Einheit und Vielfalt im Islam

Das US-amerikanische Pew Forum on Religion and Public Life hat in einer großangelegten Studie unter 38.000 Muslimen aus 39 Ländern Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb des Islam erforscht.

Mit etwa 1,6 Milliarden Gläubigen ist der Islam nach dem Christentum die zahlenmäßig zweitgrößte Religion der Welt. Doch während „der Islam“ medial oft als ein monolithischer Block dargestellt wird, gibt es in der Weltanschauung und im Glaubensverständnis der Muslime teils doch erhebliche Unterschiede.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter Muslimen wurden in einer am Mittwoch veröffentlichten großangelegten Studie des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstituts „Pew Forum on Religion and Public Live“ untersucht. Etwa 38.000 Muslime aus 39 Ländern - unterteilt in die Regionen Südosteuropa, Nordafrika und Mittlerer Osten, Subsahara-Afrika, Zentralasien, Südostasien und Südasien - wurden persönlich interviewt.

Finger zeigt auf Koranverse

EPA/Arsahd Arbab

Die Frage, ob es nur eine oder mehrere Möglichkeiten gibt, den Islam zu interpretieren, spaltet die muslimische Weltbevölkerung

Religion im Alltag

Unterschiedliche regionale Ergebnisse brachte die Studie etwa bei der Frage, welche Rolle die Religion im alltäglichen Leben spielt. In den subsahara-, südost- und südasiatischen Ländern sowie im Großteil des Mittleren Ostens gaben fast überall über 80 und bis zu 98 Prozent an, die Religion sei in ihrem Leben „sehr wichtig“. In Südosteuropa und Zentralasien waren die Ergebnisse zu dieser Frage dagegen höchst unterschiedlich: In Albanien ist die Religion nur für 15 Prozent der Muslime „sehr wichtig“, die laizistische Türkei ist mit 67 Prozent Spitzenreiter dieser Regionen.

Ebenfalls große Unterschiede ergibt die Frage nach der Interpretation des Koran. Die Länder Nordafrikas und des Mittleren Osten weisen hier die größte Bandbreite auf. So glauben etwa in Ägypten 78 Prozent der Befragten, dass es nur eine einzige Interpretation der islamischen Lehre gebe (21 Prozent halten mehrere Interpretationen für möglich), in Marokko und Tunesien aber nur 34 (58) bzw. 35 (58) Prozent. Insgesamt sind in 32 der 39 Länder jeweils mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, es gebe nur eine einzige richtige Auslegung der islamischen Lehre.

Verhältnis von Sunniten und Schiiten

Ein weiteres Ergebnis, das in der Zusammenfassung der Pew-Forum-Studie hervorgehoben wird, ist die Frage nach der Zugehörigkeit zu bestimmten Strömungen innerhalb des Islam. Besonders in Südosteuropa und Zentralasien scheint die Unterscheidung zwischen Sunniten und Schiiten nicht besonders wichtig zu sein: Jeweils über 50 Prozent bezeichnen sich in diesen Regionen als „just a Muslim“ („einfach nur Muslim“) anstatt sich als einer der beiden Hauptströmungen des Islam zugehörig auszuweisen.

Einen klaren Kontrast dazu bildet das Verhältnis von Schiiten und Sunniten in den Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas. Hier bezeichnen sich nur zwölf Prozent der Befragten als „just a Muslim“, gleichzeitig ist die Anzahl jener Sunniten, die Schiiten erst gar nicht als Muslime anerkennen, teilweise sehr hoch. In Marokko und Ägypten sehen jeweils über die Hälfte der Sunniten Schiiten nicht als Muslime. Ausnahmen sind in dieser Frage jene Länder, die große schiitische Bevölkerungsanteile aufweisen: Im Libanon erkennen 77 Prozent der Sunniten Schiiten als Muslime an, im Irak sogar 82 Prozent.

Weitgehende Übereinstimmung bei „fünf Säulen“

Weitgehend einig sind sich Muslime auf der ganzen Welt über die berühmten fünf Säulen des Islam: Glaubensbekenntnis, tägliches Gebet, Fasten während des Ramadan, Almosen und die Pilgerfahrt nach Mekka. So halten sich in 36 der 39 untersuchten Länder jeweils mehr als die Hälfte der Befragten an das Fastengebot im Ramadan, lediglich Kasachstan, Aserbaidschan und Albanien fallen hier aus der Reihe. In Kamerun und Thailand halten gemäß der Studie sogar 100 Prozent den Ramadan ein.

Muslimische Männer beim Beten im Ramadan

EPA/Abedin Taherkenareh

Das Gebet - vor allem während des Ramadan - spielt für Muslime auf der ganzen Welt offenbar eine sehr große Rolle

Auch das jährliche Spenden für Bedürftige (Zakat) wird in 36 der 39 Länder von jeweils mehr als der Hälfte der Muslime (mit Einzelergebnissen von bis zu 98 Prozent) eingehalten. Teils große Unterschiede in der Glaubenspraxis gibt es dagegen beim täglichen Gebet und beim Besuch der Moschee. Beides wird generell in Südosteuropa und Zentralasien weniger oft eingehalten als in den anderen Regionen. Subsahara-Afrika sticht in beiden Fragen als die Region mit den meisten praktizierenden Muslimen hervor.

Darüber hinaus weist die Studie auch bei anderen Aspekten des Glaubens, die über die „fünf Säulen“ hinausgehen, durchgängig hohe Zustimmungswerte aus: So glauben im Durchschnitt aller berücksichtigten Länder 89 Prozent der Befragten an das Schicksal und 88 Prozent an Engel, 94 Prozent an den Himmel und 87 Prozent an die Hölle.

Michael Weiß, religion.ORF.at

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