Benedikt XVI. überrascht mit Aufsatz zu Eheverständnis

Eigentlich wollte sich der emeritierte Papst Benedikt XVI. nicht mehr zu kirchenpolitischen Themen äußeren. Jetzt hat er sich zum brisanten Thema der wiederverheirateten Geschiedenen deutlich positioniert.

Schon vor seinem Rücktritt hatte Benedikt XVI. angekündigt, dass er sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen und zu kirchenpolitischen Themen schweigen werde. Nun ist es doch anders gekommen, wenn auch auf indirektem Weg: Der emeritierte Papst hat seinen Aufsatz „Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe“ aus den 70er Jahren überarbeitet und bringt damit eine gewichtige Stimme in die derzeit intensiv geführte Debatte um den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der katholischen Kirche ein.

Papst Benedikt XVI. vor einer roten Wand

Reuters/Max Rossi

Der emeritierte Papst Benedikt XVI.

Sakramente auch für Geschiedene

In der ursprünglichen Version des Textes argumentierte der damalige Regensburger Theologieprofessor Joseph Ratzinger, dass in bestimmten Fällen die Zulassung zur Kommunion von in zweiter Ehe lebenden Katholiken „von der Tradition“ gedeckt sei. Wiederverheiratete könnten „vom jeweiligen Ortspfarrer wieder zu den Sakramenten zugelassen werden“. Der spätere Papst Benedikt XVI. hielt hier individuelle Lösungen für möglich.

In der überarbeiteten Version, die demnächst im vierten Band der „Gesammelten Schriften“ Joseph Ratzingers im Freiburger Herder-Verlag erscheinen wird, hat der emeritierte Papst seine Position nun deutlich geändert. Anders als noch vor 40 Jahren verweist Benedikt XVI. jetzt auf die „Unmöglichkeit“ für wiederverheiratete Geschiedene, die Kommunion zu empfangen. Er empfiehlt stattdessen, Ehenichtigkeitsverfahren zu erleichtern, um Katholiken auf diesem Wege eine zweite Ehe und den Zugang zu den Sakramenten zu ermöglichen.

Diese Positionen hatte Ratzinger bereits in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation und in seinem Pontifikat vertreten. Dennoch kommt die Adaptierung des alten Aufsatzes, der in der einschlägigen Diskussion sehr häufig von verschiedensten Seiten zitiert wurde, überraschend.

Entdramatisierung der Debatte

Die deutsche theologische Fachzeitschrift „Herder Korrespondenz“ wird in der kommenden Dezember-Ausgabe die alte und die neue Fassung gegenüberstellen. Der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, der die beiden Fassungen in der Zeitschrift kommentiert, stellt fest, dass der emeritierte Papst seine Schlussfolgerungen „diametral“ verändert hat. Dennoch sieht er in der „Klarstellung“ von Benedikt XVI. einen möglichen Beitrag zur „Entdramatisierung“ der theologischen Debatte um Wiederverheiratete.

Obwohl sich der emeritierte Papst in der neuen Version nicht mehr für die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten ausspreche, widerlege der Papstaufsatz dennoch den oft vorgebrachten Einwand, dass eine individuelle Zulassung zum Kommunionempfang unvereinbar mit der Glaubensüberzeugung von der Unauflöslichkeit der Ehe sei, schreibt Schockenhoff.

Kritik an redaktioneller Bearbeitung

Es sei allerdings „bedauerlich“, dass Benedikt XVI. die Leser über die Ursache seines Meinungswandels im Dunkeln lässt. „Im Kontext der Erörterung wissenschaftlicher Aspekte dieser Fragen wäre es aber aufschlussreich gewesen zu erfahren, warum der emeritierte Papst die gleichen Texte heute mit anderen Augen als damals lesen möchte“, schreibt Schockenhoff. Gegenüber der Website „katholisch.de“ merkte er an, dass dieses Vorgehen für einen Theologen erstaunlich sei.

Vor dem Hintergrund der außerordentlichen Bischofssynode zu Familie und Ehe, die im Oktober im Vatikan stattfand und bei der der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Kirche ein zentrales und viel diskutiertes Thema war, erhält die Neufassung des Ratzinger-Artikels besondere Aktualität.

religion.ORF.at/KAP

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