„Großer Supermarkt“: Abdel-Samads neue Korankritik
„Man findet dort fast alles: Mitgefühl und Hass; Frieden und Gewalt; Toleranz und Intoleranz; Vergebung und Rache; Zusammenleben und Vertreibung von Andersgläubigen“, so Abdel-Samad. Mit Büchern wie „Der islamische Faschismus“ eroberte der ägyptisch-deutsche Publizist und Autor die deutschsprachigen Bestsellerlisten, sie brachten ihm aber auch Todesdrohungen ein.
Für jedes Argument ein Zitat
Abdel-Samad stellt seinem Buch die Beobachtung voran, dass man, etwa in TV-Debatten, leicht den Eindruck bekomme, mit dem Koran lasse sich jede Behauptung entweder be- oder widerlegen. So kennt man das ja auch von der Bibel: Je besser man sich in der einen oder anderen heiligen Schrift auskennt, umso besser kann man seine Argumentation mit dem passenden Zitat untermauern. Der prominente Islamkritiker und Sohn eines ägyptischen Imams will mit seinem neuen Buch eine kritische Koranexegese vorlegen.
Fine Pic, H. Henkensiefken
Von einem Engel diktiert
Er beginnt mit einer historischen Einordnung und erklärt Entstehung und Verbreitung der heiligen Schrift der Muslime. Der Koran, der aus 114 Suren (Abschnitte mit einer unterschiedlichen Anzahl von Versen, Anm.) besteht, ist in eine mekkanische und eine medinensische Zeit unterteilt, wie der Autor ausführt.
Dass erstere „die friedlichen Verse und letztere die Gewaltpassagen hervorgebracht hat“, stimme so nicht ganz, so Abdel-Samad, er nimmt die Abschnitte eher als grobe Einteilung. Muslime glauben, dass der Koran dem Propheten Mohammed als direktes Wort Allahs von einem Engel (Gabriel) diktiert wurde. Seine Suren folgen keinen thematischen oder narrativen Strukturen, anders als bei der Bibel, so der Autor.
Unantastbar?
Abdel-Samad beschreibt den Koran als stark in seine Entstehungszeit eingebettetes Werk: Die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Umstände hätten die „Rezitationen“ Mohammeds (er schrieb sie nicht selber auf, sondern diktierte sie) beeinflusst. Doch: „Je länger sich die Muslime von der Zeit des Propheten entfernten, desto unantastbarer wurde der Koran.“
Droemer Knaur
Buchhinweis
Hamed Abdel-Samad: Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses. Droemer Knaur, 240 Seiten, 20,60 Euro
Aussagen und Vorschriften seien nicht mehr einer notwendigen Relativierung unterzogen worden, so der Autor. Dazu komme, dass „anders als die jüdischen und christlichen heiligen Texte, die zwar als Offenbarungen gelten, die aber von Menschen niedergeschrieben wurden“ (...) der Koran gläubigen Muslimen als ein „ewiges Buch“ gelte, das schon seit Beginn der Schöpfung in der gleichen Sprache und mit dem gleichen Inhalt bei Gott aufbewahrt gewesen sei.
„Spiegel ihrer Entstehungszeit“
Der Koran sei in mehreren Phasen entstanden, die je nach der Situation, in der Mohammed und seine Gemeinde sich befanden, eine mehr oder weniger streitbare oder auch fremdenfeindliche Ausrichtung in die heilige Schrift brachten, argumentiert Abdel-Samad. Viele, sowohl Kritiker als auch Befürworter des Islam, verstünden dennoch „diese divergierenden Passagen nicht als Spiegel ihrer Entstehungszeit“.
Die meisten Regeln des Korans seien „konkrete Antworten auf bestimmte zeitgeschichtliche Ereignisse“, so Abdel-Samad. „Etwas zugespitzt“ könnte man sagen, nicht Allah habe Mohammed nach seinem Vorbild erschaffen, sondern Mohammed habe Gott jene Sätze in den Mund gelegt, „die ihm in seiner jeweiligen Lebenssituation gerade zupasskamen“.
Mohammed und seine „Wunderlampe“
Das ist wohl die Kernaussage von „Der Koran". Und das wiederholt Abdel-Samad auch immer wieder: " ... es wirkt in großen Teilen doch so, als sei Allah Mohameds Projektionsfläche gewesen und der Koran die Wunderlampe, die seine Wünsche erfüllen sollte“. So habe der Prophet etwa seine Haltung gegenüber den „Ungläubigen“ gleich mehrfach gewechselt.
Auch beim Thema „Frauen im Koran“ macht der Autor die Feststellung, je mehr Frauen Mohammed gehabt habe, „desto mehr verschwand das Prinzip der Gleichberechtigung, das in früheren Suren spürbar war“. Auch sei erst dann von Verschleierung die Rede, als der sechzigjährige Prophet mehrere viel jüngere Frauen gehabt habe. Zum Thema Frauenunterdrückung und sexuelle Belästigung sowie Diskriminierung von Homosexuellen findet er viele Kritikpunkte.
Hamed Abdel-Samad
Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Kairo, studierte mehrere Sprachen und Politikwissenschaft. Seine Bücher, u. a. „Der islamische Faschismus“ (2014) und „Mohamed - Eine Abrechnung“ (2015) brachten ihm in Ägypten eine Fatwa ein. Er lebt in Deutschland unter Polizeischutz.
„Koranfester“ Sohn eines Imams
Hamed Abdel-Samad, Sohn eines Imams, ist „koranfest“, er zitiert und vergleicht in seinem neuen Buch viele Suren, weist auf Widersprüche hin und lässt Kennerschaft durchblicken. Sehr leicht lesbar ist das Buch ebenfalls und hat auch von daher das Zeug zu einem weiteren Bestseller. Inwieweit es dem innerislamischen Dialog wirklich dienen wird, wird sich zeigen: Für wirklich Gläubige könnte ein solches Buch ein Schlag ins Gesicht sein.
Mit demonstrativer Flapsigkeit („Was will Allah gleich noch mal?“) und kühnen Aussagen („Gott verachtet den Menschen“) wird sich Abdel-Samad auch mit diesem Buch nicht nur Freunde machen. Er wolle sein Buch als „Appell an die Muslime, sich auf eine kritische Analyse einzulassen“ verstanden wissen, sagte er Anfang Oktober in einem Interview mit der deutschen „Main Post“.
Dabei billigt Abdel-Samad dem Koran auch gute Seiten zu - Stichwort „Friedenspassagen“ und „rührende spirituelle Passagen“, die für jeden Gläubigen ein wichtiger Quell für Trost und Zuversicht seien. Auch seien einige der darin aufgestellten Regeln für die damalige Zeit fortschrittlich gewesen.
Koran als Menschenwerk verstehen
Als moralische Orientierungshilfe für Menschen im 21. Jahrhundert könne die heilige Schrift der Muslime aber nur sehr bedingt dienen, so Abdel-Hamad. Nicht eine zeitgemäße Interpretation des Korans sieht er daher als die Lösung, sondern eine „Emanzipation von der unantastbaren Göttlichkeit des Textes“.
„Wenn wir den Koran als ein menschliches Werk verstehen, mit allem, was zu einem Menschen gehört, kann man die gewaltbejahenden Seiten neutralisieren und die spirituellen Passagen betonen, die die Gläubigen brauchen, um Trost und Liebe zu empfinden“, so Abdel-Samad.
Johanna Grillmayer, religion.ORF.at