Amnesty: „Ethnische Säuberungen“ in Zentralafrika

In einem neuen Dossier zur Lage in der Zentralafrikanischen Republik berichtet Amnesty International von ethnischen Säuberungen und von einem Exodus der muslimischen Bevölkerungsminderheit „von historischem Ausmaß“.

Amnesty hat im Nordwesten des Landes mit mehr als 100 Augenzeugen gesprochen und berichtet von gewalttätigen Übergriffen auf die muslimische Zivilbevölkerung. Verantwortlich gemacht werden die Anti-Balaka („Anti-Macheten“), mehrheitlich christliche und nur sehr lose organisierte Bürgermilizen. Die bisher brutalste Attacke habe sich am 18. Januar ereignet, als die Anti-Balaka in dem Ort Bossemptele mehr als 100 Muslime getötet hätten.

Amnesty International beschuldigt aber auch die internationalen Friedenstruppen, sie hätten die „ethnische Säuberung“ in dem Land nicht verhindert. „Das Ergebnis ist eine Massenflucht der Muslime von historischen Ausmaßen“, hieß es in dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht.

Ban appelliert an EU

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat indes von der Europäischen Union mehr Einsatz in der Krisenregion gefordert. Die internationale Reaktion auf die Krise sei dem Ernst der Lage nicht angemessen, sagte Ban am Dienstag in New York. So habe er Frankreich gebeten, über die Entsendung weiterer Soldaten nachzudenken.

„Ich fordere andere bereitwillige (EU-) Mitgliedstaaten auf, ebenfalls einen Beitrag zu leisten.“ Die Gewalt zwischen Christen und Muslimen nehme zu und könne sich zu einem Völkermord entwickeln. Die EU-Außenminister hatten am Montag die Rechtsgrundlage für die Operation „EUFOR RCA“ beschlossen.

Während Deutschland schon vor knapp zwei Wochen bekannt gab, keine Truppen nach Zentralafrika zu schicken, ist die Frage der österreichischen Beteiligung noch immer offen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, er stehe diesbezüglich mit Verteidigungsministerium Gerald Klug (SPÖ) in Kontakt. Im Verteidigungsministerium bestätigte man am Mittwoch auf APA-Anfrage, dass noch immer an einer Lagebeurteilung gearbeitet werde.

Luftbrücke eingerichtet

Das Welternährungsprogramm (WFP) hat indes eine Luftbrücke zur Versorgung der 1,3 Millionen Hilfsbedürftigen in der Zentralafrikanischen Republik gestartet. Eine erste Frachtmaschine mit 80 Tonnen Reis sei am Mittwochnachmittag in der Hauptstadt Bangui gelandet, sagte WFP-Sprecher Alexis Masciarelli. Es sei geplant, mit täglich 24 Flugzeugen aus Douala in Kamerun Lebensmittel nach Bangui zu fliegen. Insgesamt sollen so 1800 Tonnen eingeflogen werden.

Die Luftbrücke ist eine der größten, die das Welternährungsprogramm je eingerichtet hat. Laut Masciarelli kostet sie drei Millionen Dollar. Er wies darauf hin, dass seine Organisation bisher nur ein Viertel der 107 Millionen Dollar erhalten habe, die sie für ihr Hilfsprogramm bis August benötigt. Laut dem Sprecher ist eine dauerhafte Versorgung der Hauptstadt mit Lebensmitteln nur möglich, wenn die Straße nach Kamerun wieder regulär befahrbar ist.

Kinder spielen in zerstörtem Gebäude

Reuters/Siegfried Modola

Kinder spielen in einem zerstörten muslimischen Zentrum nahe der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui

Chaos seit fast einem Jahr

Der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik eskaliert seit März 2013 stetig. Damals hatten die mehrheitlich muslimischen Seleka-Rebellen Präsident Francois Bozize gestürzt und als Nachfolger Michel Djotodia an die Macht gebracht. Dieser löste die Seleka offiziell auf, doch die Gewalt - vor allem gegen die christliche Mehrheit im Land - nahm weiter zu. Die Anti-Balaka begannen ihre Vergeltungsschläge gegen die Seleka.

Da es Djotodia nicht gelang, die Gewalt in den Griff zu bekommen, trat er am 10. Jänner auf Druck der Nachbarstaaten zurück. Übergangspräsidentin Catherine Samba Panza hat sich die Befriedung des Landes zum Ziel gesetzt. Unterstützt wird sie dabei von einer Friedenstruppe der Afrikanischen Union (AU) und Soldaten der französischen Armee. Knapp eine Million Menschen, das ist mehr als ein Fünftel der Bevölkerung, sind mittlerweile auf der Flucht.

Am Mittwoch deutete Samba Panza allerdings an, mit allen verfügbaren Mitteln gegen die Anti-Balaka vorgehen zu wollen. „Wir werden in den Krieg ziehen gegen die Anti-Balaka“, sagte sie bei einem Besuch in dem Ort Mbaika mit dem französischen Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian an. „Sie denken, weil ich eine Frau bin, sei ich schwach. Doch nun werden die Anti-Balaka, die töten wollen, selbst gejagt werden“, so Samba Panza.

Obwohl die beiden Rebellengruppierungen tatsächlich mehrheitlich der jeweiligen Religionsgemeinschaft angehören, mehren sich in den vergangenen Wochen aber auch jene Stimmen, die die Darstellung, der Konflikt habe religiöse Wurzeln, zurückweisen.

„Kein religiös motiviertes Programm“

So zum Beispiel der Referatsleiter Afrika der internationalen Abteilung der deutschen Caritas, Christoph Klitsch-Ott. „Beide Rebellenorganisationen, die Seleka und die Anti-Balaka, sind nicht religiös motiviert“, so Klitsch-Ott in einem Interview auf der Homepage der deutschen Caritas. "Keine der beiden Gruppierungen hat ein religiös motiviertes Programm. Es ist deshalb falsch, wenn beispielsweise von „christlichen Milizen" die Rede ist.“

Mann liest in Buch

Reuters/Siegfried Modola

Ein muslimischer Mann betet in einem Flüchtlingscamp - fast eine Million Menschen in der Zentralafrikanischen Republik sind auf der Flucht

Die Aufteilung des Landes in den mehrheitlich muslimischen Nordosten und den mehrheitlich christlichen Rest des Landes sei der „der Geschichte und den Wirren der Kolonialzeit geschuldet“, so der Caritas-Mitarbeiter. „Im Kern ist es ein politischer Machtkampf, dessen Ursprung in unterschiedlichen Kulturen und Lebensweisen wurzelt, zum Beispiel zwischen sesshaften Bauern und nomadisierenden Viehhirten.“

Anders sei die Lage etwa in Nigeria, wo die Boko Haram tatsächlich mit einem religiös motivierten Programm agiere, so Klitsch-Ott. „Diese Gruppierung wendet sich aggressiv gegen jede Art von westlichem Einfluss - von Impfkampagnen bis Bildungseinrichtungen. Diese Form des religiös motivierten Kampfes gibt es in der Zentralafrikanischen Republik nicht.“

„Religion wird missbraucht“

Ähnlich sieht das auch der Jesuit Peter Balleis, Internationaler Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (Jesuit Refugee Service – JRS). „Der Konflikt in Zentralafrika kann auf keinen Fall auf eine Konfliktlinie Christen gegen Muslime reduziert werden, auch wenn er diese Dimension angenommen hat“, schreibt Balleis in einem Gastbeitrag für „Zeit Online“. „Die Unterentwicklung der ländlichen Gebiete, die Vernachlässigung bestimmter Regionen, das Fehlen von Bildung und demokratischen Prozessen der Machtübernahme sind ebenfalls Ursachen.“

Sowohl die Seleka als auch die Anti-Balaka bedienten sich religiöser Motive, um unter ihren jeweiligen Anhängern Angst zu schüren, so der Jesuit. „Die Religion wird für politische Ziele missbraucht, während allerdings Imame und Kirchenführer bemüht sind, die Menschen zum Frieden und zur Versöhnung zu bewegen.“

Erzbischof und Imam auf Friedenstour

Tatsächlich sind die offiziellen Religionsvertreter des Landes um Deeskalation bemüht. Der Erzbischof von Bangui, Dieudonne Nzapalainga, reise gemeinsam mit dem nationalen muslimischen Religionsführer, Imam Omar Kobine Layama, mit Megaphonen durch das Land, um zur Versöhnung aufzurufen, berichtet auch Caritas-Mitarbeiter Klitsch-Ott.

Nzapalainga hat zusammen mit dem Rest der Zentralafrikanischen Bischofskonferenz zum Jahreswechsel selbst ein Pastoralschreiben veröffentlicht, in dem die Bischöfe sich für Versöhnung einsetzen und sich gegen eine religiöse Einordnung des Konflikts aussprechen. Es handle sich bei der aktuellen Krise um eine politische und militärische, nicht aber um eine religiöse, so die Bischöfe in ihrem Schreiben.

Junger Mann mit Gewehr

Reuters/Siegfried Modola

Ein Kämpfer der Anti-Balaka-Miliz

„Teufelskreis der gegenseitigen Vergeltungsschläge“

"Im aktuellen Konflikt zwischen der Seleka und der Anti-Balaka sind wir in einen Teufelskreis der gegenseitigen Vergeltungsschläge („cycle of reprisals and counter-reprisals") geraten, der die Zivilbevölkerung als Geisel hält“, schreiben die Bischöfe. „Wir verurteilen all diese Gewalt, ungeachtet ihrer Ursachen.“

Gleichzeitig betont die Bischofskonferenz, dass nicht alle Seleka-Kämpfer Muslime und nicht alle Anti-Balaka-Kämpfer Christen seien. „Diese Generalisierung, die von den nationalen und internationalen Medien propagiert wird, führt dazu, dass einer Krise, die vor allem eine politische und militärische ist, ein konfessionsgebundener Charakter verliehen wird.“

„Keine christlichen Milizen“

Nzapalainga erneuerte seine Kritik an einer religiösen Deutung des Konflikts am Mittwoch gegenüber dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. Die Anti-Balaka seien keine „christlichen Milizen“, sondern eine „Selbstverteidigungsbewegung, die nun die Politiker abgehängt hat“, so Nazapalainga.

Die Menschen in seinem Land lebten mittlerweile in Angst und Schrecken, erläuterte der Erzbischof. Er forderte die Vereinten Nationen auf, mehr Schutztruppen zu schicken. Die gegenwärtige Militärpräsenz sei angesichts der Größe des Landes nicht ausreichend. Die Zentralafrikanische Republik habe fast die Fläche Frankreichs. „Hier kann man mit 4.000 oder 5.000 Soldaten nicht für Frieden sorgen. Selbst in der Hauptstadt Bangui ist das nicht gelungen.“ Die Lage sei weiter sehr gefährlich.

Erinnerungen an Ruanda

Nzapalainga berichte, dass aus einem rund 200 Kilometer von Bangui entfernten Ort alle Muslime verschwunden seien, so „Kirche in Not“. Als er die Anhänger der Anti-Balaka nach ihrem Verbleib gefragt habe, habe es geheißen, die Muslime seien vertrieben worden. Der Erzbischof zweifle jedoch an dieser Version: „Dass mehr als 200 Muslime mitsamt Kindern und alten Leuten 192 Kilometer gelaufen sein sollen, ist unmöglich.“ Zwei Minister habe er darüber informiert, dass ihn das Gesehene an Völkermord denken lasse. Diese behaupteten jedoch ebenfalls, die Menschen seien vertrieben worden.

In Bohong, wo die Seleka-Rebellen die christliche Bevölkerung angegriffen hatten, habe er sich ebenfalls an den Völkermord von Ruanda vor 20 Jahren erinnert gefühlt, so der Erzbischof. Ein Teil eines Stadtviertels sei völlig niedergebrannt worden; auch Menschen seien verbrannt. „Man sah Knochen und menschliche Köpfe.“

religion.ORF.at/dpa/APA/Reuters/AFP

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