“ für ihn gewesen, erzählt der heuer 60-jährige gebürtige Vorarlberger Markus Inama. Und doch hat er nach Stationen als Model und Bademeister zu Sozialarbeit und Seelsorge gefunden. Während einer abenteuerlichen USA-Reise hat Markus Inama in jungen Jahren begonnen, in der Bibel zu lesen. Viel ist dort von Menschen die Rede, die die Heimat verlassen, die unterwegs sind. Der Jugendliche fand damals Ermutigung und Zuversicht in diesen Texten.

Lebenskunst
Sonntag, 29.1.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Zurück in Europa, führte sein Weg über die Sozialarbeit mit obdachlosen und benachteiligten Menschen in den Jesuitenorden. Sein neues Buch „Einen Atemzug über mich hinaus“ sieht Pater Markus Inama als Inspiration, die eigene Sehnsucht nicht zu vernachlässigen. Er möchte, wie er sagt, Menschen darin bestärken, Abzweigungen im Leben zu nehmen, ihren ganz individuellen Weg zu gehen und ihren Träumen treu zu bleiben. Maria Harmer hat mit dem Superior der Wiener Jesuiten und Vorstandsmitglied der Hilfsorganisation „Concordia Sozialprojekte“ gesprochen.

Buchhinweis:

Markus Inama, „Einen Atemzug über mich hinaus. Mein Weg zu den Jesuiten und in die Sozialarbeit“, Verlag Tyrolia

„Gewaltfreiheit bedeutet nicht Passivsein“ – Gedanken zu Gandhis Friedensvision

Es ist genug für die Bedürfnisse von allen da – aber nicht für die Gier von allen. So hat er es einmal formuliert, Mohandas Karamchand Gandhi – genannt Mahatma, die große Seele: „There is enough for everybody’s need – but not for everybody’s greed". 1869 im indischen Bundesstaat Gujarat geboren, wurde Gandhi Rechtsanwalt. Er war Asket und Pazifist und ab 1914 sowohl geistiger als auch politischer Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung. 1948 von einem Hindu-Nationalisten erschossen, jährt sich sein Todestag am 30. Jänner zum 75. Mal. Neben durchaus auch fragwürdigen Ansichten Gandhis, erscheint heute vielen seine Botschaft, sich um Frieden zu bemühen, aktueller denn je.

Als spiritueller Mensch erkannte er bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts manches nahezu prophetisch, etwa den Wert des interreligiösen Miteinanders, wenn es um ein konfliktfreies Zusammenleben geht. Selbst gläubiger Hindu, bezog er bewusst auch andere religiöse Traditionen in sein Denken und in sein politisches Handeln ein. Und noch etwas war für ihn zentral, auch wenn es bis heute oft nicht in seiner Bedeutung gewürdigt wird: das Prinzip der Prävention. Gerade in friedlichen Zeiten sollten demzufolge Methoden der Gewaltvermeidung und des gewaltfreien Widerstandes geübt werden, damit diese dann im Ernstfall zur Verfügung stehen. Brigitte Krautgartner mit Statements von und zu Mahatma Gandhi und zu seinen Ansätzen der Gewaltfreiheit.

Menschen im Sufi-Hotel – Islamische Mystik im wirklichen Leben

Es sind nicht allzu viele Forscher:innen und nur wenige Tourist:innen, die es in die sozial-kulturellen und mystisch-religiösen Randbereiche mehrheitlich vom Islam geprägter Gesellschaften verschlägt. Der deutsche Ethnologe, Islamwissenschaftler und Autor Jürgen Wasim Frembgen ist einer davon. Er hat auf seinen vielen Reisen solche Brennpunkte sufischer Spiritualität kennengelernt. Teils bizarre Sufi-Rituale, durch die Gläubige auf ihre Art Gott näher kommen wollen, finden sich vom äußersten Westen der sogenannten islamischen Welt bis hinein nach Zentral- und Südost-Asien.

Um einen fundierten Hintergrund dieser bunten Vielfalt zu liefern, legt Jürgen Wasim Frembgen das Buch „Magie und Ekstase – Kleine Kulturgeschichte des unbekannten Islam“ vor. Und er macht sozusagen literarisch Station im „Sufi-Hotel“. Es liegt in einem Viertel der pakistanischen Hafenstadt Karachi, wo einander Sünder:innen und Heilige, Fromme und weniger Fromme begegnen, die alle doch irgendwie auf die göttliche Barmherzigkeit hoffen. Lise Abid hat beide Bücher gelesen und Jürgen Wasim Frembgen zu seinen Erlebnissen und Erfahrungen befragt.

Buchhinweise:

  • Jürgen Wasim Frembgen, „Magie und Ekstase. Kleine Kulturgeschichte des unbekannten Islam“, Verlag Herder
  • Jürgen Wasim Frembgen, „Sufi Hotel. Aufzeichnungen aus den Untiefen einer Megacity“, Verlag Schiler & Mücke

Redaktion & Moderation: Doris Appel