Schwerpunkt Exil beim Jüdischen Filmfestival Wien

Am Mittwoch wird im Wiener Künstlerhauskino das Jüdische Filmfestival 2015 eröffnet. Den Schwerpunkt bildet das Thema Exil, das durch die gegenwärtige Ankunft Tausender Flüchtlinge in Europa von brennender Aktualität ist.

Das Jüdische Filmfestival Wien versucht 2015 eine filmische Auseinandersetzung mit dem Thema Exil. Anknüpfungspunkte sind Menschen, die vor Verfolgung und Krieg Zuflucht in Österreich suchen. Exil ist aber auch ein Begriff, der vor allem dem jüdischen Volk im Laufe seiner Geschichte nur allzu vertraut geworden ist. Auch die Kinogeschichte selbst wurde zu einem erheblichen Teil von jüdischen Migranten und Menschen im Exil geschrieben. Von den sechs großen Studios in Hollywood wurden fünf von Juden gegründet.

Die Eröffnungsrede hält die aus Russland stammende Schriftstellerin Julya Rabinowich. Titel: „Stacheldrahtkleid und Wasserbett. Treibsand“.

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Jüdisches Filmfestival Wien
religion.ORF.at begleitet das Jüdische Filmfestival Wien als Medienpartner und berichtet über ausgewählte Programmpunkte.

Jüdisches Filmfestival Wien 2015

Exil als Thema der Zeitgeschichte

Flucht, Vertreibung und Exil sind nicht nur Herausforderungen der Gegenwart, sondern – wie die Shoah – ständige Aufforderung zum Erinnern. Auf berührende Weise stellt sich dieser Aufgabe die ORF III-Dokumentation „Der Riss der Zeit“ von Helene Maimann, in der Schicksale von Österreicherinnen und Österreichern auf der Flucht vor den Nationalsozialisten und im Exil – darunter vor allem Juden - nachgezeichnet werden (Mittwoch, 14. Oktober).

Der Film schildert zahlreiche Aspekte dessen, was Exil damals bedeutete – und heute immer noch bedeutet: schwierige Entscheidung zur Flucht, Aufbruch ins Ungewisse, Gefahren der Reise, bürokratische Hürden, lange und bange Wartezeiten, Geldmangel, geschlossene Grenzen und versiegelte Züge und die Mühsal, sich in einer anderen Welt zurechtzufinden. „Haben Sie sich eingewöhnt?“, wird Friedrich Torberg über seine Zeit im amerikanischen Exil gefragt. Seine Antwort kommt ohne Zögern: „Ja. Nein.“

Maimanns Film geht auch auf das Verhältnis der Geflüchteten zu ihrer alten Heimat ein. Österreich hat lange nach dem Krieg so gut wie keine Anstalten gemacht, die Vertriebenen zurückzuholen. Wie gewaltig der Verlust an hoch begabten Menschen in den Bereichen Wissenschaft, Musik, Kunst oder Architektur war, macht die Dokumentation eindrucksvoll bewusst. „Der Riss der Zeit“ ist im Zusammenhang einer Programminitiative von ORF III entstanden. Dort wurde eine Anregung der künstlerischen Leiterin des Festivals, Sarah Julia Stross, aufgegriffen und in Kooperation mit dem Festival ein TV-Schwerpunkt zum Thema zusammengestellt: „Flucht und Exil in der NS-Zeit“, 6. – 26. Oktober, ORF III.

Kino und Exil

Das Thema „Exil“ ist im Rahmen eines jüdischen Filmfestivals von besonderer Tragweite. Das Kino ist nicht nur ein Medium, das sehr gut geeignet ist, jüdische und andere Exilgeschichten zu erzählen; die Kinogeschichte selbst wurde zu einem erheblichen Teil von jüdischen Migranten und Menschen im Exil geschrieben. Von den sechs großen Studios in Hollywood wurden fünf von Juden gegründet; Namen wie Billy Wilder oder Fritz Lang stehen für eine große Zahl aus Deutschland und Österreich vertriebener Juden, die mit ihrer Kunst das amerikanische Kino voranbrachten.

Jüdisches Filmfestival WIen 2015 - JFW15 Casablanca

JFW

Casablanca: Hunderte Emigranten versuchen auf meist illegalem Weg, ein Ausreise-Visum zu erstehen. Ein Film von Exilanten über Exilanten.

„Casablanca“ (Montag, 19.10.) mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman gilt als der Exil-Film schlechthin, denn zum einen schildert er das Leben der zum Warten gezwungenen Exilanten in der marokkanischen Stadt, die in Rick’s Cafe verkehren. Zum anderen waren an der Entstehung dieses Filmes besonders viele Migranten beteiligt. Von 20 Rollen waren 16 mit Europäerinnen und Europäern besetzt. Die Filmmusik stammt von dem Österreicher Maximilian Raoul Steiner, der allerdings schon während des Ersten Weltkriegs aus Großbritannien, wo er sich als Komponist niedergelassen hatte, nach New York floh. Aufgrund seiner österreichischen, nicht seiner jüdischen Herkunft war er als Feind betrachtet worden.

Exil und Judentum

Darüberhinaus bringt das Thema Exil Facetten des Judentums selbst zum Vorschein. In einem Film über den in Österreich geborenen und jüngst verstorbenen Schauspieler und Sänger Theodore Bikel („Theodore Bikel – In the Shoes of Scholom Aleichem“, Mittwoch, 14. 10.) kommt ein jüdisch-kanadischer Schriftsteller namens Michael Wex zu Wort. „Seit die Römer den Tempel in Jerusalem zerstörten“, sagt er, „und uns aus unserem Land vertrieben haben, waren wir im Exil – 2000 Jahre lang. Das Judentum, wie wir es sehen, ist geradezu definiert als Exil.“

Auch in den Erzählungen der Bibel sind Flucht und Exil von großer Bedeutung. Der Auszug aus Ägypten wird bis heute als große Befreiungstat Gottes gefeiert. Im babylonischen Exil hingegen kam es zu tiefgreifenden theologischen Reflexionen, zur Sammlung und Neubewertung biblischer Texte – ein entscheidender Prozess in der Geschichte des Judentums.

Jüdisches Filmfestival Wien 2015 -  JFW15 - Theodor Bikel

JFW

Theodore Bikel (1924–2015), der 1938 vor den Nazis aus Wien flüchten musste, rezitiert Aleichems Texte und schildert anschaulich das Leben im Schtetl

Der Weg zur Bühne

Der in Wien geborene Theodore Bikel selbst, der in jungen Jahren mit seiner Familie vor Hitler ins heutige Israel floh, erzählt in dem schon erwähnten Film augenzwinkernd: „Ich war 16 Jahre alt und lebte in einem Kibbuz. Ich hatte absolut kein Talent für die Landwirtschaft. Aber ich entdeckte, dass ich andere Talente hatte: Ich konnte auf einem Misthaufen stehen und schöne hebräische Lieder singen – über die Vornehmheit der Arbeit, die ich nicht anrührte. Wie ich vom Misthaufen auf die Bühne kam, das ist eine lange Geschichte.“ Dieser bildliche Weg vom Misthaufen zur Bühne verweist auf die Tatsache, dass für viele das Exil auch zur Chance wurde. Sie hatten Erfolg, wurden gefeierte Künstler oder Wissenschafter.

Anderen hingegen gelang es kaum, Fuß zu fassen, kamen über Anfänge nicht hinaus, blieben Fremde in der neuen Heimat. „Nur die Starken unter uns konnten in der neuen Erde Wurzeln schlagen“, schreibt der in Wien geborene und seit einigen Jahren wieder hier lebende israelische Journalist Ari Rath im Programmheft des Festivals.

Klassiker und neue Filme

Der Programmschwerpunkt „Exil“ besteht aus 15 Filmen und wurde mit einer Filmwissenschafterin und einem Filmwissenschafter erarbeitet: Karin Moser und Thomas Ballhausen. Er bringt – neben „Casablanca“ Klassiker wie Edmund Gouldings „Menschen im Hotel“ (Donnerstag, 15.10.), Fritz Langs „Das Testament des Dr. Mabuse“ (Sonntag, 11.10.) oder Leopold Lindtbergs „Die letzte Chance“ über die Flucht zweier Kriegsgefangener, dazu Streifen wie „Aimée und Jaguar“ von Max Färberböck (Sonntag, 17.10.), „Nirgendwo in Afrika“ von Caroline Link, nach einer Literarischen Vorlage von Stefan Zweig, oder die Georges-Simenon-Verfilmung „Le Train. Nur ein Hauch von Glück“ unter der Regie von Pierre Granier-Deferre, mit Romy Schneider und Jean-Louis Trintignant.

Jüdisches Filmfestival WIen 2015 - JFW15

JFW

Aimée & Jaguar: Eingebettet in eine in den späten Neunzigern angesiedelten Rahmenhandlung bietet Aimée & Jaguar die retrospektiv erzählte, tragische Liebesgeschichte zwischen Lilly und Felice

Die ORF III-Koproduktion „Der ungehorsame Konsul – Exil in Portugal“ von Uli Jürgens (Montag. 12.10.) beschreibt das mutige Handeln des Diplomaten Aristide de Sousa Mendes, der zehntausenden NS-Flüchtlingen ein portugiesisches Transitvisum ausgestellt und so ihre Flucht nach Übersee ermöglicht hat. „Kisses to the Children“ von Vassilis Loules (15.10.) thematisiert die Deportationen der Juden aus Thessaloniki. Im Dokumentarfilm „Das Phantom der Erinnerung“ (Samstag, 17.10.) beschreibt Friedemann Derschmidt die Suche der Dichterin und Holocaust-Überlebenden Ilana Schmueli nach neuen Wegen des Erinnerns. Kurzporträts von Menschen „Im Exil“ der ORF-Sendereihe „Religionen der Welt“ werden über die zwei Wochen des Jüdischen Filmfestivals im Programm verteilt.

Vertieft wird das Schwerpunktthema in einem wissenschaftlichen Symposium über „Exilforschung heute – Positionen, Fragestellungen, Perspektiven“ (14.-16. Oktober, Votivkino) mit Experten aus Österreich, Deutschland, Frankreich und den USA. Die Veranstaltung ist frei zugänglich.

Christian Rathner; religion.ORF.at

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