Verfolgt im Namen Gottes: Gläubige auf der Flucht

Weltweit werden Menschen aus religiösen Gründen verfolgt. Jesiden im Irak, Muslime in Burma, Christen in Syrien - nur einige Beispiele von vielen. Zahlreiche Menschen fliehen in Nachbarländer oder nach Europa. Auch in Österreich suchen Verfolgte um Asyl an.

Sie kamen in der Nacht. Aus dem Sinjar-Gebiet vertrieben sie kurdische Kämpfer, um danach über die Dörfer herzufallen: Die Verbrechen, die die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ vor fast genau einem Jahr an der religiösen Minderheit der Jesiden beging, bezeichnete die UNO später als Völkermord. Mehr als 7000 Tötungen, Zwangskonversionen, Entführungen, die Zerstörung von jesidischen Heiligtümern und Friedhöfen und rund 400.000 neue Heimatlose auf der Flucht - eine Bilanz des Terrors.

Adnan S. entkam. Er lebt im Erstaufnahmezentrum Ost in Traiskirchen, er erinnert sich an den 3. August 2014: „Es war ein Schock. Sie haben unser Dorf überfallen, die älteren Menschen getötet und die Frauen mitgenommen. Viele wurden entführt, aber manche von uns konnten vorher flüchten.“ Der 37-Jährige Jeside floh mit seiner Frau und seinen vier Kindern - eines davon ist von Geburt an gelähmt. Adnan S. war Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts. Alles mussten sie hinter sich lassen, sagte Adnan im Gespräch mit religion.ORF.at.

Massengräber

Mit dem Auto fuhren sie in den Nordirak, in die autonome Kurdenregion, wo sie ein eigenes Zelt erhielten und versorgt wurden, doch die hygienischen Bedingungen waren schlecht: Es fehlte an Duschen und Toiletten.

Dennoch zeigte sich: Menschen, die es bis hierher schafften, hatten vergleichsweise Glück. Man fand nahe den jesidischen Dörfern später menschliche Überreste - Massengräber von verschleppten Jesiden. Von vielen Mädchen und Frauen fehlt immer noch jede Spur: Es ist kein Geheimnis, dass sie von den Terroristen vergewaltigt, missbraucht und wie Ware als Sklavinnen verkauft werden.

Jesiden aus dem Sinjar-Gebirge in einem Flüchtlingslager im Nordirak

Reuters/Stringer Iraq

Jesidische Flüchtlinge aus der Sinjar-Region in einem Flüchtlingscamp im Nordirak

Schmerzhafte Reise

Adnan hat Schmerzen. Vor einigen Jahren verlor er durch eine Minenexplosion einen Teil seines Beins. Auf dem Weg nach Österreich musste er weite Strecken zu Fuß gehen – manchmal 20 Stunden am Stück. Sein Bein schwoll in der Prothese an, entzündete sich und blutete. Adnan ist seit einem Monat in Traiskirchen, behandelt wurde er noch nicht. Es sei in Traiskirchen auch schwer, sich überhaupt verständlich zu machen.

„Jesiden blicken auf eine jahrhundertelange Geschichte der Verfogung und religiöser Diskriminierung zurück, mitunter auch weil sie Kurden sind“, erklärte Nadine Papai von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gegenüber religion.ORF.at. „Es gab aber auch kurdische Fürsten wie Bedrikhan, die die Jesiden aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit im 19.Jahrhundert verfolgt haben“, so Papai. Die Kämpfe der Araber gegen die Kurden 637, die Mongolenstürme 1246 sowie die Zwangsislamisierung hätten die Zahl der Jesiden dezimiert. Und auch vor IS, waren Jesiden von islamistischer Gewalt bedroht. Am 14. August 2007 starben 336 Jesiden bei einem Anschlag.

Verfolgt als „Teufelsanbeter“

Die Minderheit sieht sich als Angehörige der ältesten Religion der Welt und glaubt an einen Gott. Eine wichtige Rolle spielt der Engel Tausi Melek, der als Pfau symbolisiert wird und den Gott als seinen Vertreter mit der Aufsicht über die Erde beauftragte. Doch immer wieder wurden Jesiden als „Teufelsanbeter“ bezeichnet und als Nicht-Angehörige einer Buchreligion verfolgt, so die Geschäfsführerin der GfbV.

Im Irak und in Syrien gehören Jesiden und Christen im Moment zu den am stärksten von religiöser Verfolgung betroffen Gruppen. Doch töte der IS ebenso „Schiiten und Angehörige schiitischer Glaubensgemeinschaften, wie der Kakai oder der Shabak, - genauso Anhänger des Sufismus“, so Papai. Selbst Sunniten, die sich gegen den IS stellen würden beseitigt.

Rohingya in Burma

Auch wenn das Augenmerk momentan auf den Gräueltaten im Nahen Osten liegt, gibt es auch andernorts Beispiele für religiöse Verfolgung. Rund eine Million Rohingya leiden in Myanmar (Burma) unter Verfolgung und Repression.

Die Muslime werden von der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung „systematisch ausgegrenzt und verfolgt“, sie sind als Staatsbürger nicht anerkannt, müssen oft Zwangsarbeit verrichten, haben keinerlei Bürgerrechte und werden willkürlich festgenommen, gefoltert und vergewaltigt, erklärt Papai. Im Jänner 2014 verübten buddhistische Nationalisten ein Massaker an den Bewohnern des Rohingya-Dorfes Du Chee Yar Tan, bei dem nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 48 Rohingya getötet wurden.

Flucht zu den Nachbarn

Mehr als 65.000 Rohingya sind in die Nachbarländer geflohen und leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in Internierungslagern, „die sie nicht verlassen dürfen“, sagte die Expertin. Oft werden sie von Thailand, Indonesien und Malaysia aber auch wieder zurückgeschickt oder sie fallen nach der gefährlichen Reise übers Meer Menschenhändlern in die Hände, die sie versklaven.

Auch die meisten Jesiden und Christen aus dem Irak und Syrien sind in die Nachbarländer geflüchtet. Viele streben auch jene Länder an, in denen es bereits eine große Gemeinschaft gibt oder in dem Verwandte leben. Für Jesiden ist das Deutschland, für viele irakische Christen sind es die USA, in die bereits vor der amerikanischen Invasion 2003 viele Christen geflohen waren.

Keine Statistik für Österreich

Wieviele Menschen aus Gründen religiöser Verfolgung in Österreich um Asyl ansuchen, darüber gibt es keine Statistik. Fluchtgründe werden nicht statistisch erhoben, hieß es aus dem Innenministerium (BM.I.) gegenüber religion.ORF.at. Im Jahr 2013 kündigte das BM.I. an, im Rahmen eines Neuansiedlungsprogramm mit dem UNHCR, 500 syrische Christen aufzunehmen.

Flüchtlingslager Traiskirchen innen

ORF/Orientierung

In der Erstaufnahmestelle Traiskirchen haben viele Flüchtlinge kein Bett.

Nach heftiger Kritik an diesem Vorschlag, spricht man im Innenministerium nun lediglich von „besonders verletzlichen“ Personen, die man unabhängig von deren Religion aufgenommen habe. Nach diesem Prinzip wählte jedenfalls UNHCR - wie bei der Organisation üblich - 250 Menschen aus. Das BM.I. beauftragte für die Auswahl der restlichen Flüchtlinge die Erzdiözese Wien. Sie wählten - wie angekündigt - 250 Christen.

Verfolgung „nicht definiert“

Religiös Verfolgten steht laut der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 Schutz zu. Was genau unter Verfolgung zu verstehen ist, wurde in der Konvention nicht definiert, sagte Rechtsanwalt und Spezialist für Asylrecht Georg Bürstmayr zu religion.ORF.at.

In der Praxis behelfe man sich mit einer „Hilfsgleichung“. Es würden die Fragen erörtert: „Wird hier in ein Menschenrecht eingegriffen und wenn ja: Wie gewichtig ist dieses Menschenrecht?“, sagte Bürstmayr. Die Gleichung? Gewichtigkeit multipliziert mit der Intensität des Übergriffs. Es werde unterschiedlich bewertet, ob jemand in seiner Heimat wegen seiner Religionsausübung belästigt, verhaftet oder getötet würde.

Angesichts der Geschehnisse im Nahen Osten müssten Jesiden laut Bürstmayr gute Chancen auf Asyl in Österreich haben. Ihre erste Anlaufstelle ist meist die Erstaufnahmestelle Traiskirchen. Adnan S. brauchte 20 Tage aus dem Irak nach Baden. Nun ist er einer der vielen Asylwerber ohne Bett im Flüchtlingslager. Nachts auf dem Rasen könne er nicht schlafen, sagte Adnan. Der Schmerz hält ihn wach.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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