40 Jahre Neokatechumenat: Glaube, der polarisiert

Mit einem Dankgottesdienst im Wiener Stephansdom am Freitagabend feiern die Mitglieder das 40-jährige Bestehen der durchaus umstrittenen katholischen Gemeinschaft in Österreich.

In Österreich entstand die erste Gemeinschaft des Neokatechumenats 1974 in der Wiener Pfarre Döbling-St. Paul. Heute gibt es Gemeinschaften und Priester aus dem Neokatechumenalen Weg in den Diözesen Wien, Linz, St. Pölten, Graz und Salzburg. Mit dem Missionskolleg Redemptoris Mater befindet sich am Wiener Wolfrathplatz (13. Bezirk) auch eines der weltweit mehr als 100 vom Neokatechumenalen Weg getragenen Priesterseminare.

Liturgie hinter verschlossenen Türen

Doch Kritikerstimmen trüben die Freude über das 40-jährige Jubiläum der Bewegung in Österreich. In vielen Pfarren hat das Auftreten der Neokatechumenalen zunächst für Irritation, oft auch für Spaltungen in den Gemeinden gesorgt und viele angestammte Gläubige vertrieben. Die Mitglieder des Neokatechumenalen Wegs werden vielerorts als „polarisierende Sondergruppe am Rande der Kirche“ wahrgenommen.

Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass vieles beim Neokatechumenat hinter verschlossenen Türen passiert. Die lokalen Gemeinschaften sind streng organisiert und treffen sich zu Austausch und gemeinsamen Gottesdienstfeiern in separaten Räumen und nicht in den öffentlichen Pfarrkirchen.

Neokatechumenaler Weg

Die Gemeinschaft des Neokatechumenats entstand 1964 in Madrid aus den geistlichen Unterweisungen des Spaniers Francisco „Kiko“ Arguello unter den Armen von Madrid. Das Neokatechumenat will getaufte Christen langfristig auf ihrem Glaubensweg begleiten und ihr religiöses Leben intensivieren.

Der Name der Gemeinschaft (Camino neocatecumenale), die nach einer fast zwei Jahrzehnte umfassenden Probephase 2008 vom Vatikan endgültig offiziell anerkannt wurde, lehnt sich an die Einführung von Taufbewerbern („Katechumenat“) in den christlichen Glauben an.

Die Gottesdienste folgen einer von Gründer Francisco Arguello speziell entwickelten liturgischen Form. Vieles erinnert dabei stark an jüdische Liturgie. So versammeln sich die Mitglieder des Weges am Samstagabend statt am Sonntag zum Messopfer. Auf dem Altar steht dabei ein jüdischer Chanukka-Leuchter anstelle eines Kreuzes. In den katholischen Pfarrgemeinden führten diese und andere Sonderformen immer wieder zu Konflikten. Dort, wo das Neokatechumenat neu Fuß fasste, wurde oft die alteingesessene Gemeinde vor den Kopf gestoßen. Ein Vorgang, der sich in vielen Pfarren wiederholte, und auch den österreichischen Bischöfen nicht verborgen blieb.

Österreichs Bischöfe untätig

Das Neokatechumenat hätte „eine Seelsorge des Verärgerns, Vertreibens und Verletzens“ praktiziert. „Erwachsene, psychisch gefestigte Personen“ seien „zur Verzweiflung gebracht“ worden, zitiert ein Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ wörtlich aus dem Visitationsbericht 2012 der Linzer Herz-Jesu-Pfarre. Konsequenzen der Kirchenleitung für das Neokatechumenat blieben aber meist aus.

Zumindest wurden vonseiten der Bischöfe hin und wieder Mahnungen an die Bewegung adressiert. 1996 etwa sprach Kardinal Schönborn von „Schwierigkeiten“ mit dem Neokatechumenat. Ihm sei bewusst, dass er hier gelegentlich korrigierend eingreifen müsse, formulierte der Wiener Erzbischof damals im Interview mit der Katholischen Presseagentur. Es gebe die Gefahr, dass das Neokatechumenat in manchen Pfarren zu einseitig eine Vorrangstellung bekommt.

„In der ersten Aufbruchphase einer Bewegung“ sei leicht „die Tendenz“ vorhanden, zu meinen, man habe sozusagen „die Lösung für die Kirche gefunden“. Wenn die Bewegung durch einzelne ihrer Mitglieder manchmal den Eindruck erwecke, „nur ihr Weg könne für einen Christen zum vollen Christentum führen“, dann sei das sicher eine Übertreibung, so Schönborn.

Neokatechumenat

ORF/Marcus Marschalek

Mitglieder des Neokatechumenats feiern von den Pfarrgemeinden getrennt Gottesdienste, meist in eigenen Räumlichkeiten. Ihre Liturgie kennt dabei vom Vatikan tolerierte Sonderformen

Konflikte in Pfarrgemeinden

In vielen anderen Statements äußerte sich Schönborn aber weit weniger kritisch gegenüber dem Neokatechumenat. Im Gegenteil, Schönborn sieht in geistigen Bewegungen, speziell auch im Neokatechumenat, einen wichtigen Beitrag für die Erneuerung der katholischen Kirche.

Nach 40 Jahren gibt es aber viele der von Schönborn aufgezeigten Schwierigkeiten mit dem Neokatechumenat nach wie vor, wie man aus Pfarren in Wien und Linz hört. Auch international gibt es Bedenken gegenüber der Gemeinschaft. Doch Gegner des Neokatechumenalen „Sonderweges“ hätten vielerorts bereits aufgegeben, erzählen ehemalige Gemeindemitglieder.

Pfarren seien gespalten, Kritiker der Bewegung hätten sich in Nachbarpfarren zurückgezogen. Das sind Schwierigkeiten, die nicht nur aus Österreich berichtet werden. In einigen Diözesen haben Bischöfe neokatechumenale Gemeinschaften daher verboten. In Japan zum Beispiel ist es der Gemeinschaft noch bis 2015 nicht erlaubt, in den katholischen Gemeinden tätig zu werden.

Begegnung mit dem Papst

Im Februar 2014 kam es zur ersten Begegnung von Papst Franziskus mit Tausenden Mitgliedern des Neokatechumenalen Wegs. Zu dem Treffen waren auch viele Anhänger aus Österreich angereist. Der Papst verlangte, keine Konflikte herauszufordern, auch um den Preis, darauf „verzichten zu müssen“, dass die Gemeinschaft ihr Programm „in allen Details leben zu können“.

Er mahnte zu mehr Respekt vor der örtlichen Kultur der Länder, in denen die Gemeinschaft aktiv sei. In Hinblick auf Aussteiger aus der Bewegung forderte Franziskus, dass „die Freiheit jedes Einzelnen keinem Zwang unterworfen sein darf. Man muss auch die eventuelle Entscheidung respektieren, sollte jemand außerhalb des Wegs andere Formen des christlichen Lebens suchen“.

Neokatechumenat

ORF/Marcus Marschalek

Bei Missionsveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen, etwa im Wiener Augarten, wird öffentlich gebetet und gesungen. Mitglieder erzählen aus ihrem Leben

Bei aller Schwierigkeit mit den Sonderformen und Eigenheiten des Neokatechumenalen Wegs scheinen die Mitglieder der Bewegung doch wichtige Helfer für die österreichischen Bischöfe bei Mission und Neuevangelisierung zu sein. Bei Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen wirbt die Gemeinschaft immer wieder für Gott und den Glauben. Als positive Beispiele dienen Mitglieder, die ihre Lebensgeschichten erzählen.

Ohne Gott sei ihr Leben meist hoffnungslos und voller Verzweiflung gewesen, erst mit Gott hätten sie die Fülle und Freude des Lebens kennengelernt, sagen sie. Die öffentlichen Bekenntnisse scheinen zu überzeugen: Die Bewegung ist mittlerweile nach eigenen Angaben in Österreich in vielen gesellschaftlichen Bereichen tätig. Weltweit sei man auf rund 25.000 Gemeinschaften in etwa 1.500 Diözesen angewachsen.

Kinderschar durch Verhütungsverbot

Positiv finden die meisten Bischöfe auch die Bereitschaft der Neokatechumenalen zur Gründung großer Familien. „Ihr seid offen für das Leben“, sagte der Wiener Erzbischof den aus vielen Pfarren Österreichs zum Jubiläum mit rund 300 Kindern angereisten Familien im Wiener Stephansdom. Eine „Offenheit für das Leben“, die vor allem von Gründer Arguello vehement eingefordert wird. In seinen Schriften und in YouTube-Videos gibt er die Anweisung, keine Form von Schwangerschaftsverhütung zu praktizieren. Selbst „Natürliche Familienplanung“ (NFP), in vielen katholischen Familien kirchlich erlaubtes Mittel zur bewussten Entscheidung für Nachwuchs, ist Ehepaaren auf dem Neokatechumenalen Weg nicht erlaubt.

Dementsprechend groß ist die Kinderschar in der Bewegung. Und was einige Bischöfe freut: Viele der Söhne aus den Familien gehen in eines der über 100 Priesterseminare des Neokatechumenats. Vermutlich ist das auch der Grund, warum Österreichs Bischöfe den Abgang von ein paar Tausend alteingesessenen Gläubigen in vom Neokatechumenat übernommenen Pfarren meist tatenlos zusehen, vermutet mittlerweile ein leicht verbitterter und anonym bleiben wollender Kritiker aus der Linzer Herz-Jesu-Pfarre. Die Jubiläumsfreude über 40 Jahre Neokatechumenat in Österreich scheint getrübt.

Marcus Marschalek, religion.ORF.at

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