Literatur und Religion: „Poetikdozentur“ in Wien

Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien öffnet ein weiteres Forschungsfeld. Ab 19. April startet eine neue „Poetikdozentur“, in deren Rahmen Autorinnen und Autoren das Verhältnis von Literatur und Religion neu ausloten werden.

Wie die Universität Wien am Montag in einer Aussendung mitteilte, macht am 19. April die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff („Mit Dante über Dante hinaus. Zum Verhältnis zwischen Literatur und Religion“) den Anfang der prominent besetzten Reihe. Es folgen am 20. Mai der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann („Der Club der Atheisten. Erfahrungen eines Klosterschülers“) und am 16. Juni die Bachmann-Preisträgerin 2015, Nora Gomringer („Man sieht’s. Der Gott zwischen den Zeilen der Nora G.“). Renommierten AutorInnen ebenso wie NewcomerInnen der Literaturszene soll ein Forum geboten werden.

Gräben zwischen Literatur und Theologie überwinden

Ziel der „Poetikdozentur“ sei ein interdisziplinärer Austausch und eine Überwindung von Gräben, die es zwischen Literatur, Literaturwissenschaft und Theologie noch immer gebe, so der Wiener Dogmatiker und Initiator der Dozentur, Jan-Heiner Tück. „Noch sind Literaturwissenschaft und Theologie wenig miteinander im Gespräch. Hier wollen wir einen Gegenimpuls setzen, um wechselseitige Vorbehalte auszuräumen“.

Jan-Heiner Tück

ORF/Marcus Marschalek

Jan-Heiner Tück

Tück selbst setzt sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit intensiv mit der Gegenwartsliteratur und ihren religiösen Implikationen auseinander. So hat er u.a. über Religion bei Peter Handke und bei Martin Walser publiziert und entsprechende Symposien an der Universität Wien initiiert.

„Wie Trüffelschweine“

Theologen, die sich mit Literatur befassen, neigten derzeit häufig dazu, „schöne Stellen zu suchen, gewissermaßen wie ein Trüffelschwein Literatur abzusuchen“, um einen Text oder eine Predigt zu illustrieren, so Tück. Was dabei zu kurz komme, sei der Kontext. „Umgekehrt kann man bei Literaturwissenschaftlern nach wie vor eine gewisse Reserve gegenüber religiösen Themen feststellen. Das hängt teilweise mit antikirchlichen Affektlagen und der Sorge zusammen, Literatur theologisch zu funktionalisieren.“ Beide Haltungen gelte es, aufzubrechen.

Darüber hinaus könne die Theologie viel von der Literatur lernen, zeigt sich Tück überzeugt: „Literatur rezipieren bedeutet für Theologen immer auch, in eine Sprachschule zu gehen“ - schließlich gebe es in der Theologie zunehmend „verbrauchte Vokabulare“, das Bedürfnis nach neuen Bildern und Sprachspielen sei groß. „Insofern würde ich sagen, ist nicht nur die Philosophie, sind nicht nur die Humanwissenschaften wichtige Referenzpunkte für die Gegenwartstheologie, sondern auch die Literatur.“

„Reduktion der Wirklichkeit durchbrechen“

Der Zugang, der auch im Rahmen der „Poetikdozentur“ gewählt werden soll, setzt laut Tück bewusst nicht beim Offensichtlichen an; es gehe nicht darum, explizite Reflexionen auf religiöse Fragen in Literatur auszumachen, sondern „über anthropologische Grenzerfahrungen - Liebe, Trauer Tod - den Zugang zu finden“. Es gebe zahlreiche Autoren der Gegenwart, die über solche Grenzerfahrungen schreiben und dabei eine sprachliche Dichte erreichen, „die gar nicht religiöses Vokabular bemühen muss; wo im Subtext eigentlich schon die metaphysische Obdachlosigkeit, aber auch eine Reduktion der Wirklichkeit auf das nur-Sichtbare durchbrochen wird“.

Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 15 Fakultäten und vier Zentren arbeiten rund 9.700 Mitarbeiter, davon 6.800 Wissenschafter. Die Universität Wien ist damit auch die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 92.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit über 180 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes.

religion.ORF.at/KAP

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