„Gottlose Gemeinschaft“ mit kirchlichen Riten

Zwei Atheisten haben vor zwei Jahren in London die Sunday Assembly - eine „gottlose Gemeinschaft“, deren Versammlungen stark an kirchliche Riten erinnern, gegründet. Das Konzept ging auf, die Anhängerschaft wächst.

„Wenn ich in meinen Schuhen einen Stein finde, schmeiß ich nicht die Schuhe weg, sondern den Stein“, sagte der Komiker Sanderson Jones, der gemeinsam mit seiner Kollegin Pippa Evans die Sunday Assembly gründete, im Oktober 2013 der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“. In dieser Metapher stellt Gott den Stein dar und die Schuhe symbolisieren die Kirche - besser gesagt all das Positive, was Jones aus seiner Sozialisation heraus mit Kirche verbindet: das Singen, die Geschichten und die Gemeinschaft. Die logische Konsequenz für den Atheisten: „Gott flog bei unserer Assembly einfach raus.“

Franchise-Gemeinden

Eine - wie sie sich selbst nennen - „gottlose Gemeinschaft, die das Leben feiert“ war geboren. Ihr Motto: „live better, help often, wonder more“ (zu Deutsch: lebe besser, hilf öfter, staune mehr) prangt jetzt in großen Lettern auf Französisch, Englisch, Ungarisch oder Deutsch auf zahlreichen Ableger-Websites. Das Konzept der Sunday Assembly hat Schule gemacht. Und das war auch Sinn der Sache. Die Sunday Assembly funktioniert fast wie ein Franchise-Unternehmen, sie folgt einem genauen Protokoll. Wer in seinem Ort eine neue Assembly starten möchte, muss den Guideslines, den Werten, der Charta entsprechend handeln - das geht von der Aufmachung der Website bis hin zur der Auflage, dass ein Musiker im Organisationsteam sein muss.

Pop statt Choräle

Es gibt eine Lesung, Musiker treten auf, es wird gemeinsam gesungen - keine Kirchenlieder, dafür Stücke von Soul-, Pop-und Rockgrößen wie Stevie Wonder und Queen. Danach gibt es Speis und Trank - die Menschen sollen sich vernetzen, eine Gemeinde bilden können - So läuft eine typische Sunday Assembly ab. Die Drehbuchautorin Sue Schwerin von Krosigk brachte die atheistische Sonntagsversammlung nach Berlin. Mittlerweile findet sie etwa einmal im Monat statt, mit 100 Besuchern kann gerechnet werden.

Sue Schwerin von Krosigk, Organisatorin der Sunday Assembly Berlin bei einer Sonntagsversammlung

A. Platzek

Sue Schwerin von Krosigk, Organisatorin der Sunday Assembly Berlin bei einer Sonntagsversammlung.

Schwerin hatte über die Medien von der Bewegung in London erfahren und flog mit ihrem Mann zu deren Gründer, sagte sie im Gespräch mit religion.ORF.at. Sie schloss sich über Facebook mit einigen Gleichgesinnten zusammen und organisierte im vergangenen September die erste Versammlung. Das Thema der Lesung: Die Sehnsucht des Menschen nach Unsterblichkeit - aus wissenschaftlicher, philosophischer, nicht theologischer Perspektive.

Atheismus „einfach positiv“

Es sei ein typisches Großstadtphänomen, dass man immer mehr digitale Kontakte habe, so Schwerin. „Wir leben in Zeiten, die extrem individualistisch sind. Das ist ein Grund, warum wir so einen Zulauf haben“, erklärte die Organisatorin das Interesse an der Sunday Assembly. Es ginge nicht bloß darum, sich intellektuell auszutauschen, sondern Gleichgesinnte, eine Gemeinschaft zu finden. Schwerin: „Bisher lag das Selbstverständnis der Atheisten meistens nur in ihrer Abgrenzung von Religion und Glaube. Sunday Assembly schafft den Rahmen, in dem Atheisten auch das Leben ohne Gott und unsere ethischen Werte gemeinsam feiern können.“

Viele der Besucher seien christlich sozialisiert - auch Schwerin selbst. Die Bezüge zu kirchlichen Riten - die Lesung, der Moment der Stille und der Gesang - seien keine Provokation, sondern einer Sehnsucht geschuldet: „Ich vermisse das was ich früher in der Kirche hatte, und viele sind Ritualisten so wie ich“, sagte Schwerin. Nur glaube man nicht oder nicht mehr an Gott, doch „wir sind keine Kirchenkritiker“. Man habe die besten Aspekte von der Kirche übernommen. Die Institution, den Glauben und Gott haben die Organisatoren außen vor gelassen.

Ohne religiösen Anspruch

Das habe Kirchenvertreter keineswegs „so richtig verärgert“, sagte Schwerin, „vielleicht auch, weil wir ein sehr respektvoller Haufen sind. Wir sind keine Hardcore-Atheisten“. Christen würden die atheistische Versammlung „sympathisch“ finden, allerdings mit einer gewissen Skepsis beobachten und auch eine Konkurrenz darin sehen. Rund 60 Prozent der Berliner sind konfessionslos.

Besucher der Sunday Assembly Berlin applaudieren

A. Platzek

Besucher der Sunday Assembly Berlin applaudieren.

Doch die Sunday Assembly ist nicht allen Atheisten ein Ort der Sehnsucht. Etwa für Menschen, die nicht christlich sozialisiert wurden und „deshalb nichts mit uns anfangen“ können, Atheisten, die „das“, einfach nicht brauchen, so Schwerin. Trotz der Anlehnung an den römischen Ritus sieht die Drehbuchautorin nichts Religiöses an der Sunday Assembly - auch wenn manche Menschen wegen der Rituale von religiösem Atheismus sprechen würden.

Österreich: Atheisten skeptisch

Wilfried Apfalter und Alexander Rezner von der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich beobachten die Sunday Assembly mit gemischten Gefühlen. Man sei zwar für Kooperationen offen, aber selbst organisieren wolle man solche Versammlungen nicht, sagten die Präsidiumsmitglieder gegenüber religion.ORF.at. Die Organisatoren stünden unter dem Druck ein Programm, einen Ort, Musiker und das Marketing zu organisieren, vermutet Rezner: „Worin unterscheidet sich das von einem einfachen Veranstalter?“

Das Engagement der Organisationsteams sei in Gefahr, rasch zu „verpuffen“, wenn es zwischen den Versammlungen keine Ansprechpartner bei etwaigen Sorgen gebe, so Rezner. Der Anspruch der Sunday Assembly, den Menschen ein Gemeinschaftsgefühl geben zu wollen, greift auch für Apfalter zu kurz. Die Atheistische Religionsgesellschaft jedenfalls strebt Größeres an: die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft und die rechtliche Gleichstellung.

Streben nach Anerkennung

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, brauchte es dafür doch immerhin eine Angehörigenzahl von 0,2 Prozent der Bevölkerung, also rund 17.000 Menschen. Die erste Etappe wäre eine Anerkennung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft, für die 300 Mitglieder notwendig sind. Seit 2009 können Menschen, die ihren Atheismus als Religion verstehen, den Atheisten kostenlos beitreten. Doch ausreichend viele haben von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht. 66 Mitglieder fehlen noch.

„Es ist nicht leicht, eine Religion zu gründen“, sagte Apfalter. Viele Atheisten würden das Religionsverständnis der Atheistischen Religionsgesellschaft nicht teilen und „wollen sich nicht organisieren“. Teil eines Systems zu werden, das sie kritisieren, nämlich die privilegierte Stellung der Religionsgesellschaften in Österreich, stört die beiden Atheisten nicht. Nur so könnten Atheisten überhaupt zu einem Mehr an Rechten gelangen.

Atheismus als theologisches Modell

Rezner und Apfalter und die mehr als 230 anderen Mitglieder - sie sind Atheisten, die ihre Überzeugungen als theologisches Modell verstanden wissen wollen. Atheismus stehe nicht im Gegensatz zu Religion. Der Glaube, dass Gott von Menschen und nicht der Mensch von Gott geschaffen ist, sei eben ein Glaube. „Wir haben ein theologisches Fundament“, das Aussagen über die Beziehung von Menschen und Gott mache, sagte Apfalter. Der für die Anerkennung als Religion notwendige Transzendenzbezug sei also gegeben. Apfalter: „Wir haben zu einem Bekenntnis gefunden.“ Ob das gleichsam als religiöses Bekenntnis bezeichnet werden kann, wird vielleicht zu gegebener Zeit das Kultusamt beurteilen können.

Über zu wenig Anhänger können sich die Gründer der Sunday Assembly, Sanderson Jones und Pippa Evans, wohl nicht beschweren. In den USA, Europa, Lateinamerika und Afrika entstanden neue Gruppen oder sind gerade dabei, sich zu organisieren. Doch einigen Mitgliedern saß das Korsett der Sunday Assembly zu straff. Kritiker monierten, dass die Sonntags eingesammelten Spenden zum Teil an die Mutterorganisation in London gehen würden - eine unbestätigte Behauptung. In Birmingham und New York spalteten sich jedenfalls Kritiker ab. Sie gründeten eigene Gruppen.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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