Religionsrechtler: Islam in Europa wird „kirchlicher“

Eine Art „Verkirchlichung“ des Islam in Europa, die bisher nicht zum Wesen dieser Religionsgemeinschaft gehört, erwartet der Wiener Religionsrechtler Richard Potz.

Zu den zentralen Merkmalen aller europäischen Religionsrechtssysteme gehöre es, dass sie es ermöglichen und erwarten, dass sich Religionsgemeinschaften organisieren und so in staatliches Religionsrecht integrieren, so Potz: „Der Staat erwartet ein Gegenüber.“ Gerade im und für den Islam eine Herausforderung, sei dieser doch nicht vergleichbar strukturiert wie etwa die meisten christlichen Kirchen.

Organisationsform nötig

Um mit europäischen Rechtssystemen kompatibel zu sein, brauche der Islam aber eine entsprechende Organisationsform. Insofern könnte man von einer „Verkirchlichung“ des Islam auf seinem Weg nach Europa sprechen, meinte Potz. Er äußerte sich dieser Tage bei einem Vortrag im Steyler Missionshaus St. Gabriel bei Mödling. Dass sich der Islam grundsätzlich auch organisieren lässt, bekräftigte Potz mit dem Beispiel des Islam in Bosnien im Zuge seiner Anerkennung als Religionsgemeinschaft durch Österreich-Ungarn vor gut 100 Jahren.

Kreuze abnehmen wäre „falsches Symbol“

Auf Nachfrage nahm Potz auch zur Debatte rund um religiöse Symbole in der Öffentlichkeit Stellung. Die Entscheidung einer Frau, ein Kopftuch zu tragen, fällt für ihn jedenfalls in den Bereich der persönlichen Religionsfreiheit. Wenn für manche Bereiche ein Kopftuchverbot für Musliminnen gefordert wird, sei es oft nur als erster Schritt intendiert, bevor auch andere religiöse Zeichen verbannt werden sollen, warnte der Religionsrechtler.

Religionsrechtler Richard Potz

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Religionsrechtler Richard Potz

Zur Frage der Kreuze im Klassenzimmer wies Potz auf die Vorgeschichte hin: Nachdem die Nationalsozialisten die Kreuze in den Klassenzimmern verboten hatten, durften diese ab 1945 als Zeichen der Überwindung der Naziregimes wieder aufgehängt werden. 1949 wurde das in ein Gesetz gegossen.

Kruzifixe in Gericht „Missbrauch“

Die Symbolik des Abnehmens der Kreuze wäre vor diesem Hintergrund heute falsch, zeigte sich Potz überzeugt, auch wenn er 2017 die Kreuze nicht aufhängen würde. Die Forderung nach der Entfernung der Kreuze komme zudem immer von Atheisten, nie von Menschen mit anderer Religion.

Sehr wohl entfernen würde Potz aber die Kruzifixe, die im Gerichtssaal vor den Richtern stehen. „Das ist für mich Missbrauch. Woran soll das den Richter erinnern? An einen Prozess, der vor langer Zeit gründlich schief gelaufen ist?“, so der Religionsrechtler wörtlich.

Unterschiedliche Rechtsmodelle

Der emeritierte Wiener Religionsjurist unterschied in seinen Ausführungen drei unterschiedliche rechtliche Modelle des Verhältnisses von Staat und Religion in Europa. Allen drei sei dabei das Grundprinzip der Religionsfreiheit gemeinsam. Nachsatz: „Auch wenn das die Europaratsmitglieder Türkei und Russland derzeit nicht einhalten.“

In einigen Ländern Europas gilt noch Staatskirchenrecht, der Monarch ist also zugleich Oberhaupt der Staatskirche. Andere Länder - wie Frankreich, in Ansätzen die Niederlande oder die frankophonen Kantone der Schweiz - vermeiden durch ihr Recht so weit wie möglich, dass staatliche Institutionen etwas mit Religion zu tun haben. Zwei Drittel der europäischen Staaten, dazu gehören auch Österreich und Deutschland, kooperieren mit Religionsgemeinschaften, ohne mit ihnen institutionell verbunden zu sein.

Wie Potz erläuterte, hätten sich alle drei Systeme vor dem Hintergrund entwickelt, dass es in jedem Land eine vorwiegende Religion gab. Diese Voraussetzung würde sich in vielen Ländern aber ändern. Die Pluralisierung der Gesellschaft sei deshalb die große Herausforderung für alle europäischen Rechtssysteme.

religion.ORF.at/KAP

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