Armenische Kirche spricht Völkermordopfer heilig

Die armenisch-apostolische Kirche begeht am 23. April das Gedenken an den Armenier-Genozid vor hundert Jahren im damaligen Osmanischen Reich mit der Massenheiligsprechung der bis zu 1,5 Millionen Opfer.

Die Heiligsprechungszeremonie findet am Donnerstag, hundert Jahre nach Beginn des Massenmords an den Armeniern in der Hauptkathedrale der armenisch-apostolischen Kirche in Etschmiadzin statt. Sie wird vom Oberhaupt der Kirche, Katholikos Karekin II., geleitet. Nahezu alle Bischöfe der armenischen Kirche sowie viele weitere Geistliche und Gläubige aus aller Welt werden zu der Feier erwartet.

Religiöse Dimension des Genozids

Von armenischer Seite wird darauf verwiesen, dass der Genozid auch eine religiöse Dimension hatte. Obwohl die Hauptverantwortlichen - die Führungsriege des im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs regierenden „Komitees für Einheit und Fortschritt“ (Ittihad ve Terakki) - nahezu alle Atheisten oder Agnostiker waren, spielten sie bei der Durchführung der systematisch durchgeplanten Ausrottungskampagne auch die religiöse Karte aus.

Armenier, die sich zum Islam „bekehrten“, blieben weitgehend verschont. Auf diesem Hintergrund würde die Kanonisation der Genozid-Märtyrer auch nach den strengen Regeln für Heiligsprechungen halten, weil die Morde „in odium fidei“ (aus Hass gegen den christlichen Glauben) erfolgten, hieß es.

Katholikos-Patriarch aller Armenier Karekin II.

Reuters/Tony Gentile

Der Katholikos-Patriarch aller Armenier Karekin II.

Sendungshinweis

Religion aktuell, Freitag, 25.4.2015, 18.55. Uhr, Ö1

Wiederaufnahme der Heiligsprechungstradition

Es ist die erste Heiligsprechung in der armenisch-apostolischen Kirche seit dem 18. Jahrhundert. Der 24. April wurde von der armenischen Kirche zum Gedenktag der Märtyrerinnen und Märtyrer bestimmt. Die Heiligsprechungsfeier soll gegen 16.00 Uhr (Ortszeit) beginnen. Sie endet um 19.15 Uhr in Anlehnung an die Jahreszahl 1915. Zu diesem Zeitpunkt werden die Glocken aller armenischen Kirchen weltweit zum Gedenken an die Völkermord-Opfer läuten. Es folgt ein Moment der Stille, bevor das Vaterunser gebetet wird.

Am 24. April 1915 hatten Einheiten der osmanischen Geheimpolizei in Istanbul Hunderte armenische Intellektuelle verhaftet und nach Anatolien deportiert, wo die meisten den Tod fanden. Das war der Startschuss für den Völkermord an den Armeniern und weiteren Christen syrischer Tradition, dem bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Türkei wehrt sich gegen den Begriff „Völkermord“ - es habe im Zuge des ersten Weltkriegs und aufgrund von Hungersnöten viele Opfer gegeben.

Gedenkaufruf des Patriarchen

Zu Jahresbeginn hatte der armenisch-apostolische Katholikos-Patriarch Karekin II. in einer Enzyklika die Armenier in aller Welt dazu aufgerufen, das 100-Jahr-Gedenken im Zeichen des „kraftvollen Rufs nach Wahrheit und Gerechtigkeit“, den man nicht zum Schweigen bringen könne, zu begehen.

Wörtlich schrieb der Katholikos-Patriarch: „Vor hundert Jahren, als die Überbleibsel der ihres Erbes beraubten armenischen Nation in aller Welt verstreut waren und das östliche Armenien einen Überlebenskampf auf Leben und Tod gegen die türkischen Invasoren auszufechten hatte, war es schwierig, an eine Zukunft des armenischen Volkes zu glauben.“ ... „Unsere spirituellen und kulturellen Schätze wurden ausgerottet und vernichtet. Aus dem westlichen Armenien, wo unser Volk seit Jahrtausenden, seit den Zeiten des Noahs, gelebt, seine Geschichte und Kultur aufgebaut hat, wurde die ursprüngliche Bevölkerung gewaltsam vertrieben.“

Die Armenisch-apostolische Kirche

Die armenisch-apostolische Kirche ist eine altorientalische Kirche mit weltweit etwa sieben Millionen Gläubigen. Sie ist eigenständig und führt sich auf die Apostel Thaddäus und Bartholomäus zurück, die das Christentum im ersten Jahrhundert nach Armenien gebracht haben sollen.

Aber wohin auch immer die Armenier vertrieben worden seien, hätten sie Erfolg gehabt, Respekt und Vertrauen erworben und Anerkennung für ihre Beiträge zu Wissenschaft, Kunst und Allgemeinwohl gewonnen. Das sei die Geschichte des armenischen Volkes in den letzten hundert Jahren, so der Katholikos-Patriarch.

Heute stärke die armenische Nation trotz aller Schwierigkeiten ihre unabhängige Staatlichkeit. Sie stärke ihr neues Leben der Freiheit. Und sie schaue hoffnungsvoll in eine von Optimismus und Glauben geprägte Zukunft.

Erste Bischofssynode seit mehr als 350 Jahren

Im September 2013 hatte die Bischofssynode der armenischen Kirche in Etschmiadzin den Grundsatzbeschluss für die Heiligsprechung der rund 1,5 Millionen Opfer gefasst.

Es war die erste armenische Bischofssynode seit dem Jahr 1651; 62 Erzbischöfe und Bischöfe aus aller Welt nahmen unter dem gemeinsamen Vorsitz Karekins II., und des Katholikos von Kilikien, Aram I., an der Synode teil. Die Bischöfe führten eine breite Diskussion über die Wiederaufnahme der in der armenischen Kirche nicht mehr üblichen Tradition der Heiligsprechung.

Ein eigenes Heiligsprechungskomitee wurde beauftragt, Studien über individuelle und kollektive Heiligsprechungen zu vertiefen. Das Komitee sollte auch entsprechende kirchenrechtliche Bestimmungen und einen Ritus der Heiligsprechung ausarbeiten. Der endgültige Beschluss zur Heiligsprechung und die Details der Zeremonie wurden dann bei der folgenden Bischofssynode im November 2014 bestimmt.

religion.ORF.at/KAP

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