Türkei: Religiöse Minderheiten im Nachteil

Die Türkei ist laut offiziellen Statistiken ein zu fast 99 Prozent muslimisches Land mit nur drei anerkannten, nicht islamischen Religionsgemeinschaften. Verfassungsmäßig ist Religionsfreiheit garantiert, sunnitischer Religionsunterricht ist aber Pflicht.

70 Prozent der rund 74 Millionen Einwohner der Türkei werden zum sunnitischen Islam gezählt, bis zu 25 Prozent sind schiitische Aleviten. Maximal ein Prozent der Türken sind Christen, manche Quellen sprechen von 0,2 Prozent. Zu den Minderheiten zählen Schiiten, Christen verschiedener Konfessionen, Juden, Bahai und Jesiden. Einzig die griechisch-orthodoxe, die armenisch-apostolische Kirche und das Judentum sind offiziell anerkannte, nicht islamische Religionsgemeinschaften.

Obwohl die Türkei ein säkularer Staat ist, in dem es keine Staatsreligion gibt und Religionsfreiheit garantiert, wird doch die Mehrheitsreligion - der sunnitische Islam - gefördert. So wird beispielsweise an allen Schulen sunnitischer Religionsunterricht für alle Schüler abgehalten - mehr dazu in Türkei: Erdogan für Pflichtfach „Sunnitische Religion“. Darüber hinaus existiert das direkt dem Ministerpräsidenten unterstellte Religionsamt, das die 80.000 Moscheen in der Türkei verwaltet und für eine staatstreue Auslegung des Islam zuständig ist.

In einer Studie der türkischen Sabanci Universität gaben kürzlich 98,3 Prozent der Türken an, Muslime zu sein. Davon erklärten 16 Prozent, sie seien „sehr religiös“, 39 Prozent, sie seien „ziemlich religiös“, 32 Prozent bezeichneten sich als „nicht religiös“. Drei Prozent der türkischen Bevölkerung bekennen sich demnach zu keinem religiösen Glauben.

Minderheiten rechtlich benachteiligt

Bis zum Ende des Osmanischen Reiches am Beginn des 20. Jahrhunderts stellten die Christen im türkischen Kernland noch rund 30 Prozent der Bevölkerung. Die Ursachen für den drastischen Rückgang des Christentums sind vielfältig. Dem Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg fielen nach armenischen Angaben mehr als eine Million Menschen zum Opfer. Die türkische Geschichtsschreibung bestreitet bis heute einen Völkermord.

Diözesen des lateinischen, armenischen, chaldäischen und syrischen Ritus in Ostanatolien wurden durch eine vom staatlichen „Komitee für Einheit und Fortschritt“ inszenierte Kampagne zerstört. Der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch im Zuge des Vertrags von Lausanne 1923 bewog viele griechisch-orthodoxe Gläubige zur Auswanderung. Schließlich betrieb die Türkei über Jahrzehnte eine Religionspolitik, die die Minderheiten rechtlich benachteiligte. Die türkische Minderheitenpolitik ist besonders seit den EU-Beitrittsverhandlungen im Visier westlicher Demokratien.

Hagia Sophia

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Die Hagia Sophia in Istanbul: Von Kirche über Moschee zu Museum. Konservative Kräfte fordern die erneute Nutzung als Moschee

Armenier stärkste christliche Konfession

Die griechisch-orthodoxe Kirche schrumpfte seit 40 Jahren allein in Istanbul von 85.000 auf etwa 2.000 Gläubige. Doch Istanbul ist über die Herrschaft der Osmanen und die Gründung der Republik 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk hinaus der Sitz des Erzbischofs von Konstantinopel und Ehrenoberhauptes der Weltorthodoxie geblieben.

Die stärkste christliche Gruppe stellen nach wie vor die Armenier mit bis zu 70.000 Gläubigen. Manche Kirchenvertreter gehen auch von zusätzlich Zehntausenden „Krypto-Armeniern“ aus, die ihr Christentum nicht öffentlich leben. Zahlreiche Armenier, Arbeitsimmigranten aus der Republik Armenien sowie Nahost-Flüchtlinge leben vor allem in Istanbul, wo sie nicht offiziell registriert sind.

Viele ohne öffentliches Bekenntnis

Die zweitgrößte christliche Konfession ist die syrisch-orthodoxe Kirche mit rund 13.000 Gläubigen. Sie selbst gibt die Zahl mit bis zu 25.000 an. Rund 10.000 davon leben in Istanbul, der Rest im angestammten Gebiet des Tur Abdin im Südosten der Türkei. Dort lebten früher rund 200.000 Syrisch-Orthodoxe. Die meisten sind nach Westeuropa emigriert, vor allem nach Deutschland und Schweden. Nur rund 60 Familien sind in den Tur Abdin zurückgekehrt. Auch die Zahl der syrischen Christen dürfte aber höher liegen, da viele sich nicht öffentlich zum Christentum bekennen.

Die Zahl der Katholiken wird mit etwa 53.000 beziffert, die der Reformierten mit 18.000. Nach Daten des Vatikan-Statistikbüros lebt fast die Hälfte der Katholiken der Türkei in Istanbul, das sind rund 20.000. Nicht mitgezählt sind hierbei mit Rom unierte syrische, armenische und chaldäische Christen. Auch Immigranten aus Nachbarstaaten wie Georgien sind nicht statistisch erfasst. Ebenso wenig gibt es verlässliche Daten über die wachsende Zahl christlicher Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, die teils von Pfarren und christlichen Gemeinden in der Türkei betreut werden.

Verschlechterungen für christliche Einrichtungen

Laut Vatikan-Statistikbüro gibt es in der Türkei sieben katholische Verwaltungseinheiten (Diözesen, Apostolische Vikariate), 54 Pfarrgemeinden und 13 Seelsorgezentren. Es existieren 29 katholische Bildungseinrichtungen (Kindergärten, Volksschulen, Gymnasien, Spezialschulen). Dazu gehört auch das von österreichischen Lazaristen betriebene St.-Georg-Kolleg in Istanbul. Drei katholische Krankenhäuser (wie das von österreichischen Barmherzigen Schwestern getragene St.-Georg-Krankenhaus in Istanbul), zwei Kliniken und fünf Senioren- bzw. Behindertenheime sind im Gesundheits- und Sozialbereich aktiv.

Ein großes Problem für das Wirken der christlichen Konfessionen in der Türkei stellt das Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Struktur der Glaubensgemeinschaften für das ganze Land dar. Die christlichen Gotteshäuser, Schulen, Spitäler usw. werden nach islamischem Vorbild von einzelnen „frommen Stiftungen“ (vakiflar) getragen. Die meisten Priester in Istanbul sind Ordensleute aus Europa, Lateinamerika und Afrika. Deren Status hat sich zuletzt verschlechtert, wie einige erzählen. Es werden nur mehr einjährige Aufenthaltsgenehmigungen ausgestellt, auch für Priester, die bereits seit mehr als zehn Jahren in der Türkei leben und seelsorglich tätig sind.

religion.ORF.at/APA

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