Passionszeit: Wozu fasten?

In allen Religionen gibt es Fastenzeiten oder -tage, an denen auf Nahrung, Getränke oder Gewohnheiten verzichtet wird. Christen legen in ihrer Fastenzeit den Fokus immer stärker auf entwicklungspolitisches Engagement, Bahai auf spirituelle Erneuerung.

Fastenzeiten beziehungsweise Fasttage kennen alle Religionen. Mehr oder weniger ausgeprägt wird für eine bestimmte Zeit auf feste Nahrung, zum Teil auch auf Flüssigkeit verzichtet. Man enthält sich in unterschiedlichem Maß Speisen, besonders Fleisch, teilweise auch Milchprodukten und Eiern, bis hin zu totaler Askese in manchen Hindu-Traditionen. Mittlerweile hat sich in der westlichen Welt auch der Verzicht auf andere Dinge wie Autofahren, Fernsehen, Internet oder andere allzu liebgewordene Gewohnheiten verbreitet.

Mit Aschermittwoch beginnt für Christen die 40-tägige vorösterliche Fasten- oder Passionszeit. Fast zeitglich mit der christlichen Fastenzeit begehen auch Angehörige der Bahai ihre jährliche 19-tägige Fastenzeit, die immer vom 2. bis 20. März dauert und mit der Tag-und-Nachtgleiche am 21. März (Naw Ruz) in ein neues Bahai-Jahr mündet. In dieser Fastenzeit wird - ähnlich wie im islamischen Fastenmonat Ramadan - von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Speisen und Getränke verzichtet.

Freiwilliger Nahrungsverzicht und Hunger

Doch wozu dient Fasten eigentlich? Während sich bei Katholiken und Protestanten die Fastenzeit stark zu einer Sache der Solidarität mit bedürftigeren Menschen entwickelt hat, steht für Bahai die individuelle geistige Erneuerung im Vordergrund. Anja Dustdar, Bahai-Mitglied aus Österreich, sagt dazu im Gespräch mit religion.ORF.at, dass man durch den täglich etwa zehnstündigen Verzicht auf Nahrung und Getränke seine Gewohnheiten unterbreche, wodurch eine spirituelle Erneuerung einsetzen könne.

Michael Bünker, Bischof der evangelischen Kirche A.B. in Österreich, weist in einer Aussendung auf die paradoxe Situation hin, dass in Überflussgesellschaften vorübergehend und freiwillig auf Nahrung verzichtet wird, „weil es einem guttut“, während Millionen Menschen weltweit hungern. „In der Europäischen Union werden jedes Jahr pro Person durchschnittlich 179 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen“, heißt es dazu in der Aussendung.

Michael Bünker, Bischof der evangelischen Kirche A.B. in Österreich vor einem Plakat der Initiative "Brot für die Welt"

Diakonie

Bischof der evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Michael Bünker

Angesprochen auf verschiedene Formen des Fastens wie Autofasten oder Verzicht aufs Internet sagt Bünker im Gespräch mit religion.ORF.at, dass das Fasten nicht nur damit zu tun habe, „was ich mit mir und für mich tue, sondern auch mit Zusammengehörigkeit der Menschen, Solidarität und Gerechtigkeit. Ich denke, das beste Fasten ist, wenn man gleichzeitig eine entwicklungspolitische Aktion unterstützt“.

Die Seele im Körper

Das beginne damit, sich zu informieren, woher die Lebensmittel kommen und ob die produzierende Bevölkerung davon ebenso profitiert wie die konsumierende. Ein Nachdenken über den eigenen Energieverbrauch und den eventuellen Verzicht aufs Autofahren sei sicher vernünftig, im Grunde laufe es beim Fasten aber doch auf die Frage nach dem Umgang mit Lebensmitteln, nach Ernährungsgerechtigkeit und Ernährungssicherheit hinaus, so Bünker mit Hinweis auf die Hilfsaktion „Brot für die Welt“ der evangelischen Kirche.

Der heilige Schrein der Baha'i in Haifa (Israel).

REUTERS/Ammar Awad

Die Bahai-Religion

Die Bahai-Religion ist eine eigenständige monotheistische Religion, die im 19. Jahrhundert im Iran aus dem schiitischen Islam hervorgegangen ist. Als Religionsstifter gilt Baha’ullah („Herrlichkeit Gottes“). Weltweit bekennen sich etwa fünf bis acht Millionen Menschen zum Bahaitum. In Österreich haben die Bahai seit 1998 den Status einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft.

Für Bahai werde durch das Fasten die seelische, geistige Seite des Menschen hervorgehoben und die Körperlichkeit in den Hintergrund gestellt, so Dustdar. Im Weltbild der Bahai wird der Mensch als geistige Wirklichkeit aufgefasst, die in ihrer Lebensspanne auf dieser Welt einen Körper hat. Durch das Fasten werde der Fokus auf das eigentlich Wesentliche - die seelische Seite - gelegt, so Dustdar. „Das körperliche Fasten, die Enthaltung von Speise und Trank, ist ein Ausdruck mentaler Selbstdisziplin, welche die menschliche Seele für das Göttliche öffnet“, liest man auf der Homepage der Bahai.

Um Solidarität und Mitgefühl dreht es sich bei den Bahai an den vier Tagen vor der Fastenzeit. Diese vier Tage sind die vier Schalttage (Ayyamiha) im Kalender des Bahai-Jahrs. Dieses ist in 19 Monate zu je 19 Tagen eingeteilt. Die vier auf 365 fehlenden Tage werden vor der Fastenzeit „eingeschoben“ und stehen im Zeichen des Gebens und Freude-Schenkens.

„Schlaraffenland- statt Suppenkasper-Pädagogik“

Früher habe es die Suppenkasperpädagogik (was auf den Teller kommt, muss aufgegessen werden) gegeben, nun bedürfe es einer Schlaraffenland-Pädagogik, die den Umgang mit dem Überfluss thematisiere, so Bischof Bünker. Nötig wäre keine Verzichtsideologie, keine Kasteiung, aber ein stärkeres Achten auf die Qualität. Denn „muss man jedes Hühnerfleisch kaufen, wenn man weiß, wie die Hühner leben müssen und letztlich auch ums Leben gebracht werden“? Ein „Besser“ statt „Mehr“ oder „Weniger“ sei nebenbei auch wirtschaftlich interessant, so Bünker.

Entstanden sei das Fasten übrigens nicht im Zusammenhang mit Überfluss, so Bünker, vielmehr hätten die frühen Christen das Fasten als Zeichen ihrer Unabhängigkeit von dieser Welt praktiziert. „Für viele ist das Fasten ein interessanter Versuch, für sich selbst herauszufinden: Was brauche ich eigentlich, worauf kann ich verzichten. Muss ich immer alles haben, oder immer mehr? Und: Gelingt es mir, auf bestimmte Dinge zu verzichten oder diese einzuschränken?“, sagte Bünker.

Um Gewichtsreduktion gehe es dabei jedenfalls nicht. Er selbst verzichte in der Fastenzeit schon einmal auf ein Glas Wein. Und er habe seine Ernährung auf zuckerfrei umgestellt - das allerdings nicht nur für die Dauer der Fastenzeit.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

Links: