Zeitzeuge Marko Feingold gestorben

Marko Feingold, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, ist am Donnerstag im Alter von 106 Jahren gestorben. Zu seinen Lebensaufgaben gehörte, die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus wach zu halten.

Wie die Israelitische Kultusgemeinde Wien am Freitag bestätigte, ist Feingold am Donnerstag mit 106 Jahren gestorben. So etwas wie Ruhestand kannte er nicht. Bis zuletzt hielt er stundenlange Vorträge in Schulen, um als Zeitzeuge von den Schrecken des Nationalsozialismus zu berichten. Die Erinnerung wach zu halten, war eine seiner Lebensaufgaben. Er überlebte mehrere Konzentrationslager, trotzdem kannte er keinen Hass: „Die Nazis waren verirrte Menschen“.

Auch bei offiziellen Anlässen vertrat Feingold die kleine jüdische Gemeinde in Salzburg bis über seinen 100. Geburtstag hinaus. Mit dem früheren Erzbischof von Salzburg, Alois Kothgasser verband ihn eine herzliche Freundschaft. „Der Erzbischof begrüßt mich immer als seinen jüngeren Bruder“, erzählte Feingold im Gespräch mit der APA anlässlich seines 100. Geburtstags.

Marko Feingold

APA/Barbara Gindl

Marko Feingold

Einziger Überlebender

Von den eigenen drei Geschwistern - Feingold hatte zwei ältere Brüder und eine jüngere Schwester - hat keines die Zeit des Nationalsozialismus überlebt. Nur Marko kam mit dem Leben davon. Von 1939 an war er in den Konzentrationslagern Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald, ehe er 1945 befreit wurde und durch Zufall nach Salzburg kam.

Geboren wurde Feingold am 28. Mai 1913 in Besztercebanya/Neusohl in Österreich-Ungarn. Aufgewachsen ist er in Wien, wo er nach der Schule eine Lehre als kaufmännischer Angestellter machte. „Ich war einer der jüngsten Handelsangestellten in Wien“, erzählt er. Vom Lohn konnte er sich ein kleines Zimmer leisten. Ins Theater zu gehen, gehörte zu seinen großen Leidenschaften. Unter der Regierung Dollfuß wurde Feingold arbeitslos: „Mir muss niemand erzählen, was Armut ist.“

Flucht nach Italien

Nachdem es in Österreich keine Aussichten auf Arbeit gab, ging er gemeinsam mit seinem Bruder Ernst nach Italien. Feingold lernte rasch Italienisch, die Brüder bauten einen Handel für chemisch-technische Produkte auf und waren sehr erfolgreich. „Das waren die fettesten Jahre meines Lebens“, erinnert sich der IKG-Präsident. Die beiden ließen es sich gut gehen, kleideten sich nach der neuesten Mode. „Die Koffer sind immer mehr geworden. Wir brauchten zwei Taxis, weil in einem unser Gepäck nicht mehr Platz hatte.“

Im Februar 1938 kamen die Feingold-Brüder zurück nach Wien, um ihre Pässe verlängern zu lassen. Doch es war Fasching, man war immer bis in die frühen Morgenstunden unterwegs, zum Anstellen vor dem Passamt blieb keine Zeit. „Mein Leben ist eine Geschichte der Zufälle“, ist Feingold überzeugt. Im März übernahmen die Nationalsozialisten die Macht. „Wir standen ohne Pass da, konnten nicht mehr zurück nach Italien, weil Mussolini die Grenze gesperrt hatte.“

„Österreich kein Opfer“

Dass Österreich das erste Opfer der Nationalsozialisten war, lässt Feingold nicht gelten: „Mit offenen Armen sind die Wiener da gestanden und haben die Nationalsozialisten begrüßt. Auch Karl Renner ist gleich für den Anschluss gewesen" - mehr dazu in: Feingold kritisiert Umgang mit Vergangenheit.

Marko Feingold

APA/Barbara Gindl

Marko Feingold zeigt eine Fotografie von sich und seinem Bruder in Italien

Marko Feingold und sein Bruder wurden verhaftet und mehrere Tage verhört. Es gelang ihm zuerst die Flucht nach Prag, schließlich wurde er aber verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. „Man hat uns damals gesagt: Als Jude hast Du noch drei Monate zu leben, dann gehst Du durch den Kamin“, erinnert sich Feingold. Nur mit viel Glück gelang es ihm, das Lager zu überleben.

Mehrere Konzentrationslager überlebt

In Auschwitz magerte er auf 30 Kilogramm ab, wurde krank und war ausgemergelt von der Schwerarbeit. Er kam mit einem Transport ins Lager Neuengamme und später nach Dachau. Schließlich wurde er ins KZ Buchenwald überstellt, wo er nach Steinbruch und Fuhrkolonne schließlich den Maurern, die ein Rüstungswerk in der Nähe des Lagers bauen sollten, zugeteilt wurde. Dass die Arbeitskraft der Häftlinge benötigt wurde, rettete ihm das Leben. Auf die Frage, ob er Glück gehabt habe, meint er: „Ich betrachte alle diese Sachen als Zufall.“ Hass empfand er nicht. Die Nationalsozialisten waren verirrte Menschen.“

„Ich war ein Flüchtling im eigenen Land“, schildert Feingold die Rückkehr nach Österreich. Man habe die Juden eigentlich nicht zurückhaben wollen. Am 11. April 1945 war das KZ Buchenwald von den Amerikanern befreit worden. Durch Zufall gelangte Feingold nach Salzburg. Der junge Mann meldete sich für die Auswanderung nach Amerika. Doch es kam anders: Feingold blieb in Salzburg.

Fluchthelfer

Er schlug sich durch, wurde unmittelbar nach seiner Ankunft Leiter der Versorgungsstelle für politisch Verfolgte. „Wir haben täglich 500 Personen mit Essen versorgt“, erinnert sich Feingold. Über die Untergrundorganisation Bricha half er nach 1945 Tausenden Juden bei ihrer illegalen Flucht nach Palästina. Von der amerikanischen Besatzung wusste Feingold, dass die Landesregierung Lastautos hatte. „Als sie mir keine geben wollten, habe ich gesagt: Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ich bekomme die Lastautos oder die Juden bleiben da“, erzählt er. Er bekam die Laster.

Zuerst konnten die jüdischen Flüchtlinge noch über den Brenner nach Italien fliehen. Doch als die Franzosen bei den illegalen Transporten nicht mehr wegschauten, mussten neue Möglichkeiten gefunden werden. Ab 1947 flohen die Juden zu Fuß über den Krimmler Tauern, um von Italien aus in Richtung Palästina auszuwandern. Hat er selbst einmal überlegt, auch nach Israel zu gehen? „Mein Boden ist Österreich, ich gehöre hier her.“

Gegen das Vergessen

Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde war Feingold seit ihrer Gründung im Jahr 1946. Er war von 1946 bis 1947 auch kurz deren Präsident. In der Stadt Salzburg eröffnete Feingold 1948 ein Modegeschäft, das er bis zu seiner Pensionierung 1977 führte. Seit 1977 leitete er die Israelitische Kultusgemeinde in Salzburg und engagierte sich gemeinsam mit seiner zweiten Frau Hanna gegen das Vergessen.

religion.ORF.at/APA