Stephanus: Der Bekränzte und die offenen Himmel

Heiliger Abend, Christtag und Stefanitag bilden zusammen die Weihnachtstage. Der biblische Stephanus hat mit Jesu Geburt zwar nichts zu tun, in der christlichen Tradition spielt der Heilige dennoch eine wichtige Rolle.

„Sie steinigten den Stephanus, er aber rief den Herrn an und sprach: Herr, Jesus, nimm meinen Geist auf! Er fiel auf die Knie und rief mit lauter Stimme: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Und als er dies gesagt hatte, verschied er.“ Mit diesen Worten beschreibt die Apostelgeschichte das gewaltsame Ende des Stephanus vor den Toren Jerusalems.

Stephanus mit Attributen

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Stephanus wird meist mit Steinen, die oft auf seinem Kopf oder seinen Schultern liegen, und einer Bibel in der Hand abgebildet.

Der Name kann dabei als Programm gelten. Stephanus heißt auf Griechisch der „Bekränzte“. Mit seinem gewaltsamen Tod wurde Stephanus zum ersten Märtyrer, oder - in frühchristlicher Redeweise – mit dem Kranz des Martyriums geschmückt. Er ist außerdem der einzige Christ, dessen Martyrium in der Bibel Erwähnung findet.

Streit in Jerusalem

Dem Autor der Apostelgeschichte ging es aber vermutlich um mehr, als Stephanus nur als beispielhaften Nachfolger Christi herauszustellen. Die Ereignisse um seinen Tod markieren in dem biblischen Bericht einen Wendepunkt in der Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde. Nach der Hinrichtung des Stephanus musste die junge christliche Gemeinde aus der Stadt fliehen - der Beginn der Verbreitung des Christentums außerhalb Jerusalems.

Laut der neutestamentlichen Erzählung war Stephanus einer der ersten sieben Diakone der Jerusalemer Gemeinde. Die genauen Aufgaben dieser „Diener“ im frühesten Christentum sind bis heute nicht gänzlich geklärt. Die Apostelgeschichte erzählt nur davon, dass es in der christlichen Gemeinde zu Unstimmigkeiten zwischen „Hebräern“ und „Hellenisten“ gekommen sei. Die Spannungen zwischen aramäisch sprechenden traditionalistischen und griechisch sprechenden liberalen Juden waren für das Judentum um das Jahr null ein beständiges Thema. Dieser Konflikt scheint auch vor der jungen christlichen Gemeinde nicht halt gemacht zu haben - war diese kurz nach dem Tod Jesu doch noch mehr oder weniger ein Teil der jüdischen Gemeinschaft.

Literarische Vorlage

Die zwölf Apostel sollen in Folge der Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde sieben Diakone eingesetzt haben. Diese sollten ihnen den „Tischdienst“ abnehmen und sich um die Versorgung der Witwen kümmern. Laut biblischer Schilderung scheint Stephanus seine Aufgabe mit gehörig missionarischem Eifer betrieben zu haben und in Konflikt mit Jerusalemer Juden geraten zu sein. Von diesen wurde er beim Hohen Rat, dem Sanhedrin, angeklagt.

In einer ausführlichen Verteidigungsrede (der längsten Rede in der ganzen Apostelgeschichte) lässt der Autor der Apostelgeschichte Stephanus Ereignisse aus dem Alten Testament aufzählen. Am Ende dieser Ausführungen stand der Vorwurf, dass es die Juden selbst seien, die gegen das göttliche Gesetz verstießen. Als Stephanus auch noch vorgab, „die Himmel geöffnet“ und Christus als den alttestamentlichen „Menschensohn zur Rechten Gottes“ stehend zu sehen, soll ihn die aufgebrachte Menge vor die Stadt geführt und gesteinigt haben.

Steinigung des Stephanus

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Die Steinigung des Stephanus war in der Kunst ein beliebtes Motiv. Auch Rembrandt griff es auf.

Der geöffnete Himmel ist nur eines der Elemente, die auch in späteren Martyriumserzählungen begegnen. Dass Stephanus Antlitz während seines Gerichtsverfahrens dem eines Engels gleich gewesen sein soll, findet sich ebenso in anderen frühchristlichen Märtyrergeschichten, wie die Bitte des Märtyrers an Gott, seinen Peinigern zu vergeben. Die Stephanus-Erzählung bot sich als biblischen Vorbild für die im frühen Christentum beliebte literarische Gattung der Martyriumsberichte geradezu an.

Reliquien und Verehrung

Daneben wurde der Protomärtyrer in den Jahrhunderten nach seinem Tod selbst zu einem beliebten Heiligen. Seine Verehrung als Märtyrer und Heiliger setzte so richtig am Anfang des fünften Jahrhunderts ein. Im Jahr 415 soll ein Jerusalemer Priester namens Lucian durch mehrere Visionen das Grab des Stephanus entdeckt haben – ein Fund, der in einer Zeit der wachsenden Reliquienverehrung gerade recht kam.

Relief mit Stephanus und Laurentius

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Stephanus und sein römischer Märtyrerkollege Laurentius bilden in der kirchlichen Kunst oft ein Paar.

Die angeblichen Gebeine des Märtyrers wurden in der Zionskirche in Jerusalem bestattet und 439 in die eigens errichtet Stephanuskirche vor den Toren der Stadt überführt. 528 wurden seine sterblichen Überreste dann nach Rom gebracht und neben denen des römischen Märtyrers Laurentius bestattet. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte breiteten sich sowohl die Reliquien des Heiligen als auch seine Verehrung über den ganzen Mittelmeerraum und Mitteleuropa aus. Der Stephansdom in Wien ist nur ein Beispiel für die Bedeutung des Stephanus gerade im Donauraum.

Weihnachten, Pferde und Wein

Seit Anfang des fünften Jahrhunderts ist für den 26. Dezember ein Fest zu Ehren des Märtyrers bezeugt. Wie weit hinter dieser direkten Nähe zum Weihnachtsfest bewusste Absicht stand, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Im Laufe der Zeit wurde der vor allem im süddeutschen Raum als Stefanitag bezeichnete Gedenktag allerdings zu einem festen Bestandteil der Weihnachtsfeierlichkeiten.

Daneben entwickeln sich aber auch Traditionen abseits von Weihnachtsbräuchen. So gilt Stephanus als Patron der Pferde und Kutscher. An seinem Gedenktag wurden Pferde und Hafer gesegnet. Ebenso war es Tradition, dass am Stephanitag die Pferdeknechte und Kutscher ihren Arbeitgeber wechselten.

In Erinnerung an das Martyrium des Stephanus segnete man in den Kirchen einen Rotweinkelch, in dem zuvor ein Stein versenkt worden war. Dieser Wein galt als Heilmittel und kam bei einer Vielzahl von Krankheiten zur Anwendung. Der in Österreich rechtlich geschützte Stefaniwein braucht hingegen keine kirchliche Weihe. Seine Beeren dürfen allerdings nur am 26. Dezember geerntet werden. Die Arbeiter, die an diesem Tag im Weinberg stehen, sollten sich dabei über merkliche Lohnzuschläge freuen können. Denn wie in der Schweiz und in Teilen Deutschlands ist der Stefanitag auch in Österreich ein gesetzlich anerkannter Feiertag.

Martin Steinmüller; religion.ORF.at