Aufdeckerbuch: „Krieg“ im Vatikan

Als die „Geschichte eines Krieges“ moderiert der Journalist, Autor und Aufdecker Gianluigi Nuzzi sein neuestes Buch „Alles muss ans Licht“ ein: ein Krieg, der von Papst Franziskus „in den Hinterzimmern der vatikanischen Paläste geführt wird“.

Das Buch enthält einiges an Zündstoff: Neben Vorwürfen der Korruption und Geldverschwendung kommen auch sexueller Missbrauch und die Ausschweifungen einzelner Geistlicher zur Sprache. Dass Jorge Mario Bergoglio selbst dem Autor zufolge einen leidvollen Kampf gegen unsichtbare Mächte führt, verrät bereits der Untertitel: „Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes“. Die „gigantischen und scheinbar nicht aufzuhaltenden kriminellen Machenschaften“ dieser Mächte in der römischen Kurie aufzudecken, hat sich Nuzzi zur Aufgabe gemacht. Er tut das nach eigenen Angaben mit Hilfe von „noch nie veröffentlichten Dokumenten“.

Bucherscheinung mit Paukenschlag

Diese soll er von dem spanischen Prälaten Lucio Angel Vallejo Balda und der 2013 vom Papst ernannten Vatikan-Beraterin Francesca Chaouqui erhalten haben. Beide wurden verhaftet, weil sie geheime Dokumente an Nuzzi und einen weiteren Investigativjournalisten, Emiliano Fittipaldi, weitergegeben haben sollen - mehr dazu in „Vatileaks 2“: Zwei Festnahmen im Vatikan.

Nuzzi hatte schon mit den Büchern „Vatikan AG“ (2009) und „Seine Heiligkeit“ (2012) für Aufsehen gesorgt. Zweiteres trat die Affäre los, die als „Vatileaks“ bekannt geworden ist. Das neue Buch, das nun nach diesem lauten Paukenschlag erschienen ist, erinnert in der Einleitung an den Kurzzeitpapst Johannes Paul I. (1912-1978), dessen Pontifikat nur 33 Tage währte und um dessen Tod es viele Verschwörungstheorien gibt.

Ministranten mit Weihrauchkesseln in der St.-Petersbasilika

Reuters/Gregorio Borgia/Pool

Laut dem Journalisten Nuzzi herrscht „Krieg“ im Vatikan

Nuzzi skizziert kurz die Reformvorhaben von Johannes Paul I. („Eine wahre Revolution“) sowie dessen mysteriösen Tod - danach fährt er mit den Anfängen von Papst Franziskus fort. So schafft der Autor von Anfang an eine Verbindung zwischen beiden „Reformpäpsten“ und gleichzeitig eine bedrohliche Stimmung. Denn wenn Johannes Paul I. tatsächlich Opfer seiner Reformbemühungen war - was kann dann Franziskus zustoßen?

„Erbitterter Kampf zwischen Gut und Böse“

Im Vatikan gebe es einen „erbitterten Kampf zwischen Gut und Böse“, so Nuzzi. „Auf der einen Seite stehen die Männer des Papstes und auf der anderen seine Feinde, die den Status quo verteidigen und jede Veränderung bekämpfen.“ Seine Absicht sei nicht, der katholischen Kirche zu schaden, versichert der Autor, noch wolle er mit dem Buch eine „Streitschrift für den Papst“ vorlegen; es gehe ihm darum, alle Welt, nicht nur die Katholiken, die Widersprüche dieser Kirche erkennen zu lassen, so Nuzzi.

Sein Zugang zu Dokumenten, Mitschnitten von Sitzungen und Gesprächen erlaubt dem Autor Einblick in Interna des vatikanischen Verwaltungsapparats. Die Rede ist von Misswirtschaft und Günstlingswesen (so sollen, nach den Worten des Papstes, etwa die Personalkosten des Kirchenstaats in fünf Jahren um 30 Prozent gestiegen sein), von schlechten Investitionen und immer wieder von fehlender Transparenz.

„Erbleichende“ Kardinäle und ein „harscher“ Papst

Lebhaft geschildert wird der Auftritt des Papstes vor den wichtigsten Finanzverwaltern der Kirche während einer Sitzung am 3. Juli 2013, von der dem Autor ein Mitschnitt vorliegt: „Und dann ergreift der Heilige Vater das Wort. Ein Akt der Anklage, der sich 16 endlos lange Minuten hinzieht. Noch nie hat ein Papst auf einer Sitzung so harsche Worte geäußert.“ Von „erbleichenden“ Kardinälen ist die Rede und von der Bestürzung, die sich breitmacht, wenn Kurienmitglieder von den Finanzmissständen im Vatikan erfahren, denn, so Nuzzi: „Die beunruhigende wirtschaftliche Gesamtsituation war den Kardinälen im Detail nicht bekannt.“

Buchcover Gianluigi Nuzzi: Alles muss ans Licht

Ecowin Verlag

Buchhinweis

Gianluigi Nuzzi: Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes. Ecowin Verlag, 384 Seiten, 21,95 Euro.

Die Korruptionsfälle, die der Papst in dieser Rede anspricht, betreffen Bau- und Reparaturkosten. So gebe es „bis zur Unglaubwürdigkeit aufgeblasene Rechnungen“ für „Arbeiten, für die es weder Kostenvoranschläge noch die erforderlichen Überprüfungen gab“, heißt es in Nuzzis Buch.

Sorgloser Umgang mit Geld und auch Spenden, Vernachlässigung der Aufsichtspflicht: Das habe der Papst den zuständigen Kardinälen vorgeworfen. Nur wenige Tage nach der dramatischen Sitzung vom 3. Juli gründete Franziskus eine neue Kommission, die die vatikanischen Finanzen untersuchen sollte - die mittlerweile aufgelöste Kommission für die Neustrukturierung der wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten des Vatikans (COSEA).

Fehlende Millionen in der „Heiligenfabrik“

Ein anderer Bereich, in dem Nuzzis Buch zufolge „die Finanzen völlig außer Kontrolle“ geraten sein sollen, ist der heikle Bereich der Selig- und Heiligsprechungen. Hier sollen Rechnungs- und Buchungsbelege über Millionenbeträge unauffindbar sein - durch die „Heiligenfabrik“ (Nuzzi) des Vatikans fließe viel Geld.

Das Kapitel „Die Geheimnisse des Peterspfennigs“ klagt die römische Kurie an, Mittel, die eigentlich für Bedürftige bestimmt waren, für ihre eigenen Ausgaben zweckentfremdet zu haben. Jemand wie Kardinal Tarcisio Bertone, der sich im Herzen Roms eine riesige Luxuswohnung bauen ließ, sei kein Einzelfall, erklärt Nuzzi. Zum einen wohnten hohe Würdenträger oft praktisch umsonst. Außerdem würden große Teile der Spenden, die aus aller Welt an den Vatikan fließen, für Aufwendungen des Vatikans selbst (Renovierungen, laufende Kosten vatikanischer Einrichtungen) verwendet statt für Arme. Andere Gelder landeten in päpstlichen Stiftungen und Fonds.

„Desaströse Finanzlage der Kurie“

„Von jedem Euro, der an den Heiligen Vater geht, fließen also gerade einmal 20 Cent in konkrete Hilfsprojekte für Bedürftige. Grund dafür ist die außer Kontrolle geratene, geradezu desaströse Finanzlage der Kurie“, lautet das vernichtende Urteil des Autors. Das Finanzgebaren des Vatikans beschreibt Nuzzi als „desaströs“. So lagerten hohe Beträge auf den Konten verschiedener Bankinstitute, wo sie aber rätselhafterweise kaum Zinsen abwürfen.

Von Rissen im vatikanischen Sozialversicherungssystem schreibt Nuzzi und von einem „800-Millionen-Loch in der vatikanischen Rentenkasse“. Spannend liest sich auch die Schilderung von Einbrüchen in die Büros der Kommission, die die Finanzmissstände aufdecken sollte, von „Drohgebärden“ und „Störfeuer“ aus der sich bedroht fühlenden Kurie. Sogar Abhörwanzen sollen im Büro des Heiligen Stuhls angebracht worden sein. Der Vatikanbank und dem Vorwurf der Geldwäsche sowie der Affäre Scarano ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

Buchautor Gianluigi Nuzzi bei der Pressekonferenz zur Vorstellung seines Buchs "Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes"

APA/EPA/Giorgio Onorati

Buchautor Gianluigi Nuzzi bei der Pressekonferenz zur Vorstellung seines Buchs

Neben den Finanzen behandelt „Alles muss ans Licht“ auch die Vertuschung von Fällen sexuellen Missbrauchs durch die römisch-katholische Kirche - so seien Priester, die sich an Kindern vergangen haben, lediglich versetzt und auch wieder in der Kinder- und Jugendarbeit eingesetzt worden.

Kardinal als Waffennarr

Doch das Buch erzählt auch skurrile Geschichten wie die eines Waffennarren unter den Purpurträgern: Dieser habe „verschiedene Revolver, eine Magnum Smith & Wesson Kaliber 357, ein Präzisionsgewehr Modell Remington 7400 und eine Pumpgun der Marke Hatsan Modell Escort“ gesammelt, „um nur einige Stücke aus dem reichen Arsenal des Kardinals zu nennen“, so Nuzzi.

Ein Abschnitt über „Sünden und Laster in der Kurie“ beschäftigt sich mit dem verschwenderischen Lebensstil einiger hoher Geistlicher. Die Rede ist unter anderem von einem Bischof, der es liebe, „Cocktailpartys und Abendessen für seine Freunde zu veranstalten“.

Die berüchtigte „Schwulenlobby“

Geradezu absurde Vorgänge, die im Vatikan vorkommen sollen, beschreibt das Buch eher gegen Ende: Pikant die Aufzählung merkwürdiger Spitznamen einzelner Würdenträger: So gebe es eine „Jessica“, eine "beddazza (Sizilianisch für: die Schönheit) mit angeblichen Vorlieben für Champagner und Novizen, eine „Monica Lewinsky“ und andere mehr. „Die vielen Vertreter der sogenannten Schwulenlobby tragen Spitz- und Kosenamen, die auf ihre Herkunft oder ihre sexuellen Vorlieben verweisen“, so Nuzzi.

Papst Franziskus

Reuters/Tony Gentile

Ringen um Reformen: Papst Franziskus

Vorbestrafte Laien würden in römischen Lokalen junge Leute „ködern“, „damit die alten Prälaten ihre Laster befriedigen können. Dafür bekommen sie Protektion, Taschengelder, sichere Jobs in vatikanischen Behörden oder italienischen, staatlichen Unternehmen und höhere Gehälter, als sie ihrer Rolle und ihren Fähigkeiten entsprechen“, behauptet der Autor. Homosexualität werde als „gebrochenes Tabu erlebt, als Geheimnis und als Schwäche, über die nicht gesprochen werden darf. Damit wird sie zu einem formidablen Ansatzpunkt für Erpressungen“, so der Journalist.

Der Papst selbst ist, wenn man „Alles muss ans Licht“ Glauben schenken darf, im Vatikan in einer recht schwierigen Position. Dass Franziskus alles tut, was in seiner Macht steht, um all diese Missstände zu bekämpfen, steht für den Autor außer Frage. Doch „der Papst ist oft der Letzte, der etwas erfährt“.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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