Kirchen zogen 1914 mit in den „gerechten Krieg“

„Die Kirchen in Österreich und Deutschland haben im Ersten Weltkrieg mitgespielt, auch wenn sie nicht deren Antreiber waren“, sagt Martin Lätzel, ein katholischer Theologe.

Martin Lätzel ist Autor des Buches „Die Katholische Kirche im Ersten Weltkrieg - zwischen Nationalismus und Friedenswillen“. Im Interview mit der Zeitschrift „Denken und Glauben“ der Katholischen Hochschulgemeinde Graz berichtet der Autor über sein Buch.

Theologen hätten damals durch das Reden von einem „gerechten Krieg“ Grundlagen für die Aggressionen beider Länder geschaffen, die sich im Recht - in der „Mission“ - der Selbstverteidigung gegen eine Übermacht wähnten.

Die Kirche hatte unterschiedliche Motive

Die kirchlichen Motive, um den Krieg als „gerechte Sache“ zu sehen und mit in den Kampf zu gehen, seien laut Lätzel sehr unterschiedlich gewesen: „Teilweise wollte man den Laizismus in Frankreich bekämpfen, den Merkantilismus in England, das Freimaurertum in den USA und die orthodoxen Schismatiker in Russland“, so der Theologe, der im Ministerium für Justiz, Kultur und Europa von Schleswig-Holstein u.a. für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig ist.

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Das ORF-Religionsmagazin „Orientierung“ berichtete am 22. Juni 2014 über die Rolle der katholischen Kirche im Vorfeld des Ersten Weltkriegs.

Mehr dazu in 1914: „Krieg als Erlösung?“

Jedoch auch in Frankreich hätten rund um 1914 einige Theologen gegen Deutschland - dem „Hort des Protestantismus“ - geschrieben. Feldgeistliche als „Kinder ihrer Zeit“ hätten den Krieg ebenso als gerechtfertigt gesehen wie die ihnen vorgesetzten „Feldpröpste“, die sich eindeutig auf die Seite des Staates stellten. „Der Feldpropst der bayerischen Armee, Kardinal von Faulhaber, erwog sogar, selber in den Kampf zu ziehen“, verdeutlichte Lätzel. Hingegen hätten jedoch etliche Male auch verfeindete Soldaten gemeinsam ihren Glauben praktiziert, wie dies etwa in den Weihnachtsfeiern an der deutsch-französischen Front der Fall war.

Benedikt XV. ist gescheitert

Die wenigen kirchlichen Stimmen für den Frieden seien im Ersten Weltkrieg kaum wahrgenommen und auch danach kaum gewürdigt worden, so der Buchautor mit Verweis auf die Friedensbemühungen von Benedikt XV. Der konsequent pazifistische Papst habe „mit enormer humanistischer Leistung“ den Krieg beenden wollen, wofür ihm auch in Istanbul ein Denkmal errichtet worden sei.

Das Vorhaben gelang ihm nicht - „reell genommen, ist Benedikt XV. gescheitert“, so Lätzel. Erst nach dem Ersten Weltkrieg begann der Aufbau einer christlichen Friedensbewegung.

Die Lehren aus dem 1. Weltkrieg

Sowohl die katholische als auch die protestantische Kirche hätten laut Lätzel aus den Geschehnissen zwischen 1914 und 1918 gelernt - was sich zumindest in einer vorsichtigeren, inhomogenen Position gegenüber dem späteren NS-Regime und einem teilweisen Heraushalten aus dem Zweiten Weltkrieg gezeigt habe.

Eine spezielle Lehre müssten die Kirchen hingegen noch ziehen, indem sie sich mehr um kritische Distanz zum Staat bemühten. „Das sei besonders den Kirchen in Deutschland und Österreich, gerade auch im Hinblick ihrer finanziellen Verflechtungen mit dem Staat, ins Stammbuch geschrieben“, so der Theologe.

Zusammenbruch des aristokratischen Gefüges

Doch auch innerkirchlich habe der Erste Weltkrieg in Österreich und Deutschland einiges umgewälzt: Mit dem Ende der Monarchien in Österreich und Deutschland sei in den Kirchen ebenso ein aristokratisches Gefüge zusammengebrochen und ein Umschwung im Denken habe stattgefunden, „hin zum Volk Gottes und zur höheren Verantwortung der Laien“.

Lätzel: „Ich glaube, dass deswegen nicht zufällig einige bedeutende Anstöße zur Theologie des Zweiten Vaticanums von deutschen und österreichischen Theologen wie Karl Rahner und Kardinal König gekommen sind.“

religion.ORF.at/KAP

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