Heiliges Jahr: Jüdische „Jobeljahre“ als Vorbild

Einer 700-jährigen Tradition folgend begeht die römisch-katholische Kirche ab dem 8. Dezember ein „Heiliges Jahr“. In der jüdischen Tradition war das 50. Jahr ein Ruhejahr, das mit dem „Jobelhorn“ eingeleitet wurde.

Das Jubiläumsjahr wird vom Papst durch die Öffnung der vermauerten „Heiligen Pforte“ am Petersdom begonnen und durch die Neuvermauerung der Pforte am 20. November 2016 geschlossen. Auch bei vielen anderen Basiliken und Kirchen werden aus diesem Anlass „Heilige Pforten“ geöffnet. Die in der römisch-katholischen Kirche begangenen Jubeljahre erinnern an die Jubiläumsjahre der Juden, die sie aufgrund der heiligen Siebenzahl alle 50 Jahre feiern. Nach mosaischem Gesetz war nach dem Vorbild des Schöpfers der siebente Tag ein Ruhetag. Wenn nun sieben mal sieben, also 49 Jahre, vergangen waren, musste das 50. Jahr ein besonderes Ruhejahr sein (Levitikus 25, 9-13, 19-43).

Die Juden des Alten Testaments nannten dieses Jahr, das mit dem Schall von Widderhörnern („Jobel“) verkündet wurde, „Jobeljahr“. Das Wort wurde in der lateinischen Bibelübersetzung des hl. Hieronymus, der Vulgata, mit dem lateinischen Wort „Jubilaeum“ oder Annus Jubilei übersetzt. Das Jahr hatte den Zweck, dass Menschen, Tiere, Äcker und Weinberge ruhen sollten, ein jeder Grundbesitz in die Hände seiner ursprünglichen Besitzer zurückgegeben und Sklaven freigelassen werden sollten.

Jahr des Friedens und der Vergebung

In der christlichen Übertragung machte man daraus ein Jahr des Friedens und der Vergebung, in dessen Verlauf ein vollkommener Ablass (Nachlass aller Sündenstrafen) allen jenen Gläubigen gewährt wurde, die nach Ausübung verschiedener Bedingungen, zu denen Reue, Beichte und Kommunion gehörten, darum gebeten hatten. Die Jubeljahre wurden nach ihrer Einführung im Jahr 1300 durch Papst Bonifatius VIII. (1294-1303) alle 50 Jahre gefeiert, seit 1475 alle 25 Jahre. Hinzu traten außerordentliche „Heilige Jahre“ wie zum Beispiel 1933 und 1983 zum Gedächtnis an den Tod Christi um das Jahr 33 unserer Zeitrechnung.

Masse von Pilgern am Petersplatz, einer mit erhobenen Armen

Reuters/Alessandro Bianchi

Gläubige können im „Heiligen Jahr“ den Ablass ihrer Sünden erhoffen

„Heilige Jahre“ werden aber auch an bestimmten Wallfahrtsorten begangen. Der spanische Wallfahrtsort Santiago de Compostela, der im Mittelalter nach Rom und Jerusalem das bedeutendste Pilgerzentrum der Christenheit war, kennt „Heilige Jahre“. Sie werden immer dann gefeiert, wenn das Fest des Apostels Jakobus des Älteren, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt. Das war zuletzt 1993 und 1999 der Fall.

2015 fällt der Beginn des „Heiligen Jahres“ genau auf den 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Vatikanischen Konzils. Papst Franziskus eröffnet am 8. Dezember sein außerordentliches „Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit“, das die Menschen zur Umkehr und Hinwendung zu Gott aufrufen und ihren Blick auf Bedürftige und Notleidende lenken soll. Millionen Pilger werden dazu in Rom erwartet. Italienische Medien spekulieren, dass Mutter Teresa von Kalkutta am 4. September 2016 heiliggesprochen werden könnte. Das wäre ein Höhepunkt des „Heiligen Jahres“. Aus dem Vatikan gab es dafür bisher aber keine offizielle Bestätigung.

Barmherzigkeit als zentraler Glaubensinhalt

Der Papst möchte hervorheben, dass Barmherzigkeit ein zentraler Glaubensinhalt der Kirche und insbesondere seines Pontifikats ist. Besonderes Anliegen von Franziskus ist es, durch diese Initiative den Stellenwert der Vergebung und Versöhnung zu unterstreichen. Eng verbunden mit dem Begriff der Barmherzigkeit ist die Hinwendung zu Ausgegrenzten und Notleidenden. Da Barmherzigkeit auch in anderen Religionen ein zentraler Begriff ist, soll der Dialog unter den Religionen in diesem Jahr verstärkt werden.

Arbeiter legen die "Heilige Pforte" im Petersdom in Rom frei

Osservatore Romano

Arbeiter legten im November die „Heilige Pforte“ im Petersdom frei

Der Papst wird am Feiertag Maria Empfängnis die sonst zugemauerte „Heilige Pforte“ im Petersdom öffnen, die das Tor zum Paradies symbolisiert. Diese wurde erstmals 1500 nach feierlichem Zeremoniell von Papst Alexander VI. geöffnet. Sie soll den Übergang von der Schuld zur Gnade symbolisieren, den der Pilger mit dem Besuch der großen Kirchen in Rom zum „Heiligen Jahr“ vollzieht. Der Brauch erinnert an die frühchristliche Praxis, wonach Neu-Christen die Kirchenschwelle erst nach Erfüllung der Aufnahmebedingungen überschreiten durften, schwere Sünder erst nach Sühne ihrer Schuld.

„Heilige Pforten“ auch in Österreich

Der Besuch der vier Papstbasiliken gehört zu den festen Programmpunkten eines jeden Jubiläumsjahres. In jeder Basilika befindet sich eine „Heilige Pforte“, wovon zumindest eine im Lauf des Pilgerwegs durchschritten werden sollte. Erstmals in der Geschichte der „Heiligen Jahre“ können in allen Diözesen - auch in Österreich - „Heilige Pforten“ geöffnet werden: sei es in der Bischofskirche, in einer anderen bedeutenden Kirche oder einem wichtigen Wallfahrtsort. Das Durchschreiten dieser Kircheneingänge gilt als eine Frömmigkeitsübung, um Gottes Barmherzigkeit zu erlangen.

Durch die Innenstadt Roms führen vier alte Pilgerwege, vorbei an religiösen Zentren und Treffpunkten, zum Petersdom. Die Pilgerwege wurden von der Gemeinde fußgängergerecht ausgebaut. Hindernisse für Rollstuhlfahrer wurden beseitigt und teilweise auch Spuren für Radfahrer hergerichtet. An bestimmten Pilgerpunkten der Stadt, etwa an großen Kirchen und entlang der Pilgerwege, wurden Grün- und Rastanlagen gereinigt und ausgebaut. Reisebusse werden im „Heiligen Jahr“ komplett aus dem Innenstadtbereich ausgesperrt.

Enorme Sicherheitsvorkehrungen

Waren die Maßnahmen zur Sicherheit bereits in den vergangenen Monaten rund um den Vatikan verschärft worden, so haben die Präsenz von Polizei und Carabinieri, sowie Kontrollen seit den Terror-Anschlägen in Paris nochmals zugenommen. Einige Politiker schlugen eine Verschiebung des Jubiläumsjahres vor, aber sowohl der Vatikan als auch die Regierung in Rom lehnten das heftig ab. Für die Sicherheit der Pilger würde eine Absage des kirchlichen Events ohnehin nichts bringen, meinte Roms zuständiger Stadtpräfekt Franco Gabrielli. „Terroristen handeln nicht nach einem festen Kalender. Sie schlagen zu, wenn sie mit der Planung fertig sind“, sagte er.

Mit einem Riesenaufwand wollen die staatlichen Behörden Roms für die Sicherheit im „Heiligen Jahr“ sorgen. 2.000 Militärs und Sicherheitskräfte werden täglich im Einsatz sein. Sie sollen unter anderem 150 Punkte der Stadt bewachen, die als „besonders sensibel“ eingestuft werden, angefangen mit der Wohnung des Papstes im vatikanischen Gästehaus Santa Marta, aber auch 39 diplomatische Vertretungen, die Einwanderungsbehörde, Fluggesellschaften der USA und Israels und neun internationale Schulen, darunter die jüdische und die saudische.

Personenkontrollen vor dem Petersplatz in Rom

Reuters/Stefano Rellandini

Bereits im November gab es umfassende Sicherheitskontrollen beim Eingang zum Petersplatz

Besonderer Schutz „sensibler“ Orte

Zu den „sensiblen“ Orten zählen aber auch symbolische wie das Kolosseum, die Spanische Treppe, die Synagoge, Bahnhöfe, U-Bahn-Stationen und natürlich die Flughäfen. Über der Stadt soll ein Flugverbot gelten, besondere Gefahren sieht man durch Drohnen. Zudem wurde eine einheitliche Notrufnummer eingerichtet, in der Polizei, Carabinieri, Feuerwehr und ärztlicher Notdienst zusammenlaufen.

Unterdessen verstärken auch die römischen Verkehrsbetriebe ihre Sicherheitsmaßnahmen zum „Heiligen Jahr“. Haltestellen und Gleisabschnitte würden mit mehr als 3.000 Kameras überwacht, teilte das Nahverkehrsunternehmen Atac mit. Zudem habe man das Kommunikationsnetz von Polizei, Rettungskräften, Zivilschutz und Stadtregierung ausgebaut. An Knotenpunkten wie dem Bahnhof Termini und dem Kolosseum seien Polizeihunde im Einsatz.

Vatikan im Visier des IS

Auch die Päpstliche Schweizergarde, die „kleinste Armee der Welt“, ist für das Großereignis gerüstet. Sie hat zusammen mit dem vatikanischen Polizeidienst die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um höchste Sicherheit im Vatikan zu garantieren. Aktiv ist eine Operationszentrale, die rund um die Uhr den Funkkontakt zwischen den Sicherheitseinrichtungen koordiniert. Auch die übrigen Sicherheitsorgane in und um den Vatikan haben sich auf den Ansturm der Pilger eingerichtet. Für Personenkontrollen sind zusätzliche Vorkehrungen getroffen worden.

Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hat Rom schon länger im Visier. Als der IS 2014 sein „Kalifat“ ausrief, verkündete er, dieses Zentrum der Christenheit erobern und „die Kreuze zerbrechen“ zu wollen. In seiner Propaganda verbreitete er Fotomontagen mit der schwarzen Fahne auf dem brennenden Kolosseum und auf dem Obelisken vor dem Petersdom.

religion.ORF.at/APA

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