„Am Missionieren habe ich mir fast die Zähne ausgebissen“

Maria Hofstätter spielt die Hauptrolle in Ulrich Seidls neuem Film „Paradies: Glaube“. Im Interview mit religion.ORF.at spricht sie über den Glauben als Rettungsanker, Liebesbriefe an Jesus und erklärt warum „Paradies: Glaube“ kein blasphemischer Film ist.

Die Uraufführung von „Paradies: Glaube“ bei den Filmfestspielen in Venedig hat für einige Aufregung gesorgt. Vor allem die Szene, in der sich die Hauptfigur Anna Maria mit einem Kruzifix selbst befriedigt, hat manche Gemüter erregt. Die italienische Anti-Abtreibungsorganisation „NO 194“ hat Sie, Ulrich Seidl und die Filmproduzenten sogar wegen Blasphemie angezeigt. Wie ist die Sache denn ausgegangen?

Maria Hofstätter: Ich weiß es nicht. Wir wurden bei der Staatsanwaltschaft in Venedig angezeigt. Dann hat es geheißen, dass es im Normalfall so an die drei Monate braucht, um das zu bearbeiten - entweder es wird abgelehnt oder es kommt zu einem Blasphemieprozess. Denn Blasphemie ist in Italien strafbar. Ich habe aber bis jetzt nichts bekommen und nehme an, das wurde fallengelassen. Es war ja überhaupt nicht die Intention, Blasphemie zu betreiben. Auch die Figur denkt in keiner Weise blasphemisch, sondern sie liebt Jesus. Sie will ihn nicht entwürdigen. Blasphemie bedeutet für mich schon, dass man ganz bewusst religiöse Symbole entwerten will. Und das war weder unsere Intention noch die der Figur.

Vom Mühlviertel auf die Bühne

Maria Hofstätter wurde 1964 in Linz geboren und wuchs als Bauerntochter im Mühlviertel auf. Nach der Matura ging sie nach Wien, um Geschichte zu studieren. Kurz vor der Diplomarbeit brach sie das Studium ab, um sich ganz dem Schauspiel widmen zu können.

Mit Ulrich Seidl verbindet Hofstätter eine langjährige Zusammenarbeit. Ihre Rolle als Autostopperin Anna in Seidls „Hundstage“ aus dem Jahr 2001 machte die Schauspielerin einem breiten Publikum bekannt.

Haben Sie mit solchen Reaktionen gerechnet?

Ich arbeite nicht zum ersten Mal mit Seidl. Da muss man immer mit allem rechnen. Was mich allerdings überrascht hat war, dass es sich ausschließlich auf dieser Szene aufgehängt hat. Ich habe mir gedacht, dass die Szene, wo ich auf Jesus einschlage, mindestens so verstörend sein würde. Das hat mir zu denken gegeben. Nie reden mich Journalisten auf diese Geißelung von Jesus an, sondern immer auf diesen Liebesakt. Ich denke mir mittlerweile, das hat schon auch etwas mit der katholischen Kirche zu tun. Gewalt ist nicht so ein Problem wie Sexualität - die ist die große Sünde.

Maria Hofstätter

M.M.Mitrea

Für „einfühlsame, schonungslose und überzeugende Darstellungen“ wird Maria Hofstätter 2013 den Schauspielpreis der Diagonale erhalten

Das Verhältnis zum eigenen Körper, zur eigenen Sexualität, zieht sich durch den ganzen Film.

Ja, das ist bei Anna Maria ein sehr verstörtes. Sie hat unglaubliche Probleme damit. Viele haben wir Probleme damit - ich nehme mich gar nicht aus. Und Anna Maria hat sich einfach in Jesus verliebt. Ich habe bei meinen Vorbereitungen für den Film gesehen, dass diese Liebe zu Jesus wirklich einen Schritt zu weit gehen kann. Ich habe zum Beispiel eine Frau getroffen, die jeden Tag Liebesbriefe an Jesus schreibt. Sie hat mich diese auch lesen lassen. Das waren Briefe, die hätten auch an einen Liebhaber geschrieben sein können.

Steht der Glaube da der eigenen Sexualität im Weg?

Eine sinnvoll erfüllte Sexualität zu leben, ist etwas vom Schwierigsten. Gerade die katholische Kirche macht es einem nicht leichter, ein gutes Verhältnis zu seinem eigenen Körper zu finden. Da ist sehr viel verboten. Alles hat mit Sünde zu tun. Da kommt es dann zu komischen Sublimierungen und verqueren Handlungen. Und da macht es einem die katholische Kirche aber auch leicht. Jesus wird so oft als schöner junger Mann personalisiert. Da kann das schon mal leichter passieren, dass man sich regelrecht verliebt in so einen schönen jungen Mann.

Anna Maria hat sich ja aber einmal in einen anderen Mann verliebt und diesen auch geheiratet. Als dieser – ein muslimischer Ägypter im Rollstuhl - dann zurückkommt, beginnt Anna Marias heile Welt zu wanken. Ulrich Seidl hat in Interviews gesagt, dass es dabei gar nicht so sehr um den religiösen Konflikt zwischen den beiden ginge, sondern sich vielmehr ein Beziehungskonflikt abspielte.

Das sehe ich auch so. Der kulturelle Hintergrund spielt natürlich auch eine Rolle, denn Lebewesen stecken immer irgendwie in einem Kontext, sind immer sozialisiert. Aber in Wirklichkeit geht es um eine Dreiecksbeziehung zwischen Anna Maria, ihrem Ehemann und Jesus. Aus dieser Dreiecksbeziehung kommen sie aber nicht heraus. Anna Maria kann sich nicht trennen, denn das würde allen ihren religiösen Überzeugungen widersprechen. Er kann sich nicht trennen, weil er ihre Hilfe braucht.

Szene aus Paradies Glaube

Ulrich Seidl Films

Österreich soll wieder katholisch werden - Anna Maria und ihren Mitstreiter in „Paradies: Glaube“

Der Film lässt anklingen, dass es ein Bruch in Anna Marias Leben war, der sie zu diesem extremen Glauben brachte. Was muss einem Menschen denn passieren, dass er sich so verändert, dass er sich auf diese Weise dem Glauben zuwendet?

Das hab ich mich genauso gefragt, als ich an diese Rolle herangegangen bin. Ich habe ja viel Zeit in sehr religiösen Gruppierungen verbracht und habe den Menschen immer diese Frage gestellt: Wann haben Sie sich so dem Glauben zugewandt und warum? Da gab es natürlich verschiedene Antworten. Aber sehr oft kam die Antwort, dass es eine große persönliche Krise im Leben gab. Wo man dermaßen ohnmächtig war, dermaßen in dieser Sinnlosigkeit des Dramas gefangen war, dass man einfach keinen Sinn mehr erkannte. Die Not lehrt beten, heißt es ja.

Verschwindet mit dem Ende der Krise dann auch der Glaube?

Wenn es ihnen wieder besser geht, verabschieden sich manche wieder von diesem System und andere kippen völlig rein. Sie gehen immer konsequenter diesen Weg und glauben, alle überzeugen zu müssen, dass es der einzig richtige ist. Ich habe bemerkt, dass das für diese sehr gläubigen Menschen auch wirklich eine fast glaubensimmanente, zwingende Aufgabe ist. Missionstätigkeit ist ein ganz wesentlicher Aspekt ihres Glaubens.

Paradiesische Zustände

„Paradies: Glaube“ ist der zweite Teil von Ulrichs Seidls „Paradies“-Trilogie. Die drei Filme erzählen die Geschichten von drei Frauen einer Familie, die getrennt voneinander ihre Urlaube verbringen.

Während „Paradies: Liebe“ der Sextouristin Teresa nach Kenia folgt, zeigt „Paradies: Glaube“ ihre Schwester Anna. Diese verbringt ihren Urlaub damit, in Wien zu missionieren.

„Paradies: Glaube“ läuft ab 11. Jänner in den österreichischen Kinos.

Wie viel von Anna Maria existiert denn wirklich in anderen Personen, denen sie begegnet sind, und wie viel ist dann doch Erfindung?

Diese Figur ist natürlich eine Synthese von vielen Gesprächen, von vielen Erfahrungen, die ich gemacht habe. Das geht dann auch noch einmal durch meinen eigenen Filter, weil ich als Person das spiele. Da spielen viele Faktoren zusammen. Und dann gibt’s ja bei Gott (lacht) den Regisseur, dessen Hauptidee das Ganze ja ist. Es spielt ganz viel zusammen.

In „Paradies: Glaube“ wird eine sehr extreme Form der Frömmigkeit gezeigt. Anna Maria rutscht betend auf den Knien durch die Wohnung und geißelt sich selbst. Sind Sie in ihrer Vorbereitung auf Menschen getroffen, die ihren Glauben tatsächlich in einer solchen Form leben?

Jein. Der Sühnebegriff, den gibt es, seit es diese Religion gibt. Sich selber zu geißeln, die Leiden Christi an sich selbst nachzuvollziehen, um selbst Sühne zu leisten und Christus auch auf diesem Weg nachzufolgen, das ist eine uralte Tradition. Das hat ja jetzt nicht der Seidl erfunden. Menschen, die das sehr ernst nehmen, die machen eben auch das. Aber darüber redet man nicht groß. Das sieht man ja auch im Film. Das läuft sehr ritualisiert und im intimen Rahmen ab. Damit geht man nicht hausieren. Aber natürlich gibt es diese Leute, die so konsequent diesen Weg gehen wollen.

Teil ihrer Vorbereitung war es auch, selber von Tür zu Tür zu gehen und Mission auszuprobieren.

Ja, beim Ulrich Seidl gibt es kein geschriebenes Dialogdrehbuch. Also was soll man denn anderes machen, als es auszuprobieren. Ich bin früher noch nie in meinem Leben missionieren gegangen und es war schwerer als gedacht. Da habe ich mir fast die Zähne ausgebissen an dieser Missionsarbeit. Das Problem für mich als Schauspielerin war auch, dass ich immer die Agierende sein musste. Ich musste immer einen Schritt voraus sein, so wie das eben ist, wenn man eine Botschaft verkaufen will.

Maria Hofstätter & Ulrich Seidl

EPA/Claudio Onorati

Maria Hofstätter und Ulrich Seidl sind mittlerweile ein eingespieltes Team

Sie kommen selbst aus einem katholischen Elternhaus und sagen, dass Sie sehr katholisch erzogen wurden. War das beim Aneignen der Figur von Vorteil oder war ihr eigener biografischer Rucksack eher ein Hindernis?

Zuerst habe ich mir gedacht, es hilft, weil ich schon über so manche Dinge Bescheid weiß, wo andere vielleicht nicht Bescheid wissen. Im Endeffekt hat es sich aber als Hindernis herausgestellt. Ich hatte emotionale Schwierigkeiten, es wirklich zu spielen - vor allem das Missionieren; gar nicht so sehr die Szenen mit dem Geißeln oder dem Beten auf Knien. Diese „Hausszenen“ waren mir weniger ein Problem, als wirklich missionieren gehen zu müssen. Es hat sich alles in mir gewehrt, dass ich jemandem anderen meine Botschaft oktroyieren muss.

Sieben Jahre dauerte die Vorlaufzeit zu „Paradies: Glaube“. Beginnt man da zwischenzeitlich nicht, am Projekt zu zweifeln?

Ja, es war sehr lange. Da waren natürlich immer wieder auch lange Unterbrechungen dabei. Ich habe es aber einfach nicht geschafft, die Rolle so glaubwürdig zu spielen, wie wir es gerne gehabt hätten. Ich habe es der Geduld und der Hartnäckigkeit von Ulrich Seidl zu verdanken, dass er immer wieder nach einer längeren Phase gesagt hat: So, probieren wir es doch wieder. Ich habe bis zum letzten Drehtag daran gezweifelt, dass mir das jemand glauben wird. Aber in dem Sinn kann man sich auf Ulrich Seidl verlassen. Er hat so einen strengen Blick und so ein strenges Ohr. Wenn er einmal sagt, ja das geht, dann kann man sich drauf verlassen, dass es reicht.

Martin Steinmüller, religion.ORF.at

Link: