„Im Judentum geht es darum, ein Mensch zu sein“

Der israelische Regisseur Eytan Fox spricht im Interview mit religion.ORF.at über seinen Film „Cupcakes“, über die depressive Stimmung in Israel, über Homosexualität in Israel und über die Frage, was ein jüdischer Film ist.

religion.ORF.at: Billy Wilder hat die Komödie als besonders schwierige Kunstform bezeichnet, denn man könne sich nicht erlauben, länger als eine Minute ohne Pointe verstreichen zu lassen. Wie ging es Ihnen mit „Cupcakes“?

Ich finde es eigenartig, dass ich jetzt eine Autorität in Sachen Komödie sein soll. Ich bin normaler Weise nicht der lustigste Mensch. Mein Partner, mit dem ich Filme gemeinsam gemacht habe, schrieb immer ins Drehbuch „Witz“, mit Rufzeichen, damit ich verstehe, wo gelacht werden soll.

Eytan Fox: Wenn ich über Komödien reden soll, fühle ich mich gedrängt zu sagen: Nein, ich bin kein Komödien-Regisseur, ich mache ernsthafte Filme. Andererseits: Ich kenne und liebe Billy Wilders Filme. Vielleicht habe ich unbewusst einige seiner Ideen übernommen. Alle meine Filme haben etwas wie halben, sehr unterschwelligen Humor.

Filmplakat "cupcakes"

Jüdisches Filmfestival Wien

Filmplakat „cupcakes“

„Cupcakes“ erzählt von einer Gruppe von Freundinnen und Freunden, die spontan ein tröstliches Lied schreiben. Völlig überraschend wird es dann der israelische Beitrag zum Song-Contest. Das klingt lustig, aber harmlos. Aber Ihre Filme haben immer auch eine politische Aussage.

Das Israel der Siebzigerjahre, das ich in diesem Film beschreibe, ist ein anderes als heute. Das Zusammengehörigkeitsgefühl war damals stark. Die Leute sagten: „Wenn in Amerika jemand auf der Straße zusammenbricht, gehen alle an ihm vorbei. Bei uns ist das anders. Wir helfen einander.“ Mittlerweile ist es bei uns genauso schlimm wie anderswo auch. Wir waren ein viel idealistischeres Land, nicht so geldorientiert und hartherzig gegenüber anderen. Die Nachbarn kannten einander. Es gibt also eine Nostalgie in dem Film, eine Sehnsucht nach dem, was damals war. Um das zum Ausdruck zu bringen, verwende ich den Eurovisions-Songcontest mit Liedern aus den Siebzigerjahren.

Israel ist ein in sich sehr vielfältiges Land. Was eint die Israelis?

Wir haben nichts Gemeinsames mehr, das ist die Antwort. Ich weiß nicht, ob ich das öffentlich sagen sollte, aber so ist es. Während der letzten Militäraktion gegen Gaza ging ich zu einer Anti-Kriegs-Demonstration. Aber die war winzig, wir waren eine kleine Randgruppe. Wir leben jetzt in einem Zustand der völligen Verleugnung von allem, was passiert, es ist der Zustand einer tiefen Depression. Es war für mich erschreckend zu erkennen, wie viel Uneinigkeit und Hass in uns steckt.

Es ist doch nachvollziehbar, dass sich Israel nach der Erfahrung des Holocaust und des weltweiten Antisemitismus bezüglich seiner Sicherheit auf keine Kompromisse einlässt.

Ja natürlich, wir tragen dieses Trauma in uns. Die Angst ist in unserer kollektiven Seele tief verwurzelt. Ich weiß um diese Angst und verstehe sie. Ich bin ja mit ihr aufgewachsen. Aber die Welt hat sich verändert, auch die Nachbarländer sind anders geworden. Wann immer es ein politisches oder ökonomisches Problem im Land gibt, spricht unser Premierminister sofort vom Holocaust. Man kann diese Angst also auch für die Politik verwenden. So verständlich sie ist: Sie hat uns zu sehr in der Hand und macht uns blind für das, was mit uns und unseren Nachbarn geschieht.

Eytan Fox

Eytan Fox, 1964 in New York geboren, wuchs in Israel auf. Er studierte in Tel Aviv Film- und Fernsehwissenschaften und hat sich in Israel und den USA als Film- und Fernsehregisseur einen Namen gemacht.

Zu seinen bekanntesten Filmen – neben der zuletzt entstandenen Komödie „Cupcakes“ (2013) - zählen „Yossi & Jagger“ (2002), „Walk on the Water“ (2006), „The Bubble – Eine Liebe in Tel Aviv“ (2006) und „Yossi“ (2012).

Was hat sich nach dem neuerlichen Krieg gegen Gaza verändert?

Das alte Trauma ist noch sehr wirksam in uns. Wir brauchen einen Prozess der Heilung, auch was diesen letzten Krieg betrifft. Denn durch diesen Krieg sind viele neue Traumata entstanden: In Gaza sahen Eltern ihre Kinder sterben und Kinder ihre Eltern. Es wird hundert Jahre dauern, bis wir diese Erfahrungen in der Psyche überwunden haben. Diese Kinder und Jugendlichen werden für ihr Land kämpfen, sie werden ihre Eltern und Geschwister rächen wollen. Es wird nicht aufhören. Dieses Töten wird kein Ende haben. Und es wird überhaupt nichts lösen. Das ist sehr bedrückend.

Was Israel betrifft, war ich noch nie so deprimiert wie heute. Neulich war ich mit Freunden in Tel Aviv unterwegs und dachte: Wie lange ist der Krieg her? Und schon sitzen wir wieder in den Kaffeehäusern und genießen das Leben. Ich bin dabei, einen Film vorzubereiten, der sich sehr konfrontativ mit diesem Thema auseinandersetzen soll.

Im Krieg, heißt es, stirbt die Wahrheit zuerst. Aber obwohl Israel keinen Frieden mit den Palästinensern findet, entstehen doch immer wieder sehr kritische israelische Filme, die sich intensiv mit den Palästinensern beschäftigen und für eine Friedenslösung werben.

Israel ist ein Land von Widersprüchen. Ich mag „Cupcakes“ sehr, aber der Film unterscheidet sich sehr von den anderen, die ich gemacht habe. Die sind sehr politisch, sehr links. Manche sagen, sie seien anti-israelisch, aber die meisten verstehen doch, dass sie aus einer tiefen Liebe zu Israel kommen. Im Ausland werde ich oft gefragt: Hast du für diesen Film tatsächlich israelisches Geld bekommen? Dann antworte ich: Ja, das ist etwas von dem, was in Israel so wunderbar ist.

In Ihren Filmen ist Homosexualität ein zentrales Thema. Wie lebt man in Israel, wenn man der „gay community“ angehört?

Ich habe mich in meinen Filmen sehr für einen Wandel in der israelischen Gesellschaft eingesetzt. Und ich kann stolz sagen, dass ich einiges bewirkt habe. Ich kann mich noch erinnern, als ich im Fernsehen zum ersten Mal eine homosexuelle Figur auftreten ließ und die erste schwule Liebesszene zeigte. Damals war das schockierend. Heute kommt in jedem amerikanischen oder israelischen Film eine homosexuelle Figur vor oder es gibt eine homosexuelle Nebenhandlung. Der heilige Schrein israelischer Maskulinität ist nicht mehr was er früher war, sogar bei der Armee. Da ist wirklich sehr viel anders geworden. Natürlich gibt es weiterhin offene Punkte, aber im Grunde kann sich die „gay community“ in Israel nicht beschweren.

In „Cupcakes“ tritt ein junger homosexueller Bursch in Anzugjacke und Tänzerinnen-Röckchen auf. Haben Sie mit ihren Freunden den Sieg von Conchita Wurst mitverfolgt?

Natürlich. Wir haben den Bewerb gesehen, und dass ihn Conchita gewonnen hat, freut mich sehr. Ich bin jemand, der sehr an die Popkultur glaubt, man kann viel von ihr lernen. Manchmal lernt man von einem Songcontest mehr als von höheren Formen der Kunst. Die Kunst verändert die Kultur, die Kultur verändert die Kunst. Dass Conchita gewonnen hat und von so vielen Menschen geliebt wird, ist eine große Sache. Vor einigen Jahren hat Dana International aus Israel gewonnen, eine schöne homosexuelle Frau. Diesmal war es eine schöne Frau mit Bart. Alle paar Jahre machen wir ein paar Schritte weiter. Das finde ich gut.

Wie sind Sie eigentlich auf den Plot von „Cupcakes“ gestoßen?

Einige meiner Freunde, zwei Männer und zwei Frauen, waren zusammen in Tel Aviv hatten eines Abends ziemlich viel getrunken. In diesem Zustand beschlossen sie, ein Lied zu schreiben. Sie haben dann tatsächlich Israel bei einem Songcontest in Schweden vertreten. Es war ein lustiger, ziemlich dummer Song, der allerdings auch eine politische Tangente hatte. Ein Mädchen sang: Ich habe jetzt einen Liebhaber aus Damaskus, der bringt mir Blumen. Leider hatten alle sie keine Ahnung vom Singen, nie zuvor waren sie vor Publikum aufgetreten. Ich wurde damals eingeladen, sie zu begleiten und zu unterstützen. Als ihnen klar wurde, dass sie keine Chance hatten, begannen sie politische Interviews zu geben und über Politik und Frieden zu sprechen. Sie wurden beinahe gefeuert. Es erschienen an die hundert Artikel in verschiedenen Zeitungen über sie. Alle waren ihnen böse, als sie wieder nach Hause kamen. Diese schlimme Erfahrung wollte ich in meinem Film ausmerzen. Da erreicht die Gruppe den zweiten Platz, und als sie nach Hause kommen, werden sie gefeiert.

Ist „Cupcakes“ ein jüdischer Film?

Das ist eine gute Frage. Was ist ein jüdischer Film? Mein Vater war Rabbi. Er hat uns Kindern den Gedanken eingepflanzt, dass es im Judentum darauf ankommt, ein „Mentsh“ zu sein. Das ist ein jiddisches Wort und heißt natürlich Mensch, aber in einem sehr positiven Sinn: ein aufrechter, ehrenhafter Mensch. Darum geht es aus meiner Sicht im Judentum: den Anderen zu lieben wie sich selbst. Das war das Prinzip meiner Eltern.

Mein Vater sagte manchmal: „Das ist sehr jüdisch“ – auch wenn etwas gar nicht jüdisch war. Es hat gedauert, bis ich verstanden hatte, was er meinte. Wenn sich Menschen in der Gemeinschaft wie „Menschen“ verhielten, wenn sie miteinander anständig umgingen, warmherzig waren, sagte er: Das ist jüdisch. Da gäbe es natürlich einiges zu diskutieren, aber so hat er es gesehen. Aus dieser Perspektive muss man sagen: „Cupcakes“ handelt von Gemeinschaft und vom Füreinander-Einstehen. Er erzählt von Freunden, die gut miteinander umgehen und einander unterstützen. Und darum: Ja, „Cupcakes“ ist ein jüdischer Film.

Christian Rathner, religion.ORF.at