Kopftuch vs. Bartwuchs: Stimmen zur IGGÖ-Fatwa

In der Debatte über die „Kopftuch-Fatwa“ der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), die vergangene Woche für Aufregung gesorgt hatte, haben sich zwei bekannte muslimische Experten zu Wort gemeldet.

Während die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum möglichen Verbot religiöser Symbole am Arbeitsplatz in aller Munde ist, geht in Österreich auch die Debatte über ein Kopftuch-Gebot für muslimische Frauen weiter. Dabei stellte sich unter anderem die Frage, warum der Diskurs über religiöse Symbole im Islam stets auf den Köpfen der Frauen ausgetragen werde und etwa die Bärte muslimischer Männer nie ein Thema seien.

IGGÖ: „Religiöses Gebot“

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) hatte schon Mitte Februar in einem „Beschluss“ ihres Beratungsrates via Website bekanntgegeben, das Tragen von Kopftüchern für Frauen und Mädchen ab der Pubertät sei „ein religiöses Gebot“. Darauf reagierten unter anderen Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) mit Kritik - mehr dazu in Kritik an „Kopftuchgebot“ für Musliminnen.

Mouhanad Khorchide

kathbild/Franz Josef Rupprecht

Islamtheologe Mouhanad Khorchide

Die IGGÖ-Frauenbeauftragte Carla Amina Baghajati schickte eine etwas einschränkende Aussendung nach, worin sie argumentierte, das Kopftuch sei keine „Säule“ der Religion. Sie plädierte auch dafür, die Deutungshoheit darüber, was Frauen anziehen oder nicht anziehen, unbedingt den Frauen selbst zu überlassen - mehr dazu in IGGÖ-Frauenbeauftragte: Kopftuch keine Islam-Säule.

Khorchide: Verpflichtung suggeriert

In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Furche“ äußerte sich jetzt der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Uni Münster, Mouhanad Khorchide, in einem Kommentar zu dem Thema. In dem religiösen Gutachten zum Thema Kopftuch suggeriere die IGGÖ, „es gäbe eine einzig gültige Position im Islam dazu – nämlich die der strengen Verpflichtung“, schriebt Khorchide. In der Theologie werde das Thema Verhüllung durchaus differenzierter diskutiert. Khorchide zitiert den in den USA lehrenden Professor Khaled Abou El Fadl.

Dieser sehe "im Kopftuch gerade in nicht-islamischen Ländern, in denen muslimische Frauen wegen des Tragens des Kopftuchs benachteiligt werden könnten, explizit keine Pflicht. „Er empfiehlt sogar, auf das Kopftuch zu verzichten, wenn es dazu führt, dass Frauen belästigt werden“, so Khorchide.

Koran auch gegen Kopftuch auslegbar

Die Koranstelle, in der es heißt: „Prophet! Sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den Frauen der Muslime, sie sollen ihre Übergewänder reichlich über sich ziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie dann erkannt und nicht belästigt werden. Und Gott ist allverzeihend, barmherzig“ (Koran 33:59) könne man so auslegen, dass Frauen heutzutage durch eine Verhüllung statt weniger mehr „belästigt“, also Nachteilen ausgesetzt seien, als das zu Mohammeds Zeiten der Fall gewesen sei.

Khorchides Fazit in der „Furche“ lautet: „Jede Frau soll für sich entscheiden, ob das Kopftuch für sie wichtig ist. Die Frage nach ihrer Frömmigkeit hängt nicht damit zusammen.“

Ebenfalls in der „Furche“ publizierte der Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, Tarafa Baghajati, seine Ansicht zu der IGGÖ-Stellungnahme. Er sieht zwar mit dem Diskurs den Islam „in Österreich endgültig angekommen“. Doch Baghajati stellt gleich zu Anfang die Frage: „Aber benötigt das Thema Kopftuch wirklich eine religiöse Beratung? Sind hier Neuigkeiten eingetreten? Haben muslimische Frauen danach gefragt?“

Baghajati: „Verwirrung“ gestiftet

Die IGGÖ sage seit 20 Jahren, dass die Haarbedeckung der Frauen eine religiöse Praxis sei, der Begriff „Gebot“ sei ebenfalls immer wieder verwendet worden. Damit folge sie dem „Konsens unter Gelehrten von einst und heute, sunnitisch wie schiitisch“.

Tarafa Baghajati

ORF/Marcus Marschalek

Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen

Dennoch sei immer klar gewesen, dass eine Muslimin ohne Kopftuch „nicht nur genauso zur muslimischen Gemeinschaft gehört, sondern auch eine gute Muslimin sein kann. Die Haarbedeckung wurde nie als ein Glaubensdogma, schon gar nicht als eine Doktrin hingestellt“, so Baghajati. Das Papier des Beratungsrates habe „Verwirrung“ gestiftet.

Vergleich Kopftuch - Männerbart

Er vergleicht die Kontroverse rund um die weibliche Kopfbedeckung mit Vorschriften über den Bartwuchs muslimischer Männer: Das komplette Rasieren des Barthaares sei „nicht erlaubt, also haram“.

Es gebe Imame und sogar Muftis mit rasiertem Bart, „ohne dass sie als ‚Sünder‘ oder auch nur Träger einer Verfehlung und somit nicht glaubwürdig bezeichnet werden“. Also „warum müssen Diskurse fast immer auf den Köpfen der Frauen geführt werden?“, fragte Baghajati, der der Ehemann der IGGÖ-Frauenbeauftragten Carla Amina Baghajati ist.

Alles in allem kritisiert Baghajati die Aussage, das Tragen des Kopftuchs sei für Frauen ein Glaubensgebot (fard) - was aber nicht zum Beispiel mit den Zehn Geboten der Christen zu vergleichen sei - nicht. Er sieht für die Fatwa „weder eine muslimische Anfrage noch eine Notwendigkeit“. Auch ortet Baghajati eine „Schwäche des Textes bei der Formulierung und in der Art und Weise der Kommunikation“. Der Beratungsrat habe "ausschließlich eine beratende Funktion. Er ist keinesfalls eine Art Kontrollinstanz wie ein „Wächterrat’“, so Baghajati.

religion.ORF.at

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