Migranten „ungehobener Schatz für Kirche in Österreich“

Als „ungehobenen Schatz für die katholische Kirche von Österreich“ hat die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak die anderssprachigen katholischen Gemeinden bezeichnet.

Bei einem Vortrag anlässlich zum 40-Jahr-Jubiläum der Nationaldirektion der katholischen fremdsprachigen Seelsorge hielt die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak einen Festvortrag im Kardinal-König-Haus.
Sie sei davon überzeugt, „dass im Zusammenleben mit anderssprachigen Gemeinden gelernt werden kann, wie man in Verschiedenheit zusammenlebt,“ so Polak am Mittwochnachmittag.

Regina Polak

ORF/Marcus Marschalek

Pastoraltheologin Regina Polak

Anderssprachige Gemeinden könnten „Geburtshelfer einer Gesellschaft und einer Kirche ohne Menschenhass und Menschenfeindlichkeit“ werden. Freilich bedürfe dieses Potenzial der bewussten Wahrnehmung, selbstkritischen Reflexion und strukturellen Förderung.

„Die ganze Welt mitten in Österreich“

Polak: „Die ganze Welt lässt sich mitten in Österreich finden! Ich muss nicht erst reisen, ich kann hier mit Menschen aus allen Kontinenten ins Gespräch kommen. Ich kann über ferne Länder, deren Geschichte, Kultur, Politik lernen - vor allem über das Alltagsleben in diesen Ländern, die Freuden und Leiden, die Art, wie Menschen in diesen Ländern glauben und Gott erfahren.“

Nur gemeinsam würden die etablierte Mehrheitskirche und anderssprachige Gemeinden die Ortskirche bilden, betonte Polak: „Eine Kirche ohne anderssprachige Gemeinden und ihre Migranten aus anderen Ländern ist gar nicht Kirche. Das Fehlen dieser Gruppe ist ein spirituelles Alarmsignal.“

Lebendige Spiritualität als „Mitbringsel“

Polak ortete vielfältige Potenziale in den fremdsprachigen Gemeinden: Die Gläubigen dieser Gemeinden würden u.a. eine tief verwurzelte, glaubwürdige und vor allem lebendige Spiritualität mitbringen. Diese Frömmigkeit sei auch leibhaftig spürbar: in den Gottesdiensten, in der Art, wie über den Glauben gesprochen werde, und in einer tiefen Solidarität untereinander. Besonders beeindruckend seien zudem die selbstverständliche Alltagsfrömmigkeit und die Vielfalt der Bräuche und Traditionen, „die die Freude am Glauben ebenso ausdrücken wie die Fülle von Gottes Wirklichkeit durchscheinen lassen“.

„Zukunft der Kirche“

Seelsorge für Migranten

  • Für die europäischen Gemeinden gibt es in Österreich die Albanische, Englischsprachige, Französischsprachige, Italienische, Kroatische und Polnische Seelsorge sowie die Roma- und Sinti-Seelsorge und die Slowakische, Slowenische, Spanischsprachige, Tschechische und Ungarische Seelsorge. Weiters existieren die Rumänische Griechisch-Katholische und Ukrainische Griechisch-Katholische Seelsorge.
  • Für die afrikanischen Gemeinden wird Seelsorge in Englisch, Französisch und Swahili angeboten.
  • Die Asiatischen Gemeinden bestehen aus der Chinesischen, Indischen, Indonesischen, Japanischen, Koreanischen, Philippinischen und Vietnamesischen Seelsorge.
  • Für die Lateinamerikanischen Gemeinden gibt es eine portugiesisch- und spanischsprachige Seelsorge.
  • Katholiken aus dem Nahen und Mittleren Osten stehen die Armenisch-katholische Seelsorge, die Chaldäische, Maronitische, Melkitische, Persisch-afghanische Seelsorge sowie die Seelsorge in türkischer und persischer Sprache zur Verfügung.

Anderssprachige Gemeinden seien meist auch sehr jung. Polak: „Wenn ich lese, wie viele Kinder und Jugendliche in diesen Gemeinden leben und glauben, frisst mich der Neid.“ Sie seien nicht nur als „Zukunft der Kirche“ wichtig, „sie sind die Gegenwart der Kirche von Österreich“. Mit ihren kritischen Fragen an die Alt-Gläubigen seien sie Korrektiv und Anstoßgeber zu einem lebendigen Glauben.

Zugleich seien anderssprachige Gemeinden aber weder die besseren Katholiken noch die „Erlöser“ der Mehrheitskirche. Auch sie hätten interne Probleme und könnten von der Mehrheitskirche lernen und sich weiterentwickeln. Gläubige anderssprachiger Gemeinden würden ihre spezifischen religiösen Bräuche und Traditionen oftmals bedroht durch die Mehrheit sehen und schützten sie infolgedessen ängstlich vor Veränderung, bemerkte die Pastoraltheologin kritisch. Vielfach würden Gläubige der anderssprachigen Gemeinden den Gläubigen hierzulande ihre Kritik an Kirche und Bischöfen vorwerfen und sie des Verrates oder Untreue bezichtigen. „Die Frage lautet aber nicht, ob man Autorität kritisieren darf oder nicht - sondern mit welchen Gründen und Argumenten dies geschieht“, zeigte sich Polak überzeugt.

500.000 Katholiken mit Migrationshintergrund

Aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums hat die Nationaldirektion ein Buch herausgegeben, das einen Überblick über die Vielfalt der katholischen Kirche in Österreich bietet und beim Festakt vorgestellt wurde. Rund 500.000 Katholiken mit Migrationshintergrund leben in Österreich. Zehntausende davon sind erst in den vergangenen Jahren zugezogen. Die katholische Kirche bietet diesen Menschen Seelsorge in rund 30 Sprachen an.

Kardinal Christoph Schönborn betont im Vorwort, dass die Immigranten durch den gemeinsamen christlichen Glauben zu Glaubensbrüdern und -schwestern würden, „die unsere Kirche bereichern und längst ein fester Bestandteil in unseren Diözesen sind“. Für sie alle solle die Kirche in Österreich Heimat sein.

Migration als Herausforderung der Gegenwart

Kardinal Antonio Maria Veglio bezeichnet die Migration als eine der ganz großen Herausforderungen der Gegenwart. Es gehe nicht an, dass Migranten als Sündenböcke für andere soziale Probleme herhalten müssten, auch dürfe man sie als Bedrohung für Sicherheit und Stabilität darstellen. Die Kirche trage wesentlich dazu bei, diese Mentalität zu überwinden. Zugleich brauche es mehr internationale Solidarität und eine gerechtere Verteilung der Güter. Der Einsatz müsse in den Herkunftsländern der Migranten beginnen, um jenes Ungleichgewicht zu beseitigen, dass die Menschen dazu bewegt, ihre Heimat zu verlassen, so der Präsident des Päpstlichen Rates der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs.

religion.ORF.at/KAP