Reformation: Als die Wiener Protestanten wurden

Martin Luthers Thesen sind in Wien auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Ausstellung „Brennen für den Glauben. Wien nach Luther“ im Wien Museum rollt profund und materialreich die Epoche auf, in der die Wiener dem Ruf der Reformation folgten.

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt!“ Mit dieser Parole soll die katholische Kirche im Spätmittelalter dafür geworben haben, dass Gläubige ihre Verstorbenen aus dem Fegefeuer freikaufen. Nicht nur an den vielen Altären des Stephansdoms wurden rund um die Uhr Messen für den Sündenerlass gelesen. Der ausufernde Ablasshandel war Luthers Triebfeder für seine „95 Thesen zu Ablass und Gnade“, die er vor 500 Jahren an die Wittenberger Kirchentür schlug.

Keine Reform ohne Druck

Nur drei Erstdrucke von Luthers Thesen sind heute noch erhalten, wovon ein Exemplar nun zu sehen ist. Ohne die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern hätte die Reformation nie so Fahrt aufgenommen, wurden ihre Flugschriften doch in Windeseile von geschäftstüchtigen Druckereien nachgepresst. Die Radierung „Der Kramer mit der newe Zeittung“ von 1589 zeigt einen Wanderhändler mit Bauchladen, der auch die „News“ der Reformation enthielt.

Das alte Landhaus, wichtiges Zentrum der Wiener Protestanten

Wien Museum

Das alte Landhaus, wichtiges Zentrum der Wiener Protestanten

„Die Reformation steht nicht allein, sie muss im Kontext der Entdeckungen, des neuen Bilds vom Menschen und der Natur im Zuge des Humanismus betrachtet werden“, betont Kurator Karl Vocelka. Am Beginn des gelungen gestalteten Ausstellungsparcours wird an die Humanisten erinnert, die „ad fontes“, also zurück zu den antiken Quellen, gingen. Mit seiner späteren Bibelübersetzung aus dem Griechischen ins Deutsche folgte Luther diesem Ruf.

Berechtigter Hass auf die Kirche

„In Wien herrschte damals ein regelrechter ‚Pfaffenhass‘ vor“, erläutert Historiker Vocelka die spöttischen Illustrationen, die Geldgier und Heuchelei des Klerus anprangerten. Auf Holzschnitten der Zeit predigen Priester vor Bergen von Münzen, Wölfe im Kardinalsgewand reißen fromme Schafe. „Gnade ist gratis“, lautete hingegen Luthers frohe Botschaft.

Ausstellungshinweis

„Brennen für den Glauben. Wien nach Luther“, Wien Museum, bis 14. Mai

Im April 1522 predigte der Reformator Paulus Speratus im Stephansdom gegen das Klosterwesen und den Zölibat, was bei Adel, Bürgertum und innerhalb der Wiener Universität viel Anklang fand. Erzherzog Ferdinand I., in Spanien streng katholisch erzogen, versuchte die Reformation mit teils drakonischen Maßnahmen aufzuhalten. So ließ der Habsburger nach seiner Herrschaftsübernahme 1522 im „Wiener Neustädter Blutgericht“ acht Wortführer einer mutmaßlichen Rebellion hinrichten.

Konfessionskampf Hof gegen Adel

„Die Reformation erfolgte in Wellen. Schätzungen gehen heute davon aus, dass im 16. Jahrhundert rund 70 Prozent der Wiener Bevölkerung protestantisch waren“, so Vocelka. Die niederösterreichischen Adeligen folgten der neuen Konfession ebenso wie Bürgerliche und die Angehörigen der Wiener Universität. Der katholisch dominierte Hof war wiederum auf die Unterstützung der Aristokratie angewiesen, da 1529 die Osmanen erstmals Wien belagerten.

Auf die Bedeutung der Türkengefahr wird in der Schau ebenso eingegangen wie auf die Unterdrückung der Juden und der Verfolgung der „Täufer“. Letztere wurden von Luther ebenso verdammt wie vom Papst, sie fanden zunächst in Mähren Zuflucht. Zu den frühen Zeugnissen der Gegenreformation zählt ein Brief von Ferdinand I. an den Ordensgründer Ignatius von Loyola, mit dem die ersten Jesuiten nach Österreich geholt wurden.

Eine Konfession formiert sich

Zu den herausragenden Dokumenten der Kirchenspaltung zählt die handschriftliche Kopie des Augsburger Bekenntnisses, das eine der wichtigsten Grundlagen des Protestantismus darstellt. Damit besiegelten die evangelischen Reichsstände gegenüber Kaiser Karl V. ihre konfessionellen Überzeugungen.

Der Augsburger Religionsfriede 1555, Original mit Unterschrift Ferdinands I.

Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv

Augsburger Religionsfriede 1555, Original mit Unterschrift Ferdinands I.

Im Jahr 1555 wurde schließlich der Augsburger Religionsfrieden geschlossen. Die originale Abschrift mit der Unterschrift von Ferdinand I. wird von zahlreichen Siegeln bekräftigt. Das einmalige Dokument wurde noch nie gleichzeitig mit der „Confessio Augustana“ und dem Erstdruck der Luther-Thesen aus dem Österreichischen Staatsarchiv für eine Ausstellung verliehen, erklärt Kurator Vocelka stolz.

Ein Herrscher als Sympathisant

Erst unter Kaiser Maximilian II. verbesserte sich die Situation der Wiener Lutheraner. Als einer der wenigen Habsburger duldete er an seinem Hof protestantische Prediger und Fürsten und erlaubte adeligen Ständen, auf ihren Landsitzen und angeschlossenen Pfarrkirchen ihrer Religion nachzugehen.

Historiker und Kurator Karl Vocelka

Wien Museum

Historiker und Kurator Karl Vocelka

Wiewohl Städte und Märkte von diesem Recht ausgenommen waren, wurden auch die Wiener Stadtpalais der Aristokraten zu protestantischen Hotspots. Um diese Umtriebe einzugrenzen, genehmigte der Kaiser lutherische Gottesdienste im Landhausministerium in der Herrengasse.

Diese Messen, in denen Prediger wie Josua Opitz teils hart mit der katholischen Kirche ins Gericht gingen, waren jedoch dem Adel vorbehalten. Das Landhaus als Symbol des Wiener Protestantismus währte jedoch nur kurz, wurden doch evangelische Gottesdienste innerhalb der Stadtmauern ab 1578 verboten.

Glaubensheil vor den Stadttoren

Die gegenreformatorische Maßnahme konnte die Evangelischen aber nicht aufhalten – ganz im Gegenteil. Eine Ansicht von Hernals zeigt einen Tross von Gläubigen, der zum Gottesdienst im Schloss der Familie Jörger unterwegs ist. „Die Adelsfamilien werden zu den ‚Schutzengeln‘ der Protestanten“, schildert Vocelka. „Sie öffneten damals ihre Kapellen für die Wiener, die zu Tausenden ‚auslaufen‘ konnten, um dort den Gottesdienst, Taufe, Hochzeit oder Beerdigung zu begehen. Die katholischen Kirchen blieben indes leer.“

Matthäus d. Ältere Merian: Ansicht von Hernals: "Auslaufen“ der Wiener Protestanten zum Gottesdienst in die evangelische Hochburg", 1649 (Ausschnitt)

Wien Museum

Ansicht von Hernals, „Auslaufen" der Wiener Protestanten zum Gottesdienst in die evangelische Hochburg“ (Matthäus d. Ältere Merian, 1649)

Nach dem Aufstand des evangelischen Adels wurde Helmhard Jörger ebenso wie viele andere adelige Grundbesitzer enteignet, sein Schloss abgerissen und ein Pilgerweg vom Stephansdom zu einem Nachbau des Heiligen Grabs eingerichtet. An die Stelle des „Auslaufens“ trat eine Wallfahrt, die ab 1683 auf den bis heute erhaltenen Kalvarienberg führte.

Tumult und Unterdrückung

Anhand herausragender Dokumente gelingt es der Ausstellung, die Heftigkeit der konfessionellen Konflikte zu vermitteln. Ein handkoloriertes Blatt gibt mit dem „Wiener Milchkrieg“ einen Aufruhr bei der Fronleichnamsprozession mit dem Kaiser am Graben wieder. Die Massenszene zeigt, wie nicht nur die Stände von Milchhändlern umgeworfen wurden, sondern auch der Baldachin und die Monstranz auf dem Boden landeten. „Damals hat der Hof Angst gehabt, dass dieser Eklat unmittelbar in die Revolution führt.“

Der "Milchkrieg", ein Tumult bei der Fronleichnamsprozession 1578 (Ausschnitt)

Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv

Der „Milchkrieg“, ein Tumult bei der Fronleichnamsprozession 1578

Schon 1578 waren die von Maximilian II. zugestandenen Freiheiten erheblich eingeschränkt worden. Vergeblich fielen 5.000 protestantische Wiener vor Erzherzog Ernst auf die Knie und baten um Religionsfreiheit. Bis auf wenige, als „halsstarrig“ registrierte Personen lebten offiziell kaum noch Protestanten in Wien. Die „Pest der Ketzerei“ wurde in Wien ab 1620 ausgemerzt, als bei der Schlacht auf dem Weißen Berg die protestantischen Kräfte unterlagen.

Reformiert im Geheimen

Bis zum Toleranzpatent von Joseph II. 1781 konnten die Evangelischen in Wien ihrer Religion nur im Verborgenen nachgehen. Sie fanden Zuflucht in den Kapellen ausländischer Gesandtschaften evangelischer Länder wie Schweden, Dänemark und der Niederlande, die bald zu Zentren des Wiener Geheimprotestantismus wurden.

Nicole Scheyerer, für religion.ORF.at

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