Zulehner zu Conchita-Sieg: Diskriminierung abzulehnen

Diskriminierung, gegen welche Lebensform auch immer sie sich richtet, ist abzulehnen, so der Wiener Pastoraltheologe und Religionsforscher Paul Zulehner mit Blick auf Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst.

Nicht erst seit Papst Franziskus habe sich in der Kirche angesichts von Lebensgestaltungsmodellen, die vom christlichen Ehe-Ideal abweichen, gezeigt, dass „jegliche moralische Verwerfung keine Rolle mehr spielt“ - und das sei gut so, wie Zulehner in einem Kathpress-Gespräch am Dienstag sagte.

Freilich offenbarten Toleranzappelle wie jene von der erfolgreichen österreichischen Drag Queen Conchita Wurst gerade auch, dass hier noch eine Lücke zwischen Wunsch und Realisierung klafft. Diskriminierung sei erst überwunden, wenn Antidiskriminierungsbotschaften nicht mehr erforderlich seien, sagte Zulehner.

Conchita Wurst

APA/ORF/Hans Leitner

Song-Contest-Gewinnerin Conchita Wurst

Zugleich warb der Theologe für eine differenzierte Sicht von Diskriminierung: Nicht jede behauptete müsse auch automatisch eine sein, wobei er als Beispiel die laufende Debatte um Adoptionsrechte für gleichgeschlechtliche Paare nannte. Wer dem Kindeswohl den Vorzug gegenüber dem Anspruch Erwachsener auf ein eigenes Kind gebe, sei deshalb noch kein Diskriminierender. Der seit Jahrzehnten mit Europäischen Wertestudien befasste Zulehner warnte auch davor, dass ein „ständiges Zum-Thema-Machen“ diskriminierende Haltungen verstärken statt abbauen könnte.

„Song Contest religiöse Inszenierung“

Den Eurovisions-Song-Contest sieht Zulehner als „Fest gelungener künstlerischer Aktivität“ - mit durchaus religiös anmutender Inszenierung. Das Erscheinungsbild von Conchita Wurst erinnere ihn frappant an Jesus-Darstellungen im romantisierenden Nazarener-Stil. Höchst ambivalent sei freilich die auch beim Songcontest durchscheinende Verquickung von Religion und Nationalismus, die neben Identitätsstiftung auch zur Legitimation von Ausgrenzung herhalte: In Österreich gebe es zum Beispiel „Kulturchristen“, die in einem katholisch geprägten Land sichtbarer islamischer Religiosität die Existenzberechtigung absprechen.

Paul M. Zulehner

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Pastoraltheologe Paul Zulehner

Die katholische Kirche sei mit Fragen rund um Geschlechteridentität, Homosexualität, Beziehungsgestaltung und das Aufbrechen traditioneller Familienbilder u. a. bei der Familiensynode im Herbst 2014 befasst und sei gut beraten, sich auf die heute vorzufindende Vielfalt „tief einzulassen“. Schon unter Benedikt XVI. sei ein aus der Sicht Zulehners unumkehrbarer Diskussionsprozess darüber in Gang gekommen, was vom Sakrament der Ehe bleibt, wenn die Liebe wegfällt.

Liebe braucht Schutzraum

Zulehner erinnerte daran, dass im 1917 veröffentlichen Kirchenrecht die Ehe vorrangig als für abgesicherte Fortpflanzung erforderlicher Vertrag verstanden wurde. Die Kirchenrechtsneufassung von 1983 füge dem aber - unter dem Eindruck des Zweiten Vatikanischen Konzils - den Liebesbund zwischen den Eheleuten als gleichwertig hinzu.

Die Kirche habe im heute so weiten Feld menschlicher Liebesbeziehungen durchaus Chancen, sich Gehör zu verschaffen, ohne nur als „Ausgrenzerin“ und „Spaßverderber“ zu erscheinen, so Zulehner. Es gelte dafür aufzuzeigen, dass Liebe einen institutionellen Schutzraum braucht - wie jenen symbolischen Baldachin, unter dem Juden ihren Ehebund schließen.

Gerade wenn Kinder im Spiel seien, brauche es diesen Schutzraum von Liebe und Stabilität, der neben den guten Tagen auch die schlechten aushalte. Nicht umsonst sage man in der Umgangssprache über eine geliebte Person, man könne sie „gut leiden“, wies der Theologe hin. Liebe ohne Leid kippe leicht in Narzissmus, „darauf muss die Kirche hinweisen“, ohne nur defensiv ein Ideal für ein kleiner werdendes Gesellschaftssegment hochzuhalten.

„Was ist ein Mann, was eine Frau?“

Bereits in seinem jüngsten Buch „Gleichstellung in der Sackgasse“ hat sich Zulehner mit der auch durch Conchita Wurst aufgeworfene Frage befasst, was ein Mann, was eine Frau denn nun sei. Es gebe berechtigte Kritik an einseitigen Sichtweisen -Geschlecht wäre demnach bloß biologisch determiniert, oder es wäre rein gesellschaftliches Konstrukt. De facto sei es eine Mischung von beidem, von Ererbtem und „Erfundenem“, und „auch Gene lernen“, bezog sich Zulehner auf jüngste naturwissenschaftliche Forschungen.

Freilich sei für praktisch alle Menschen auch ohne wissenschaftliches Vorwissen leicht beantwortbar, ob sie eine Frau oder ein Mann sind. Und abseits von Geschlechterrollenklischees wie „Männer denken, Frauen fühlen“ gibt es nach Überzeugung Zulehners nicht nur biologische, sondern auch psychologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Er habe den Eindruck, diese Unterschiede würden deshalb negiert, um damit verbundenen Diskriminierungen zu entgehen.

Zulehner wies auf den ihn überzeugenden Ansatz der feministischen Philosophin Herta Nagl-Docekal hin, die meinte, biologistische und auch religiöse Legitimationen für Geschlechterunterschiede müssten bekämpft und überwunden werden, damit jenseits daraus abgeleiteter Ungerechtigkeiten Gleichheit ohne Hindernisse eingefordert und eingelöst werden kann.

religion.ORF.at/KAP

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