Kluge und dumme Religionskritik

Das ORF-Religionsmagazin „Orientierung“ hat den Wiener Philosophen Franz Schuh zum Interview über kluge und dumme Religionskritik gebeten. religion.ORF.at fasst das Gespräch zusammen.

Herr Schuh, was ist Ihrer Meinung nach dumme Religionskritik?
Ich würde zunächst einmal sagen, dass es doch diesen berühmten Satz gibt: „Dankbarkeit ist keine politische Kategorie.“ Das muss man erweitern um den Satz „Dummheit ist keine politische Kategorie“. Das heißt: Wenn eine Religionskritik dumm sein sollte, dann ist damit gar nichts über ihre Wirkungsmacht gesagt. Unter Umständen kann sie gerade durch das Zurechtgeschliffen-Sein auf dumme Sprüche wirksam werden.

Dennoch, worin besteht die Dummheit einer dummen Religionskritik?
Die Frage ist eher, was denn eine kluge Religionskritik ausmachen würde. Kluge Religionskritik würde dort einsetzen, wo jemand außerhalb der Religion Menschen studiert, die in der Religion tätig sind und die in der Religion denken, und wo diese Menschen ihre Zweifel haben. Es gehört zur Endlichkeit des Menschen, dass er die Gewissheit zwar vor sich her tragen, aber nicht mit Sicherheit garantieren kann. Dort, wo also der religiöse Mensch Zweifel hat, könnte die kluge Religionskritik einsetzen.

Und was wäre an dieser Religionskritik klug?
Zunächst einmal eines: dass es nie dumm ist, den anderen in seinem Sein, in seinem Dasein verstehen zu wollen. Ihn einfach für einen Quatschkopf zu halten, ist praktisch, aber nicht der Sache des Menschen angemessen.

Der Philosoph Franz Schuh

APA/Roland Schlager

Der Philosoph Franz Schuh sieht sich selbst als „religionsphilosophisch interessierten Atheisten“

Könnte es auch eine Art von Dummheit sein, wenn man zu wenig über den Gegenstand der eigenen Kritik informiert ist?
Dass ein Kritiker nicht weiß, was er eigentlich kritisiert, könnte man relativ leicht der Dummheit zuschlagen. Aber wenn man dies täte, müsste man auch die ganze Philosophie als dumm bezeichnen. Denn es stellt sich heraus, dass die Philosophen sich dadurch sozusagen fortgepflanzt haben und ihre Tradition fortgepflanzt haben, dass der eine den anderen missverstanden hat. Aristoteles hat keine Ahnung von Plato gehabt, Hegel keine Ahnung von Kant. Unser Leben ist auf Kritik angewiesen, ohne dass die Leute vom Gegenstand der Kritik wirklich erfüllt sind. Denn wären sie das, dann wären sie als Kritiker schwer in Frage gekommen. Das heißt: Ein gewisses Quäntchen an Unverständnis ist die legitime Voraussetzung für Kritik – das gilt auch für Religionskritik.

Dummheit ist also eine Notwendigkeit?
Keine Notwendigkeit, sondern eine Unvermeidlichkeit. Es gibt eine klassische Definition von Dummheit, die geht ungefähr so, dass man zwar eine allgemeine Theorie von einer Sache hat, eine Ahnung, aber nicht in der Lage ist, sie auf den konkreten Einzelfall anzuwenden. Und diese Diskrepanz zwischen allgemeiner Theorie und der Unfähigkeit, sie auf den Einzelfall, wenn er kommt, in einer Art von geistiger Spontanität anzuwenden, das ist Dummheit.

Was bedeutet das in Bezug auf die Religionskritik?
Wer zum Beispiel in der Religion nur den allgemeinen Charakter eines Transzendierens in die Nicht-Erfahrbarkeit sieht und dann religiöse Menschen beobachtet und in ihnen nur das sieht, also dass sie an etwas glauben, was man selber nicht sehen kann, dann, würde ich sagen, ist man nahe an dummer Religionskritik.

Der „Orientierung“-Beitrag mit Franz Schuh vom 14. April 2013

Ist der Atheismus für die Religion gefährlich?
Die eigentliche Gefahr, der sich die Religion ausgesetzt findet, ist überhaupt nicht der Atheismus, sondern die absolute Gleichgültigkeit religiösen Symbolen gegenüber, in gewisser Weise ein Ökonomismus, den die einen Kapitalismus nennen, die anderen Marktwirtschaft oder was auch immer. Da ist mir zum Beispiel die Religion einiges wert, weil sie ein Konzept ist, das gegen diese Ökonomisierung zumindest hin und wieder noch das Wort erhebt.

Welcher Kritik muss sich die Religion in der Gegenwart aussetzen?
Die Frage ist: Wann benebelt der religiöse Sinn den Sinn für die Tatsachen? Wann beginnt man religiös mit den Tatsachen so umzugehen, als ob sie nicht zählten, als ob sie bedeutungslos wären, nur weil einem das ins eigene Konzept hineinpasst? Dann ist Religion ein Täuschungssystem und es ist nicht daran zu denken, dass es dann niemanden gibt, der darauf hinweisen wird. Also die Freiheit des Denkens wird unter allen Umständen drauf hinweisen, wenn Religion dieses Ausmaß an Ideologie angenommen hat. Das ist ein Kulturkampf, von dem man geglaubt hat, er ist zu Ende, aber es gibt tatsächlich religiöse Formen, politische Religionen oder religiös motivierte Politik, die einer solchen Kritik bedürfen.

Sie bezeichnen sich selbst als „religionsphilosophisch interessierten Atheisten“. Wie stehen Sie persönlich zur Religion?
Ich bin jetzt in diesem Zustand, wo das Warten bald ein Ende hat und der Tod mich erreichen wird. Zukunftsverminderung heißt das. Wenn man früh stirbt, hat man noch die Einbildung unendlicher Zukunft gehabt. Aber Zukunftsverminderung ist natürlich schon eine Sache, wo das ganze Leben auf einen zurückfällt. Man ist dann sozusagen gezwungen, über die Welt aus anderer Perspektive nachzudenken, nämlich aus jener, dass man nicht mehr so lange über die Welt nachdenken können wird.

Sie haben sich auch einmal als „weichen Atheisten“ bezeichnet. Gilt das noch?
Ich bin in dem Sinne auf keinen Fall ein Atheist, dass ich den Glauben anderer – das ist eine paradoxe Formulierung – leugnen würde. Meinen eigenen Glauben habe ich nicht gefunden, aber so weit, dass ich den Glauben der anderen leugnen würde, so weit wage ich mich nicht vor.

Das Gespräch führte Klaus Ther