„Pontifex“: Alle Päpste in einem Buch

Der Historiker Volker Reinhardt hat sich mit seinem Buch „Pontifex“ Gewaltiges vorgenommen: Auf über 900 Seiten will er einen Überblick über sämtliche Päpste der römisch-katholischen Kirche geben.

Reinhardt geht in seiner Arbeit über die „Ausnahme-Institution“ Papstamt chronologisch vor, doch beschränkt er sich nicht auf lexikonähnliche Lebensläufe: Jeweils mehrere Päpste werden in 14 Kapiteln mit je mehreren Unterkapiteln einer Epoche zugeschlagen und mit den historischen und politischen Hintergründen behandelt. Auch die über ihre eigene Zeit hinausreichende Bedeutung der einzelnen Päpste schätzt der Historiker ein.

„Absoluter Herrscher“

Der Papst an sich ist für Reinhardt ein „Restbestand Alteuropas“, als „der einzige absolute, durch keine gesetzgebende Versammlung in seiner Gewaltenfülle eingeschränkte Herrscher des Kontinents“ - ein absoluter Herrscher also. Die Geschichte der Päpste sei schon immer mehr als bloße Historiografie gewesen, so der Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg in der Schweiz.

Der heilige Petrus, Enkaustik-Ikone aus dem 6. Jahrhundert, Katharinenkloster (Sinai)

Public Domain

Der heilige Petrus, Enkaustik-Ikone aus dem 6. Jahrhundert, Katharinenkloster (Sinai)

Der „erste Papst“ Petrus steht so auch „nicht für eine reale, sondern für eine imaginäre Kontinuität“. Die Herrschaft der Päpste, so Reinhardt, beruhe in hohem Maße auf ihrer selbst konstruierten Geschichte - so funktioniere Petrus und sein angeblicher Märtyrertod in Rom als Legitimierung der apostolischen Gründung und Vorherrschaft der Papst-Stadt während vieler Jahrhunderte. Dabei ist nicht einmal gesichert, dass Petrus überhaupt in Rom war.

Die einzelnen Papst-Figuren (von deren Leben und Wirken insbesondere aus der Frühzeit des Christentums nur sehr wenige Belege existieren) stehen in „Pontifex“ für Epochen und Entwicklungen. So dienen etwa Clemens V. und Gregor XII. als „Klammern“ für einen Überblick über das große abendländische Schisma (1378 bis 1417), während dessen die Kirche gespalten war.

Illusion „lückenlose Ahnenreihe“

Ein frühes Dokument ist die „Papst-Liste“ des heiligen Irenäus von Lyon (etwa 130-200), „die älteste und wichtigste Quelle für die Frühgeschichte der römischen Gemeinde“, so Reinhardt. Sie ist für ihn eine „Rückübertragung der Gegenwart in eine andersartige Vergangenheit“ mit dem Ziel, eine scheinbar „lückenlose Ahnenreihe“ der Päpste zu suggerieren und so das Papsttum zu festigen. Die Männer auf dieser Liste blieben „schemenhaft“, doch könne man immerhin an den Namen wie Telesphorus, Hyginus und Eleutherus den starken griechischen Einfluss am Tiber nachweisen, so der Autor.

„Eremiten-Papst“ auf der Flucht

Von diesen quellenarmen Anfängen ausgehend erfasst der Autor eine um die andere Papst-Epoche. Das von religiösen Reformierungsversuchen bewegte Mittelalter brachte skurrile Figuren wie etwa eine „Eremiten-Papst“ Cölestin V. hervor, der 85-jährig praktisch gezwungen wurde, den Stuhl Petri zu erklimmen.

Gemälde von Cölestin V., Batholome Roman, Museo del Prado (ca. 1587-1647)

Public Domain

Cölestin V. (Ausschnitt), Batholome Roman (ca. 1587-1647), Prado

Er trat nach einem halben Jahr zurück und musste danach vor seinem Nachfolger Bonifaz VIII. fliehen. Sein „chaotisches“ Pontifikat habe Cölestin nicht daran gehindert, als Symbol für „Frömmigkeit und Weltabgewandtheit“ machtvoll nachzuwirken, so Reinhardt. Erst kürzlich wurde er als Vorbild für einen gewagten Schritt geltend gemacht: Erst Benedikt XVI. sollte im Jahr 2013 als nächster Papst den Weg des Rücktritts wählen.

Mörderische Renaissance-Päpste

So eng verstrickt in die europäische, vor allem die italienische Politik, wie das Papsttum die meiste Zeit seiner Geschichte über war, kommt der Autor von „Pontifex“ gar nicht darum herum, auch über Weltpolitik zu schreiben. Das umfasste - nicht nur, aber besonders stark - in der Renaissance auch Mord und Totschlag.

Buchcover von "Pontifex" von Volker Reinhardt

C.H.Beck

Buchhinweis

Volker Reinhardt: Pontifex. Die Geschichte der Päpste. Von Petrus bis Franziskus. C. H. Beck, 928 Seiten, 39,10 Euro.

Im Kapitel „Neuanfang, Renaissance-Kultur und Krise“ bekommt man einen sehr guten Einblick in die Welt der Renaissance-Familien, die extreme Gewalt, die zwischen ihnen zum Einsatz kam, und den alles beherrschenden Nepotismus (Günstlingswirtschaft). Hier taten sich auch und vor allem die Päpste beziehungsweise ihre Klientel stark hervor. Es musste nicht gleich einer der verruchten Borgia sein: Auch Sixtus IV. etwa machte vor dem Einsatz von „Berufsmördern“ nicht halt, um so manch ein Mitglied der konkurrierenden Medici-Familie auszuschalten.

Barock, Nepoten und eine „papessa“

Auch von interessanten Nebenfiguren wie Olimpia Maidalchini, einer reichen Förderin von Innozenz X. (dessen Porträt von Diego Velazquez das Cover des Buchs ziert), erfährt man in „Pontifex“. Die von den Bürgerinnen und Bürgern Roms als „papessa“ verhöhnte Maidalchini agitierte als „graue Eminenz“ des Vatikans, so Reinhardt, sie soll kräftig „mitregiert“ haben. Maidalchini und ihre mit Kirchenämtern versehene Familie sorgten für Tratsch und Skandale in der römischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts.

Macht- und Einflussverlust der Kirche und eine damit verbundene Abkehr vom Nepotentum kennzeichnen das 18. und 19. Jahrhundert. Der Verlust des Kirchenstaats an den italienischen Staat unter Pius IX. (1870) läutete eine neue Epoche für das Papsttum ein: Der Pontifex maximus galt für Jahrzehnte als Gefangener im Vatikan. Erst der Pakt von Pius XI. mit dem Faschistenführer Benito Mussolini ermöglichte die Lateranverträge von 1929, verlorenes Territorium ging an die Kirche zurück. Doch zu welchem Preis?

Benito Mussolini mit Geistlichen im Vatikan zur Unterzeichnung der Lateranverträge, 11. Februar 1929

AP

Benito Mussolini (M.) im Vatikan zur Unterzeichnung der Lateranverträge, 11. Februar 1929. Papst Pius XI. ließ sich vertreten.

Über die umstrittene Rolle der Kirche in der Zeit des Zweiten Weltkriegs (Pius XII.) und des Nationalsozialismus bzw. Faschismus über das Zweite Vatikanische Konzil, das für einen enormen Modernisierungsschub sorgte (Johannes XXIII. und Paul VI.), skizziert Autor Reinhardt die Porträts der Päpste bis in die heutige Zeit. Das letzte Kapitel, das dem heutigen Papst Franziskus gewidmet ist, muss natürlich ein Ausblick bleiben.

Spannender, vergnüglicher Überblick

Für historisch Interessierte bietet das Buch einen bestechenden „Überblick“ - wer sich mit den Päpsten auskennt, weiß schon sehr viel über europäische Geschichte -, nebenbei ist „Pontifex“ einfach eine spannende und vergnügliche Lektüre. Über den Charakter der jeweiligen Päpste und deren Privatleben - sofern es nicht für das Amt und die Politik relevant war - erfährt man nicht sehr viel. Dafür wäre in einem so umfangreichen Projekt auch nicht der Platz. Einen exzellenten Abriss über die Geschichte der Päpste, der katholischen Kirche und auch Europas bietet „Pontifex“ auf jeden Fall.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

Link: