Der zornige Heilige: Johannes Paul II.

Von den 104 Auslandreisen, die Papst Johannes Paul II. in den 26 Jahren seiner Amtszeit absolvierte, führten ihn neun in seine Heimat Polen. Seine dritte Reise nach Polen - 1987 noch unter kommunistischer Herrschaft - nützte er für einen bemerkenswerten Auftritt. Ein Kommentar von Peter Pawlowsky.

In einer zornigen Rede (der ORF übertrug sie live) warf er seinen Landsleuten vor, sich schon jetzt mehr für westlichen Wohlstand als für die Lebensregeln der Kirche zu interessieren, für die er gekämpft hatte.

Widerstand und Offenheit

Unbeugsame, bisweilen zornige Überzeugungen charakterisierten den polnischen Papst. Das war die Kraft, mit der er die Diktatur der Nazis und nach 1945 die Diktatur der Kommunisten durchgestanden hatte. In Polen hatte er gelernt, dass nur eine völlig geeinte Kirche den gewalttätigen rechten und linken Atheismen Widerstand leisten konnte. Schon acht Monate nach seiner Wahl zum Papst besuchte er Polen 1979 zum ersten Mal und wurde zum Inspirator der Solidarnosc-Bewegung, die ein Jahr später mit einer großen Streikwelle die politische Wende einleitete.

Johannes Paul II.

APA/EPA/ANSA/Monteforte

Johannes Paul II. im Juni 1996

Was er gelernt hatte, zeichnete ihn zeitlebens aus. Er hatte Anteil am Zusammenbruch des Kommunismus im europäischen Ostblock, und es schien ihm daher nur konsequent, auch die südamerikanische Befreiungstheologie zu bekämpfen, wo sie sich auf eine marxistische Gesellschaftsanalyse stützte. Abweichende Meinungen innerhalb der Kirche duldete er nicht, während er zugleich nach außen in nie da gewesener Weise offen auftrat.

Er war der erste Papst, der die römische Synagoge besuchte und die große Moschee von Damaskus betrat. Er inszenierte 1986 das Gebet der Religionen in Assisi, das ihm scharfe Kritik von fundamentalistischen Kirchenkreisen eintrug. Aber er war unnachsichtig nach innen, ließ Priester, die geheiratet hatten, jahrelang auf die Laisierung warten. Der vatikanische Zentralismus erreichte unter ihm einen Höhepunkt, die Bischöfe waren nur noch Statthalter Roms.

Unnachgiebiger Moralist

Er war es auch, der seinem Vorgänger Papst Paul VI. eingeredet hatte, das Verbot der Empfängnisverhütung in der Enzyklika „Humanae vitae“ festzuschreiben, das er später in seiner eigenen Enzyklika „Evangelium vitae“ bekräftigte. Dass gerade dieses Thema zu einem massiven kirchlichen Autoritätsverlust führte, wird er wohl verstanden haben; aber ebendas motivierte ihn umso unnachgiebiger zur Einschärfung autoritativer Moralregeln. Ebenso erklärte er die Diskussion über das Priesteramt für Frauen als definitiv beendet, während er zugleich für Menschenrechte und gegen die Todesstrafe auftrat.

Johannes Paul II. bricht nach dem auf ihn verübten Attentat am 13. Mai 1981 zusammen

APA/EPA/ANSA

13. Mai 1981: Johannes Paul II. bricht nach dem auf ihn verübten Attentat zusammen

Das scheint widersprüchlich zu sein, lässt sich aber auch anders lesen: Dieser Papst war kein Zauderer wie sein Vorgänger Paul VI., sondern entschieden und prinzipientreu. Er war eine bedeutende politische Figur, sonst hätte niemand ein Attentat auf ihn verübt. Und er ließ sich unter keinen Umständen von der Pflicht abbringen, sein Amt auszuüben. Er lastete sich die Verantwortung für alles auf, was in der Kirche geschah: Deshalb reiste er unermüdlich und verstand sich als Pfarrer des ganzen Orbis catholicus.

Auch seine Krankheit ließ ihn nicht zurückweichen. Er wollte auf keinen Fall zurücktreten, wie das sein Nachfolger Benedikt XVI. tat. Auch sein Leiden, seine Hilflosigkeit zu ertragen, verstand er als christliches Zeugnis. Am Ostersonntag 2005 konnte er den traditionellen Ostersegen Urbi et Orbi nur noch ohne Worte spenden; in der Woche nach Ostern starb er. Damals riefen die Menschen auf dem Petersplatz: „Santo subito!“, weil sie diesen Mann würdig fanden, zur Ehre der Altäre erhoben zu werden.

Vielerlei Heiligkeit

Die aus dem Mittelalter übernommenen Kriterien für eine Heiligsprechung sind heute kaum noch nachzuvollziehen. Müssen tatsächlich Wunder geschehen, um jemanden als heilig zu bezeugen? Der Apostel Paulus nannte alle Christen, die sich auf den Glauben an Jesus Christus eingelassen hatten, „Heilige“. Und tatsächlich gibt es auch heute weitaus mehr Heilige als diejenigen, die offiziell heiliggesprochen werden.

Entscheidend ist wohl, wie ein glaubwürdiges christliches Leben so öffentlich bekanntwird, dass darauf auch eine öffentliche, kirchenamtliche Bestätigung erfolgen kann. Bei Johannes Paul II. gab es durchaus Bedenken und Einwände. Kardinal Carlo Maria Martini, damals Erzbischof von Mailand, kritisierte die Gängelung der Ortskirchen und die Neigung des Papstes, mehr auf charismatische Gruppen und das Opus Dei zu setzen. Dem Kirchenbild des Papstes entsprach es, dass die zu seiner Zeit allmählich bekanntwerdenden Missbrauchsfälle zunächst weitgehend vertuscht wurden.

Journalist und Experte

Peter Pawlowsky ist Journalist und Vorstandsmitglied der österreichischen Laieninitiative sowie ehemaliger Leiter der Abteilung Religion im ORF-Fernsehen.

Die ersten Heiligen im ausdrücklichen Sinn waren in der alten Kirche die Märtyrer. Ihre Standhaftigkeit in Gefahr, ja in Todesgefahr zeichnete sie aus. Märtyrer waren auch die Opfer der Diktaturen des 20. Jahrhunderts, und es gibt sie bis heute in Afrika und Asien. Sie wurden und werden nicht danach gefragt, Anhänger welcher Theologie sie gewesen sind und welche Kirchenpolitik sie betrieben haben. Deshalb mag es richtig sein, Johannes Paul II. heiligzusprechen, auch wenn Kritik an seiner Amtsführung berechtigt ist. Heiliggesprochen wird nicht der Theologe oder der Kirchenpolitiker, sondern der Christ, der seinen Glauben unter Diktaturen und Anfeindungen, nach einem Attentat und in seiner Krankheit zum Tode beispielhaft ernst genommen hat.