Libanon: Religionen zwingen zu Heiratstourismus
Zum „Ja-Wort“ mit dem Flieger nach Zypern. Was durchaus romantisch klingen mag, empfinden viele Libanesen als Zwang. Denn wer zivilrechtlich heiraten will, kann dies nicht im Libanon tun, sondern muss dazu ins Ausland. Ein lukratives Geschäft für die Tourismusbranche, eine mühsame Prozedur für alle, die ohne Beisein eines Vertreters einer Glaubensgemeinschaft dennoch zu einem Trauschein kommen wollen.
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Heiraten wollten auch Kholoud Sukkarieh und Nidal Darwish. Doch plötzlich stand die jeweilige Konfessionszugehörigkeit zwischen der Sunnitin und dem Schiiten. Ein scheinbar unüberwindbares Ehehindernis für die zuständigen muslimischen Geistlichen. Eine religiöse Eheschließung war somit ausgeschlossen. Eine säkulare Alternative dazu gibt es im Libanon nicht.
Konfessionen und Religionen bleiben unter sich
„Im Zedernstaat ist es nahezu unmöglich eine Ehe mit einem Mann oder einer Frau außerhalb seiner religiösen Gemeinschaft zu schließen,“ greift George Massouh die Geschichte des Paares Sukkarieh und Darwish auf. Massouh ist Direktor des Zentrums für christlich-muslimische Studien an der Universität Balamand im Libanon. Aktuell nach Wien hat ihn die europäisch-arabischen Konferenz „The Contribution of Religious Minorities to Society“ (Religiöse Minderheiten – und ihr Beitrag zur Gesellschaft) geführt.
Religion im Libanon
Im Libanon herrscht ein System der konfessionellen Parität. Das heißt die Verwaltung ist zwischen verschiedenen Konfessionsgruppen gleichberechtigt aufgeteilt.
18 Religionsgemeinschaften sind im Libanon anerkannt. Die größten Gruppen bilden maronitische Christen, sowie schiitische und sunnitische Muslime. Daneben gibt es Drusen, rum-orthodoxe Christen, melkitische griechisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, alawitische Muslime, armenisch-katholische Christen und protestantische Christen, koptische Christen und Juden.
Bei seinem Referat geht er mit dem konfessionellen Rechtssystem seines Landes hart ins Gericht: „Die religiösen Gruppen bleiben weitgehend unter sich. Maronitische Christen heiraten nur untereinander, ebenso sunnitische Muslime, detto Schiiten, Drusen, Mitglieder der armenischen Minderheit usw. – das gelte nahezu für alle 18 anerkannten Konfessionen im Zedernstaat“, meint Massouh.
Die Gesetze der Religionen, wer mit wem darf und wer nicht, sind kompliziert und fordern meist die Konvertierung eines Partners. Drusen etwa verbieten generell die Ehe mit Nicht-Drusen, muslimische Frauen dürfen keine Christen oder Juden heiraten, orthodoxen Christen wiederum ist untersagt Muslime zu ehelichen. Und nahezu jede Religionsgemeinschaft verlangt, das gemeinsame Kinder aus einer konfessionellen Mischehe nach ihrem System erzogen werden.
Standesamt unbekannt
Den Ausweg auf das Standesamt gibt es im Libanon nicht. Ehen werden derzeit ausschließlich von den religiösen Autoritäten geschlossen. Wer das starre religiöse System trotzdem durchbrechen möchte, um eine eheliche Partnerschaft mit einem „verbotenen“ Menschen aus einer anderen religiösen Gruppe zu führen, muss zur zivilen Eheschließung ins Ausland.
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Hochzeitstourismus
Mittlerweile hat sich ein regelrechter Hochzeitstourismus entwickelt. Jahr für Jahr reisen tausende Libanesen zur Eheschließung ins nahe Zypern. Für etwas mehr als € 1000.- gibt es das günstigste Pauschalangebot, inklusive Trauschein. 14 Stunden dauert die Reise auf diverse Ämter in Zypern, inklusive Hin- und Rückflug. Allerdings muss danach noch mit einem Gang ins libanesische Außenministerium der Trauschein beglaubigt und somit rechtlich anerkannt werden. Ein mühevoller bürokratischer Akt, begleitet von unzähligen Formularen.
Eine Prozedur, die für Sukkarieh und Darwish nicht in Frage kam. Sie wollten ihr Ja-Wort in ihrer Heimat sprechen, nicht vor einem Kleriker einer Religion, sondern vor einem säkularen Beamten oder Notar.
Aber die Religionen und Konfessionen hätten den Zedernstaat fest unter sich aufgeteilt, berichtet Massouh. Es habe sich ein konfessionelles System etabliert, dass bis in die Parteien und Politik wirke. Seit der Staatsgründung bestimmt die Religionszugehörigkeiten das öffentliche Leben. So müsse etwa der Präsident immer ein Christ sein, der Premier ein Sunnit und der Parlamentssprecher ein Schiit. Fast alle rechtlichen Angelegenheiten würden vom jeweiligen Klerus geregelt und verhandelt. Geburt, Heirat, Scheidung, Vererbung oder Tod, immer sei ein Gang in ein Gotteshaus notwendig, kritisieren Befürworter einer Säkularisierung des Libanons.
Es habe sich ein System etabliert, „dass den unterschiedlichen Religionen paritätische Macht gibt“, meint Massouh, der selbst Christ ist. Ein fragiles Gleichgewicht sei entstanden, das besonders durch den in den Libanon herein schwappenden syrischen Bürgerkrieg gefährdet sein könnte und Misstrauen und Hass zwischen den Konfessionen am Leben erhalte, befürchtet Massouh darüber hinaus.
Kampf gegen Konfessionalismus
Doch es gibt allmählich lauter werdende Stimmen gegen das konfessionelle System. Vor allem junge säkular Libanesen haben in den letzten Jahren zahlreiche Menschenrechtsinitiativen ins Leben gerufen.
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Auch Sukkarieh und Darwish haben ihren eigenen Fall als Anlass genommen, sich für das Recht einer zivilen Eheschließung einzusetzen. Sie haben die Gesetze genau studiert und schließlich eine Lücke gefunden. „Das libanesische Recht stammt aus der französischen Mandatszeit. Es sieht vor, dass Personen, die keiner Religionsgruppe angehörten, auch nicht von einer Religionsgruppe getraut werden sollten. In einem solchen Fall müsst eine Eheschließung zivilrechtlich vollzogen werden“, erläuterte Talal al-Husseini, Anwalt des Paares gegenüber der Agentur IPS-News die Strategie. Also ließen Sukkarieh und Darwish ihre Religionszugehörigkeit aus allen Dokumenten streichen, was im Libanon seit einigen Jahren möglich ist und forderten eine zivile Eheschließung ein.
Das Recht „Ja“ zu sagen
Eine Prozedur, die sich über Jahre gezogen hat und immer wieder von Beamten und Regierung verzögert wurde. Schließlich kam es aber doch zum viel beachteten „Ja“ der Beiden. Innenminister Marwan Charbel unterzeichnete im April dieses Jahres die Dokumente der ersten zivilen Eheschließung im Libanon. „Es ist schon ein anderes Gefühl, jemanden auf der Grundlage der Menschenrechte und nicht auf der Grundlage religiöser Rechte zu heiraten,“ wird Darwisch in fast allen Zeitungen des Landes zitiert.
Ermutigt durch den Arabischen Frühling zogen bereits 2010 Zehntausende Libanesen auf die Straßen, um gegen die Dominanz des religiösen Systems zu protestieren. Der aktuelle Fall der ersten Zivilehe im Libanon, hat vielen Initiativen, die für eine Trennung von Religion und Staat im Libanon eintreten, neuen Aufschwung verliehen. Es sei ein längerfristiges Ziel der Aktivisten ein Parlament abseits der konfessionellen Zugehörigkeit zu etablieren, wird in Diskussionsforen berichtet.
Auch wird ein Parteiengesetz gefordert, in dem konfessionelle Vielfalt innerhalb einer Partei Voraussetzung für die Zulassung wäre. Aber auch im Medienbereich soll ein neues Gesetz etwa Zeitungen und TV-Stationen einschränken, die konfessionelle Aufhetzung betreiben. Und natürlich soll man endlich auch über die konfessionellen Grenzen hinweg zivil heiraten dürfen, fasst Massouh bei seinem Vortrag in Wien nochmals die Reformwünsche vieler Menschen im Libanon zusammen. Säkulare Wünsche, denen sich auch immer mehr Gläubige anschließen.
Klaus Ther, Marcus Marschalek, religion.ORF.at