Lebenskunst 29.1.2023, Karl Schauer

Bibelessay zu Matthäus 5,1-12a

Die Bergpredigt gehört zur Grundausstattung des Christseins. Auch jene, die sich dem christlichen Leben entfremdet haben, die bibelunkundig oder von Gott enttäuscht sind, zitieren gerne die Seligpreisungen, auch im alltäglichen Sprachgebrauch.

Eigentlich bemerkenswert, denn wer verwendet heute noch das Wort „selig“, die saloppe Alltagssprache nennt es vielleicht „steil“ oder „super“. Und doch, auch das ist nicht ganz daneben, es könnte durchaus ein Schlüssel sein, das Evangelium, die Frohe Botschaft, die an diesem Sonntag in katholischen Gottesdiensten zu hören ist, besser zu verstehen.

Karl Schauer
ist Benediktinerpater und Bischofsvikar der katholischen Diözese Eisenstadt

Letztlich wird alles gut werden

Die Seligpreisungen sind keine Gebote und Vorschriften, nicht einengend und nicht ausgrenzend, sie sind viel mehr Ermutigungen, Hoffnungssplitter, Wegmarkierungen für die verschlungenen und widerläufigen Pfade des Lebens, große Hoffnungs- und Trostworte, hineingesagt in die verbeulten Lebenssituationen der Menschen, auch in meine eigenen, aufgeriebenen Lebensmuster. Die Bergpredigt ist keine flaue Vertröstung, kein Wort Gottes „von oben herab“, sondern vielmehr ein Wort, das aufrichtet und betroffen macht. Es spiegelt die Wirklichkeit wider.

Ich denke und bin überzeugt: Er, dieser Jesus, dieser Mensch, in dem der angreifbare und unbegreifliche Gott erfahrbar wird, dieser Gott mit uns, kennt mich, er spricht mich an, mein Leben ist ihm nicht fremd. Armut, Trauer, Hunger, Durst, all das, was das Kärgliche und Unverständliche meines Lebens ausmacht, ist ihm nicht fremd. Und er sagt mir zu: Du musst nicht in deinem Elend, nicht in deinen Abgründen, nicht in deinen Tränen verweilen. Gottes Zusage wird zur Hoffnungsbotschaft, zur Schubumkehr meines Lebens, sie richtet auf: Selig, die keine Gewalt anwenden; selig die Barmherzigen; selig, die Frieden stiften; selig, die ein reines Herz haben; selig, die es ertragen, beschimpft, ausgelacht und verfolgt zu werden.

Letztlich wird alles gut werden. Die heute lachen, werden morgen weinen, die heute Gewalt schmieden, werden auch morgen nicht zur Ruhe kommen, die heute Unfrieden schüren, werden sich weiterhin ausgrenzen – das Leben ist nicht auf ihrer Seite, selbst wenn es manchmal so scheint, als würden sie die Oberhand gewinnen.

Lebenskunst
Sonntag, 29.1.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Eine Magna Charta des Menschseins

Die Bergpredigt ist eine Lebensbotschaft, sie betrifft nicht nur die kirchlichen Insider, sondern eigentlich alle Menschen guten Willens, ohne sie zu vereinnahmen. Wer sich erträgt und annimmt und auf den Nächsten schaut, wird auch frei für Gott. Wer das Leben mit seinen Gegensätzen und in seiner Widersprüchlichkeit akzeptiert, nicht um alles gleichgültig und resignierend anzunehmen, sondern es zu gestalten und dem Leben Lebendigkeit und Sinn zu schenken, kann diesen Gott nicht ins Abseits stellen. Gottesverdrängung, das Kleinreden von Gott, die Ausgrenzung von Gott ist oft gar nichts anderes als die billige Versuchung, mir einzureden: Ich schaffe es, ich kann es, ich bin mir selbst am nächsten.

Deshalb höre ich dieses Wort der Bergpredigt gerne und die Seligpreisungen des Bergpredigers – sie sind mir vertraut und oft haben sie mich schon auf die gute Spur meines Lebens gebracht. Und ich ahne, dass ich letztlich nicht ins Leere falle, sondern in die Hände ewiger Liebe hinein. Ein großes Wort, eine lebensbejahende Wahrheit, die Magna Charta des Christseins und wohl auch Menschseins – oftmals sind sie schon in mein Leben hineingestolpert, und mit ihnen eine große Sehnsucht nach Erfüllung, nach Glück, vielleicht auch nach Gott, bewusst oder unbewusst, jedenfalls wirklich.

„Freut euch, euer Lohn wird groß sein!“ heißt es da. Und ich ahne, nur der Verzeihende, die Geduldige, die Suchende, der Fragende, die Weinenden und die Liebenden werden das Leben finden. Ein solcher Mensch scheitert nicht, aber auch Gott scheitert nicht, daran glaube ich fest!